Ich muss nochmal auf diese Geschichte von neulich zurückkommen. Ich habe mal ein bisschen gestöbert und meinen eigenen Walkman ausgegraben: „Sony WM-EX50” hieß das Gerät:
Wie auf dem Foto zu sehen ist, sind alle Bedienelemente da, die so ein Gerät brauchte:
- Kopfhörerbuchse mit „Mega Bass”-Schalter (noch ganz authentisch in Position „Mid”
- Batterieanzeige
- Lautstärkeregler als analoges Drehrad
- Hebelchen zum Öffnen des Kassettenfachs
- Playtaste, bei der allerdings die Tastenkappe abgegangen ist
- Stoptaste zum Anhalten
- Tasten zur Vorwärts- und Rückwärtsspulen
- Richtungswechsel – das Gerät konnte beide Seiten der Kassette abspielen ohne dass man sie umdrehen musste
- Modusschalter: Soll die Kassette nur einmal komplett durchgespielt und dann angehalten werden oder ist Endlosbetrieb gewünscht
- Stromanschluss für ein 1,5V-Netzteil (nicht mitgeliefert)
Unten ist dann noch das Batteriefach (1 * 1,5V-Mignonzelle) sowie der Dolbyschalter und die Bandsortenwahl. Dolby war, die Älteren unter uns werden sich erinnern, ein Verfahren zur Rauschreduktion. Mein Walkman konnte nur Dolby B, was aber egal war, weil mein Kassettendeck auch nur mit Dolby B ausgestattet war.
In dem Walkman war auch noch eine Musikkassette. Wie damals üblich war es eine Leerkassette, die ich selbst bespielt und mit einem Aufkleber versehen hatte. „Walkman ‚94” steht da, was mich vermuten lässt, dass ich wohl doch schon wesentlich eher als ich bisher gedacht hatte mit der Benutzung dieses Geräts aufgehört habe. 90 Minuten Musik passten da drauf, auf jede Seite 45 Minuten. Wie man sieht, ist die Grundfläche des Walkman tatsächlich nicht wesentlich größer als die der Kassette.
Im Inneren des Geräts ist die Mechanik zu erkennen, die für die Wiedergabe zuständig ist. Hinten in der Mitte ist der Tonkopf, der die Bandmagnetisierung erfasst und links und rechts davon die Mechanik, die das Band straff hält, wenn es von der Spindel bewegt wird. Da der Walkman „Auto Reverse”-fähig ist, ist der komplette Antrieb symmetrisch aufgebaut.
Man beachte den vielen „freien Platz”, der für die Kassette benötigt wird. Heute passt die Dutzendfache Musikmenge auf Speicherkarten von der Größe eines Fingernagels…
Die Kassette lag jetzt etwa 15 Jahre im Walkman. Links ist zu erkennen, dass eine der Andruckrollen das Band beschädigt hat. Trotzdem ließ sich die Kassette noch abspielen. In einem Anfall von investigativem Journalismus habe ich mir Gerät und Kassette vorgenommen und gnadenlos abgehört, mit was für Musik ich mir 1994 die Zeit vertrieben habe. Die Ergebnisse sind, ein für investigativen Journalismus nicht unübliches Fazit, schockierend. Und sie sind kein Einzelfall:
- Seite A
- B.G. the Prince of Rap – Color of my dreams
- Culture Beat – Anything (Album Mix)
- Irgendein gruseliger Eurodance-Trash, in dem im Refrain „Do what you want but don’t forget the Omen” vorkommt
- Nochmal Eurodance. Die berüchtigte Midi-Standardpanflöte und was mit „Riding on the train of love”
- Jam & Spoon – Right in the night
- Maxx – Run-A-Way – „I’m a white raggaman with a raggaman style‑y”
- Youssou N’Dour & Neneh Cherry – 7 seconds
- „I got to give it up, I got to get away” – Wie Recht sie haben – Eurodance mit „Rapper” und Sängerin…
- Ice MC – It’s a rainy day – „Bad times in life is like a telephone, you never know when it’s have a ring.”
- Dance 2 Trance – Power of American Natives
- U96 – Inside your dreams (Fade out)
- Seite B
- Magic Affair – Give me all your love – „Love is the same as hate if you’re not careful”
- Ace of Base – Don’t turn around
- Maxx – No more – Hurra, Raggaman is back
- Enigma – Return to innocence
- Intermission and Lori Glori – Six days – Ach du liebes bisschen, wie schräg ist das denn? Das ist nicht meine Kassette!
