Spiegel Online schrieb gestern über die FDP. Über deren Probleme. Und darüber, wie wenig diese Partei das Wort „Freiheit” in ihrem Namen ausfüllt. In der Kolumne von Jakob Augstein heißt es unter anderem:
Nach den jüngsten Wahlen hat das große Murren begonnen, die Restliberalen Baum, Leutheusser-Schnarrenberger, Gerhardt fordern Rückbesinnung und Neuanfang. […] Die Partei des peinlichen Westerwelle ist alles mögliche, aber nicht liberal. [… Die FDP ist] mitnichten die Partei der Leistungsträger […], sondern die der Selbstbediener. Sie zieht eben nicht verantwortungsvolle Bürgerliche an, sondern nur skrupellose Kaltschnauzen. […]
Die Neoliberalen haben die Idee des Liberalismus pervertiert. […] Liberalismus handelt von Freiheit, nicht von Verantwortungslosigkeit. […] Der Liberale glaubt, dass positive Freiheit automatisch aus der negativen folgt. Wenn die äußeren Beschränkungen wegfallen, wird der Mensch selbstbestimmt handeln. […]
Wir könnten auch eine Partei gut gebrauchen, die sich aus einem Geist gesellschaftlicher Verantwortung gegen die von Sloterdijk sogenannte „deutsche Lethargokratie” stellt – „immer der sozialen Endformel entgegen: Urlaub, Umverteilung, Adipositas.” […]
Wir könnten auch eine Partei der Mutigen und der Optimisten gut gebrauchen, die Wissenschaft und Technik und Alltag nicht unter dem Gesichtspunkt der Risiken betrachtet, sondern unter dem der Chancen.
„Mensch”, war da auf den Mailinglisten der Piratenpartei zu lesen, „der redet ja von uns.” Denn wir sind ja die Partei des 21. Jahrhunderts, wir stehen für Freiheitsrechte, für die Selbstbestimmung des Einzelnen, für den Fortschritt, für eine freie Welt…
Halt! sage ich, halt’ ein mein Freund. Denn Augstein schreibt auch:
[Wir brauchen] erst Recht eine Partei der Freiheit, die sich gegen die Vorsichtsgesellschaft stellt, die Verbotsgesellschaft, die Restrisikovermeidungsgesellschaft, die von der rotleuchtenden Warnweste im Kofferraum bis zum „Sie-werden-eines-schrecklichen-Todes-sterben-wenn-Sie-rauchen”-Schild auf der Zigarettenpackung an alles denkt. Aber auch wirklich an alles.
Genau da hat die Piratenpartei, in der ich nun seit bald fünf Jahren Mitglied bin, ein nicht zu verachtendes Problem. Wenn ich die internen und die öffentlichen Diskussionen in der Partei so verfolge, gelange ich zu dem Schluss: Wir gerieren uns leider immer noch viel zu oft als Da-bin-ich-jetzt-aber-mal-aus-Prinzip-dagegen-Partei, als Das-könnte-jetzt-aber-nicht-erlaubt-sein-Partei oder (schlimmer) als Das-finde-ich-nicht-gut-und-behaupte-deshalb-es-ist-verboten-Partei, als Das-muss-jetzt-alles-erstmal-im-vorhinein-geregelt-werden-Partei, als Bist-du-denn-dafür-legitimiert-das-zu-tun-was-du-tust-Partei, als Gewählte-Vertreter-dürfen-keine-Meinung-haben-Partei, als Wer-eine-Aufgabe-übernimmt-ist-schon-verdächtig-Partei und ganz generell als vorderste Speerspitze selbst ernannter Bedenkenträger, die anstatt sich selbst eine Meinung zu bilden lieber nach irgendwelchen Gremien schreien, die ihnen ihre Meinung vordefinieren sollen – bevorzugt übrigens den parteiinternen Schiedsgerichten oder irgendwelchen „Beauftragten”. Deren Legitimation ist bei Lichte betrachtet wesentlich dünner als die eines gewählten Entscheidungsgremiums wie zum Beispiel eines Vorstandes, nichtsdestotrotz genießen sie in einigen Parteikreisen eine geradezu kultische Verehrung.
Ausgerechnet in einem der Kernthemen der Parteiprogrammatik, dem Datenschutz, ist diese quasi-religiöse Hinnahme der Aussagen von „Datenschutzbeauftragten” oder irgendwelchen „Juristen” aber mittlerweile besorgniserregend. Ich habe gestern darüber geschrieben. Sowas schreckt ganz konkret Aktive von der Mitarbeit ab und vergrault sie.
Ok, eigentlich tue ich der Partei mit diesen Worten unrecht. Es sind nämlich bei weitem nicht alle so drauf. Es sind – vielleicht – fünf Prozent, die so denken. Und zwar nicht 5 Prozent aller Mitglieder, sondern nur derjenigen, die tatsächlich aktiv im Parteileben agieren. Dazu kommen dann aber so etwa 20 Prozent, die dieses unersprießliche
Über-den-eigenen-Bauchnabel-philosophieren zumindest insoweit befördern, als dass sie auch noch über den abwegigsten Einwand diskutieren wollen
und die Man-darf-doch-niemanden-aus-der-Diskussion-ausschließen-Schallplatte(*) auflegen. Und damit schafft es diese Minderheit, die übrigen 75+ Prozent
in ihrem Tun zu behindern, auszubremsen, zu demotivieren und schließlich zum Rückzug aus der aktiven Parteiarbeit zu bewegen. Wenn sie nicht
gleich ganz austreten.
Das Gegenmittel ist eigentlich ganz einfach: Wir brauchen hier in dieser Partei eine Führung. Nicht in der Form, dass von oben Befehle kommen und alle zu folgen haben. Sondern eher als „Leuchtturm”, als Zeichen: „Hier geht’s lang!” Als positive Identifikationsmöglichkeit. Eine Parteispitze, die aktiv und selbstbewusst im Sinne der Mehrheit der Mitglieder handelt, wird die Partei mit sich ziehen – und die ewigen Bedenkenträger und Neinsager am Wegesrand in ihrer selbstbezogenen Welt zurücklassen.
Unsere Aufgabe beim Bundesparteitag im Mai wäre es, uns eine solche Parteispitze zu wählen. Mit einem nach innen und außen sichtbaren, nach vorne blickenden und die Partei einigenden Bundesvorstand könnten wir tatsächlich das werden, was Augstein bei der FDP so schmerzlich vermisst: Ein Hort der Freiheit, der den Einzelnen mit möglichst wenigen Regeln belegt und ihm dafür einen großen Entfaltungsraum lässt. Denn eine politische Kraft, die dies zur obersten Maxime ihres Handelns erhebt und die dies auch für die Gesellschaft insgesamt anstrebt, die fehlt in Deutschland in der Tat.
Der Weg dahin, liebe Piraten, der ist aber noch weit.
(*) Ich weiß, Schallplatten sind out und einige jüngere Parteimitglieder kennen sie vielleicht gar nicht mehr aus eigener Erfahrung. Aber mit „CD” oder „MP3-Datei” wäre das Bild irgendwie – merkwürdig…