Wir beginnen die Woche mit einem Politiker, der zumindest mir bislang eher unbekannt war. Dr. Sascha Raabe, Mitglied der SPD und des Bundestages, kommt aus dem Frankfurter Raum. Witzigerweise hat er übrigens genau am selben Tag Geburtstag wie ich, bloß vier Jahre früher.
Auf Sascha Raabes Webseite finden sich seit drei Tagen Statements wie dieses:
Die Mehrheit der Zuschriften hatte hingegen leider ein beleidigendes und aggressives Niveau und ist keine persönliche Antwort wert.
Oder dieses:
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich keine E‑Mails oder Briefe zu diesem Thema mehr beantworte. Dafür waren die Erfahrungen der Beleidigungen, Beschimpfungen und Aggressionen zu heftig und wir müssen uns auch noch um andere Dinge kümmern.
Oder das hier:
Die leider überwiegend aggressiven und teils hässlichen Reaktionen auf meine Pressemitteilung zeigen mir, dass sich einige Schreiber in einer virtuellen Parallelwelt verloren haben. Dies macht mir in der Tat Sorge.
Da frage ich mich: Was ist denn da passiert? Versuchen wir mal eine chronologische Aufarbeitung:
1. Akt: Am 2009-06-30 gründet sich der Kreisverband Main-Kinzig der Piratenpartei. Am 2009-07-02 gibt er eine Pressemitteilung heraus, in der unter anderem steht:
Ausschlaggebend für die Ernennung eines eigenen Kandidaten war die Tatsache, dass Sascha Raabe (SPD), der derzeitige Wahlkreisinhaber, kürzlich im Bundestag für die Einführung der umstrittenen „Stopp-Schilder” gestimmt hatte, mit denen künftig angeblich gegen illegale Inhalte im Internet vorgegangen werden soll. Von Sasche Raabe sei man hier „sehr enttäuscht” gewesen.
Nach Auffassung der Piratenpartei handelt es sich bei dem Stopp-Schild Gesetz um nichts anderes als die „Einführung der Zensur in Deutschland”. Illegale Websites müsse man aber „Löschen statt Sperren”, so jedenfalls das Motto einer von der Piratenpartei gestarteten Kampagne. Der freie Zugang zu Informationen ist eines der Kernthemen der Partei.
Dazu von mir zunächst mal: Hm. Liebe Main-Kinzig-Piraten, das solltet ihr nochmal üben. Sascha Raabe hat für ein Gesetz gestimmt, das nach Meinung der Piratenpartei – und nicht nur ihr – sowohl verfassungswidrig ist als auch auf verfassungswidrige Weise zustande kommt. Zusätzlich, aber wirklich erst zusätzlich, erfüllt das „Zugangserschwernisgesetz” seinen vorgeblichen Zweck der Zugangsverhinderung auf „Kinderpornografie” nicht, sondern führt stattdessen eine allgemeine Zensurinfrastruktur im deutschen Internet ein. Diverse deutsche Politiker von CDU, CSU und von der VerräterparteiSPD behaupten hier trotz der Vielzahl korrigierender Stimmen anderes. Auch der Herr Raabe übrigens, wie wir gleich sehen werden. Diese Zusammenhänge werden nicht klar, das Gesetz wird nicht benannt, die Zensurbehauptung wird nicht belegt. So wie ihr das da geschrieben habt, ist das – mit Verlaub – Quark.
2. Akt: Auch Sascha Raabe hat die Pressemitteilung irgendwie nicht gefallen. Fünf Tage später, am 2009-07-07, verfasst er auch eine Pressemitteilung, die wohl so eine Art Replik auf die Kinzigpiraten sein soll. Problem Nummer Eins: Dieser Zusammenhang wird nicht klar. Dass hier die Situation im Main-Kinzig-Kreis eine Rolle spielt, steht ganz, ganz am Rande in einem Halbsatz im dreizeiligen „Teaser”-Absatz am Anfang des Textes, den nicht nur wegen des Schriftsatzes viele Leser schlicht ignoriert haben dürften (und ich gehöre auch dazu).
Problem Zwei von Herrn Raabes Pressemitteilung ist allerdings gravierender: Der Inhalt. Unter der Überschrift
Absolutes Unverständnis – Raabe wundert sich über Ansichten der Piratenpartei
bekommt der geneigte Leser dann eine geballte Ladung ZensurZugangserschwernisgesetz-Prosa auf die Ohren, dass es nur so klingelt. Einige Auszüge:
Ich kann nicht verstehen, wie bei einem so ernsten Thema wie Kinderpornographie die Leidtragenden völlig außer Acht gelassen werden. Das sind die vielen Jungen und Mädchen weltweit, denen täglich großes Leid widerfährt. Es geht nicht um Zensur, sondern um die Verbrechen an Kindern und Jugendlichen. […]
Jetzt aber haben wir als SPD-Bundestagsfraktion viele entscheidende Änderungen vorgenommen. Das Gesetz berücksichtigt, so wie es verabschiedet wurde, sowohl die Bedenken der vielen Internet-Nutzer und erschwert zugleich den Zugang zu Internetseiten mit kinderpornographischem Inhalt. […]
Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. […]
Wir müssen auf allen Ebenen gegen den Missbrauch von Kindern vorgehen. Die Internetsperre ist nur ein kleiner Baustein, aber selbst wenn dadurch kein Missbrauch nachträglich verhindert werden kann, wird das Persönlichkeitsrecht des Opfers geschützt und es wird nicht mehr jahrelang im Internet ungehindert zur Schau gestellt.