- Ganz übler Eurodance-Trash, der „Rap”-Part beginnt mit „Bumm digi digi digi bumm digi bamm”
- Blur – Girls & Boys
- Culture Beat – Rocket to the moon
- U96 – Inside your dreams
- 2 Unlimited – The real thing
- US3 – Cantaloop
- Perplexer – Acid Folk (Fade out)
Was für eine gediegene Mischung! Bei etlichen Stücken habe ich Titel und/oder „Interpret” nur durch Google-Recherche rausfinden können und bei den schlimmsten Auswüchsen ging nicht mal das, weil ich in dem „Lied” irgendwie nichts gefunden habe, nachdem ich hätte suchen können… Naja, verbuchen wir’s unter „Jugendsünde”.
Und nun noch für die Jüngeren: In den 1990er Jahren fand die Musikindustrie solche Kassettenkopien ganz toll. Da gab es Fernsehspots, in denen die Qualität von Leerkassetten mit Sprüchen wie „Verdammt nah an der CD” beworben wurden. Da waren Privatkopie, Musiktausch und Mixtapes keine Straftaten, sondern wichtiger Teil des kulturellen Austauschs. Die Pervertierung des Urheberrechts in eine Verwertungsindustrie-Schutzmaschine kam erst nach 2000. Erinnert euch dran, wenn mal wieder von den seit Ewigkeiten verbrieften Rechten an der Verwertung gefaselt wird…
Warum ist den Deutschen immer alles peinlich, was mit unbeschwerter Lebensfreude zu tun hat? Eurodance war geil (bis ’95) und macht auch heute noch Spaß. Leichtherziges ist erlaubt, ne? ??? Habt Euch selbst mal wieder lieb.
Ach ja, einen ‚Kopierschutz’ gab es schon Anfang der 90er mit der Einführung von DCC und MD. Konnte man aber einfach umgehen durch analoges Kopieren. ?????
Schicker Walkman übrigens.
…die vielen Fragezeichen sind eigentlich Smileys…
Nabend,
ich habe mit 13 Jahren ebenfalls diesen Walkman besessen. Vom Taschengeld plus Subventionen von Oma angespart ?. War damals high end und zusammen mit meinen faltbaren Kopfhörern von Sony ein echter Genuss im Ohr. Ich bin damals mit Freundinnen auf eine Jugendfreizeit nach Dänemark und hörte auf der Busfahrt die MC „Tourism” von Roxette rauf und runter. Die Verarbeitung vom Gerät hat mich dennoch enttäuscht, da ziemlich schnell (wie bei Dir) die fisseligen Tastenkappen abgefallen und verschwunden sind. Es war dennoch eine geile Zeit, bei dem man beim Schreiten durch das Leben immer seinen eigenen Soundtrack dabei hatte. Gute Nacht ?
Grüße Kati
Dieses Lied auf deiner Kassette „Bumm digi digi digi bumm digi bamm” dürfte „Ice MC – Think about the way” sein.
Und bei „Riding on the train of love” sollte es sich um „Odyssey – Riding on a train” handeln.
Gruß Samuel
Toll der Walkman, ich hatte mir den damals nach dem Abi gekauft, damit ich bei der Bundeswehr Musik hören konnte. Mein zweiter Walkman. Er exisitert immer noch ist aber leider kaputt. Ich erinnere mich noch als ich mit dem neuen Walkman auf der Fähre nach Borkunm saß und Musik gehört habe. Es tolles Gefühl. Dazu habe ich die Cola Zigaretten von West geraucht und fühlte mich erwachsen.
Auf der Rückfahrt im Zug nach Hause habe ich immer den Walkman benutzt und mir sehr oft am Bahnhofskiosk Batterien gekauft.
Habe gerade gelesen, dass Sony die Produktion von Kassetten-Walkmen eingestellt hat. So kam ich auf die Idee mal zu sehen, ob ich Fotos von den Geräten finde, die ich selber mal besessen habe…
Dieses Modell war mein insgesamt dritter und letzter Walkman…
Alle vorigen Modelle bestanden auch noch aus Kunststoff – man war ich stolz, als ich dieses gute Stück erworben und am folgenden Morgen damit im Bus zur Schule gesessen habe!
Lang lang ist’s her!
Ich hatte mal einen, da gabs nur Play, Stop, FFW und REW… Das wars… 😀
Ich hatte als Kind mal einen roten Walkman (weiß nicht mehr, von welcher Marke), der hatte sogar nur Play, Stop und FFW. Wollte man zurückspulen, musste man die Kassette umdrehen und vorspulen. Vermutlich ein ganz billiges Modell, der hintere (linke) Bandwickel-Dorn (oder wie man das nennt) wurde komplett eingespart, deshalb auch die fehlende Rückspul-Funktion. Dieser Walkman hatte zwei getrennte Lautstärkeregler, man konnte (besser gesagt musste) die Lautstärke für rechtes und linkes Ohr getrennt regeln. Irgendwann fing das Teil dann an zu „leiern” und wurde schlissendlich entsorgt.