So weit, so schlecht. Vor allem den letzten Absatz finde ich bemerkenswert: Hier wird gar nicht mehr mit dem „Schutz” oder der „Verhinderung von Missbrauch” argumentiert, sondern mit dem „Persönlichkeitsrecht des Opfers”. Als wenn nicht eines der Hauptargumente gegen die Netzsperren wäre, dass sie den Zugriff eben nicht verhindern und das Material eben nicht aus dem Internet verschwindet. Argh! Wo sind die Anträge auf Merkbefreiung?!?
Aber egal. Raabe hat nämlich auch ein paar andere Aussagen in seiner Pressemitteilung drin. Die lesen sich so:
Überhaupt finde ich es anmaßend, wenn die Piratenpartei sich als Vertreter der gesamten Internet-Community aufspielt. […]
Ich erwarte aber auch, dass die Piratenpartei das jetzt ausschließlich gegen Kinderpornographie gerichtete Gesetz nicht wahrheitswidrig als „Einführung der Zensur in Deutschland” bezeichnet.
So richtig mit der Materie beschäftigt kann der gute Herr Raabe sich nicht haben. Die „Internet-Community” kann sich ganz prima selbst artikulieren, da bracht es die Piratenpartei nicht. Und was die Zensur betrifft, da ist nichts Wahrheitswidriges dran, fragen Sie doch mal Ihre Koalitions- oder Parteikollegen…
Vor allem aber gibt es in Raabes Pressemitteilung diese Textstelle:
Wir können es doch als Gesellschaft nicht hinnehmen, das [sic!] – so wie es die Piratenpartei fordert – Jugendliche und Erwachsene ungehindert Zugang zu Kinderpornos im Internet haben können, nur weil diese vom Ausland aus angeboten werden. Meinungs- und Informationsfreiheit bedeutet nicht, dass es ein Grundrecht auf ungehinderten Zugang zu Kinderpornographie im Internet gibt.
Uiuiui, Herr Raabe. Was haben Sie sich dabei bloß gedacht? Ich würde sagen: Nicht viel. Wo bitteschön hat die Piratenpartei sowas jemals gefordert? Selbst in der unglücklich formulierten Pressemitteilung des Main-Kinzig-Kreisverbandes finde ich davon nichts. Ich habe mal der Einfachheit halber nur eine Aussage von Vertretern der Piratenpartei rausgesucht und ich bitte die Leser um Entschuldigung, dass ich mich selbst zitiere:
Dirk Hillbrecht, [damals] Bundesvorsitzender der Piratenpartei, erläutert das vom Gesetz missachtete Demonstrations-Motto „Löschen statt sperren – Stoppt die Internet-Zensur!”: „Wir verlangen wirksame Maßnahmen gegen Kinderpornographie und das heißt: Die Inhalte müssen aus dem Netz verschwinden und nicht hinter Stoppschildern versteckt werden.
Herr Raabe, mal ehrlich, würden Sie das eine Forderung nach „ungehindertem Zugang zu Kinderpornos im Internet” nennen? Ich nicht, und ich glaube, das liegt nicht nur daran, dass ich es gesagt habe. Und mal angenommen, man würde Ihnen solche Aussagen unterstellen, wie fänden Sie das? Witzig? Egal? Nervig? Ich sage Ihnen was: Ich glaube, Sie würden das genauso sehen wie ich: Solche Behauptungen sind eine Frechheit und bodenlose Unverschämtheit!
Die Raabe-Pressemitteilung hat sich dann zügig durch die Twitter- und Blogosphäre verbreitet. Dabei ist in den Kommentaren der Zusammenhang mit der Situation im Main-Kinzig-Kreis zunächst mal völlig unter den Tisch gefallen. Stattdessen war da ein SPD-Politiker, der weitgehend faktenbefreit das Zensurgesetz mit den üblichen Platitüden verteidigt und über die Piratenpartei herzieht. Das konnte ja nicht gutgehen.
Und wer denkt, damit sei die Geschichte zu Ende, der sollte nicht die Fortsetzung der Sascha-Raabe-Story verpassen. Morgen in diesem Theater!
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Eine Pressemitteilung richtet sich an _Außenstehende_, die nicht in der Materie sind. Damit die eine Chance haben zu verstehen, um was es geht, müssen die zentralen Begriffe der Diskussion genannt werden. Es ist ein Kardinalfehler eurer PM, dass sie weder das Wort „Zugangserschwernisgesetz” enthält, noch das Wort „Kinderpornografie”. Wenigstens ein Halbsatz muss das erwähnen, anschließend kann man davon ausgehend dann Raabe und sein Verhalten kritisieren. Formulierungsbeispiel: „ ‚Das Zugangserschwernisgesetz dient angeblich der Bekämpfung von Kinderpornografie,’ erklärt Meier, erster Vorsitzender des Kreisverbandes. ‚Die Mittel dieses Gesetzes sind dabei aber ebenso verfassungswidrig wie der Weg seiner Verabschiedung. Zudem sind die vorgesehenen ‚Stoppschilder’ völlig ungeeignet um auch nur ein Kind vor Missbrauch zu schützen. Das wird hier nur als Vorwand genommen, eine allgemeine Zensur des Internets einzuführen. Herr Raabe konnte all dies wissen, er hat es aber vorgezogen, diesem Gesetz zuzustimmen. Dieses Fußtritt gegen die Grundrechte war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.’ Direktkandidat Müller ergänzt: ‚Die Piratenpartei ist jetzt auch im Main-Kinzig-Kreis vertreten, um Politik zu machen, die Bürger- und Grundrechte wieder ernst nimmt und nicht als lästigen Ballast betrachtet.’ ”
Komplette Argumentkette, politischer Gegner auf Sachebene hart angegangen, selbst als Alternative präsentiert. So würde ich mir das vorstellen können…
Dass der Raabe bei euren Einlassungen über ein „Stopp-Schild Gesetz” Druck auf den Kessel bekommen hat, kann ich nachvollziehen. Das rechtfertigt aber nicht den argumentativen Totalausfall seiner eigenen PM… Trotzdem halte ich es für wichtig, dass wir immer fachlich korrekt, sprachlich knapp und inhaltlich auf den Punkt argumentieren. Umso leichter kann man den politischen Gegner anschließend festnageln.
guten morgen herr dirk,
mir als author dieser pressemitteilung ist nicht ganz klar, warum du uns nahelegst wir müssten das „noch mal üben”.
es ist in einer pressemitteilung völlig irrelevant bis ins detail hochwissenschaftliche fakten aufzulisten, sondern es geht vielmehr
darum, dinge so zu erklären, dass sie der durchschnittsleser auch
versteht.
wo ich folgendes formuliert habe:
„handelt es sich bei dem Stopp-Schild Gesetz um nichts anderes als die “Einführung der Zensur in Deutschland”.”
machst du folgendes draus:
„Sascha Raabe hat für ein Gesetz gestimmt, das nach Meinung der Piratenpartei – und nicht nur ihr – sowohl verfassungswidrig ist als auch auf verfassungswidrige Weise zustande kommt. Zusätzlich, aber wirklich erst zusätzlich, erfüllt das “Zugangserschwernisgesetz” seinen vorgeblichen Zweck der Zugangsverhinderung auf “Kinderpornografie” nicht, sondern führt stattdessen eine allgemeine Zensurinfrastruktur im deutschen Internet ein. Diverse deutsche Politiker von CDU, CSU und von der
VerräterparteiSPD behaupten hier trotz der Vielzahl korrigierender Stimmen anderes.”glaubst du im ernst so etwas druckt eine zeitung?
glaubst du irgendjemand versteht das?
ist der hinweis darauf, was das gesetzt nicht leistet, und dass die piraten es für verfassungswidrig halten, ein „beleg” für irgendwas?
ist deiner auffassung nach wahlkampf dafür da, wissenschaftliche beweise für komplizierte zusammenhänge zu erbringen?
eine konkretisierung deine diesbezüglichen kritik wäre wohl angebracht, denn man versteht wirklich nicht was du willst.
wir wollten mit der mitteilung auf unseren wahlkreisinhaber eingehen und ihn persönlich angeifen, um eine antwort zu produzieren, denn so kommt man zweimal in die zeitung. dieses ziel habe ich erreicht, und es war auch nicht sonderlich schwer, denn aus erfahrung weiss ich, dass von unserer kreis-SPD selten irgendetwas anderes zurückkommt kommt als beleidungen.
übrigens selbst deine kritik an raabe ist hart an der grenze, und ich bin auc hier fast geneigt zu sagen du gehst zu weit.
mit der sache mit dem „persönlichkeitsrecht” hat er doch im prinzip recht. wenn er behauptet hätte man könnte durch stoppschilder vergewaltigungen verhindern wärs jedenfalls noch falscher. 🙂
-110
Da bin ich ja mal gespannt und freue mich auf die Fortsetzung. 🙂
Hallo auch. Die Jury – also ich – hat sich dann doch für Herrn Wefing entschieden, obwohl der eigentlich den „rechtsfreien Raum für das Lebenswerk” verdient hätte. Aber *den* Preis gibts ja noch nicht, und den will ich auch nicht wöchentlich verleihen müssen.
Aber vielleicht sagt Herr Raabe in dieser Woche ja nochmal was blödes…
Danke für den Link übrigens. ^^
Au prima, gleich mal den Feedreader gefüttert!
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