Guten Abend in die Runde,
hallo Samuel,
so einen Walkman (Pfui- Gattungsname!) hatte ich als Kind auch mal. Farbe Lila, Hersteller Fisher und er hatte sogar ’nen Kunststoffriemen zum Umhängen. Hat auf den langen Autofahrten nach Frankreich gute Dienste geleistet. Hat jedoch vier Batterien geschluckt wodurch sich bereits in Höhe Lyon Benjamin Blümchen wie auf LSD angehört hat 😉
Und die fehlende „Rückspülung” war richtig nervig. War aber eine tolle Zeit gewesen. Ciao, Kati
@Heiko C. – Ja, der isses. Wenn man das so sieht – eigentlich sind die ganzen Castingshows heute gar nicht *so* viel schlechter…
Oh ha, das erinnert mich allzudeutlich an meine musikalischen Jugendsünden. Das mit dem Omen ist Magic Affair mit Omen III, das Digi-Bumm-Lied ist Ice-MC mit Think about the way. BTW: jetzt gleich geh ich auf eine Party auf der Britpop, Indie und Electro gespielt wird. Was werd ich wohl in 15 Jahren darüber denken?
Wenn man die Zeile aus Nr. 6 von Seite B auf englisch vorstellt, kommt was von Ice MC heraus …
Sorry, der hat die Einbettung rausgefiltert:
http://www.youtube.com/watch?v=mR_uzFbY3q0
War es das? Ich erinnere mich noch, das lief damals dauernd bei MTV, als ich noch MTV gekuckt hab. (Also bevor Sweety das Küken kam)
Ein schöner Artikel – der Kassetteninhalt hätte nahezu 1:1 von einer meiner damaligen Kassetten stammen können 😉
Um mal noch was zur Identifkation der Tracks beizutragen:
> Irgendein gruseliger Eurodance-Trash, in dem im Refrain “Do what you
> want but don’t forget the Omen” vorkommt
Das ist sicherlich ‚Magic Affair – Omen III’
Der Titel mit „Bumm digi digi digi bumm digi bamm” könnte was von Loft sein, komm aber gerade nimmer auf den Titelnamen.
Der eine oder andere Eurodance-Trash-Titel kommt mir hier beim Anhören einer Random-Playlist in Amarok auch hin und wieder unter 😉
Ohhh da kommen ja Erinnerungen auf. Mein alter Walkman, mit Aufnahmefunktion, liegt noch irgendwo in meinem Elternhaus. Die Musik aus deiner Playlist kommt mir sehr bekannt vor. Eurotrash machte einfach glücklich.
Deine Anmerkung zur Privatkopie und der Werbung für Leerkassetten ist wirklch eine gute, kleine Geschichtsstunde. Erinnere mich noch an diese BASF Werbung indiesem spacigen Setting.
Erinnert mich jetzt irgendwie an einen MP3-Ordner, den ich letztens gefunden habe (nach den Änderungsdaten der Ordner irgendwann geladen, als unser damaliger Bundeskanzler gerade über die Schlaglöcher auf den Datenautobahnen philosophierte); da fällt auch einiges unter „das will man nicht kennen”, nur dummer Weise steht an den Dingern dann sowas ähnliches wie ein Name dran 😉
“Bumm digi digi digi bumm digi bamm“ – mit so einem ähnlichen – ähm – Text ist doch erst vor paar Jahren eine Castingband groß geworden…
Was für eine abscheuliche Mischung! Könnte glatt von mir sein 😉
Aber „Blur” reißt ja letztlich alles wieder raus.
Mir fiel vor kurzem auch noch eine Cassette aus dem Jahr 1993 in die Hände, auf der ich eine Sendung der damaligen WDR1-Show „Flipp-Zeit” aufgenommen hatte. Es war die Freitagssendung, in der stets Hörerwünsche erfüllt wurden. So setzte der Moderator Robert Treutel (heute aka Bodo Bach) also an: „SuomiRokks (naja, so ähnlich) aus Düsseldorf wünscht sich „I Wanna Be Me” von den Sex Pistols.” Die Zeiten des Formatradios hatten noch nicht begonnen und so wurde dieser Song tatsächlich nachmittags um 16Uhr auf die Hörer losgelassen. Großartig!
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Perplexer – Acid Folk ist einfach Kult! Und der Community Manager von Blizzard Europe 😀
Aus aktuellem Anlass wäre vielleicht interessant, was die Leute 1984 gehört haben 🙂
Hehe, ich hab da noch ein Walkman mit den selben Funktionen – allerdings noch mit FM und AM-Tuner 😉
Nur aus dem Grund ist das bis heute noch nicht rausgeflogen xD
Btw: Über meinen damaligen Musikgeschmack erwähne ich lieber nichts – ich bin selbst erschrocken. 😀
Genial, ich habe während des letzten Umzuges den Walkman entsorgt (samt Kassetten).
Allerdings hab ich immer noch ein paar Datasetten hier herumfliegen (+ passendes Geraet für den C64 🙂 )