Sascha Raabe sorgt sich um die Piratenpartei, Teil 2 9


Ges­tern habe ich mei­ne Betrach­tun­gen über Sascha Raa­be von der SPD aus dem Main-Kin­zig-Kreis begon­nen. Heu­te nun die Fortsetzung.

Was bis­her geschah: Im Main-Kin­zig-Kreis grün­det sich ein Kreis­ver­band der Pira­ten­par­tei. Die unglück­lich for­mu­lier­te Pres­se­mit­tei­lung dar­über ver­an­lasst den SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten und Wahl­kreis­in­ha­ber Dr. Sascha Raa­be, eine noch wesent­lich unglück­li­cher for­mu­lier­te Pres­se­mit­tei­lung her­aus­zu­ge­ben. Die­se macht zügig die Run­de im Netz – mit Folgen.

3. Akt: Die Welt geht unter. Na gut, nicht die gan­ze. Aber über dem Main-Kin­zig-Kreis zie­hen offen­sicht­lich tief­schwar­ze Wol­ken auf, tür­men sich vor allem über dem Wahl­kreis­bü­ro Dr. Raa­be und es blitzt und don­nert gewal­tig. Das ist jeden­falls der Ein­druck, der sich ergibt, wenn man ein wenig durchs Inter­net surft und sich die Reak­tio­nen auf Raabes Ergüs­se anschaut. Es ist nahe­lie­gend, dass da sicher auch die eine oder ande­re Nach­fra­ge bei Herrn Raa­be selbst auf­ge­lau­fen ist. Ich hat­te mir die Sache auch auf Wie­der­vor­la­ge gelegt, aber bis zum Mor­gen des 2009-07-10 noch nicht geschafft etwas zu schrei­ben, mir dann gedacht: „Ok, The­ma durch,” und die Sache eigent­lich schon abge­hakt. Hier aber irr­te ich…

4. Akt: Und jetzt wird’s inter­es­sant. Am 2009-07-10 ver­öf­fent­licht Sascha Raa­be einen wei­te­ren Text auf sei­ner Home­page. Mit­samt sei­nes Anhangs ist er gut drei­mal so lang wie die vor­an­ge­gan­ge­ne Pres­se­mit­tei­lung vom 2009-07-07 und inter­es­san­ter­wei­se ist er kei­ne Presse‑, son­dern nur eine „nor­ma­le” Erklä­rung. Er beginnt mit einem – na, ich möch­te sagen – leicht ein­ge­schnapp­ten Tonfall:

Auf­grund der Viel­zahl von E‑Mails, die mich auf­grund mei­ner Pres­se­mit­tei­lung vom 7. Juli (auf mei­ner Web­sei­te zu fin­den) zur Grün­dung des Kreis­ver­ban­des der Pira­ten­par­tei im Main-Kin­zig-Kreis erreicht haben, beant­wor­te ich die­se hier­mit in einer abschlie­ßen­den (!) Stel­lung­nah­me meinerseits:

Einen Link auf die Ori­gi­nal­sei­te hät­te sich bei dem Wort „Web­sei­te” ange­bo­ten, aber so weit woll­te Sascha „ich benut­ze das Inter­net von Anfang an” Raa­be dann doch nicht gehen…

Und sonst? Naja, nicht viel Neues:

Vor­ne­weg möch­te ich sagen, dass ich nach wie vor zu mei­ner Zustim­mung zum Kin­der­por­no­gra­phie-Bekämp­fungs­ge­setz und zu mei­ner Pres­se­mit­tei­lung stehe. […] 

Mir wur­de also wahr­heits­wid­rig unter­stellt, ich hät­te für ein Gesetz zur Ein­füh­rung der gene­rel­len Zen­sur in Deutsch­land gestimmt! Unse­re Tages­pres­se hat die­se Mit­tei­lung der Pira­ten unkom­men­tiert über­nom­men, so dass ich zu einer Gegen­dar­stel­lung gezwun­gen war. […] 

Genau um die Erschwe­rung des unge­hin­der­ten Zugangs zu kin­der­por­no­gra­phi­schen Sei­ten geht es bei die­sem Gesetz und um nichts ande­res. Und ganz gewiss nicht um die Ein­füh­rung der Zen­sur in Deutschland. […] 

Ich habe hin­ge­gen Respekt vor den­je­ni­gen […] die befürch­ten, dass dadurch ein Instru­men­ta­ri­um auf­ge­baut wird, das spä­ter für tat­säch­li­che Zen­sur von poli­ti­schen Inhal­ten genutzt wird. Ich neh­me die­se Sor­gen ernst, kom­me in mei­ner Abwä­gung aber zu dem Schluss, dass unser Rechts­staat stark genug ist, um dies zu verhindern. […] 

Es ist gut, wenn wir wach­sam sind, damit wir nicht wie­der in die Zei­ten einer Dik­ta­tur zurück­fal­len wie im Drit­ten Reich. […] Und ganz gewiss wird das Spe­zi­al­ge­setz zur Erschwe­rung des Zugangs zu kin­der­por­no­gra­phi­schen Sei­ten im Inter­net nicht dazu füh­ren. Im Inter­es­se der Ernst­haf­tig­keit des The­mas soll­ten wir die Dis­kus­si­on mal wie­der run­ter fah­ren, also, die „Kir­che im Dorf lassen“.

Auch hier wie­der Stan­dard­flos­keln, „Löschen vor Sper­ren”, die Aus­lands­ser­ver und und und. Sogar das Drit­te Reich bemüht Dr. Raa­be, übli­cher­wei­se ja das Tot­schlag­ar­gu­ment schlecht­hin. Ange­sichts des Trei­bens von Frau Zypries, Herrn Schäub­le, Frau von der Ley­en, des Euro­pa­rats und vie­ler ande­rer, die sich bereits in Posi­ti­on brin­gen, fra­ge ich mich: Wie blau­äu­gig und naiv ist Herr Raa­be eigent­lich, dass er von „Respekt vor Argu­men­ten” und „Abwä­gung” erzählt und sich ganz doll sicher ist, dass der Rechts­staat es schon rich­ten wird. Da ist maxi­mal der Wunsch Vater des Gedan­kens. Wenn Mei­nungs­frei­heit und das freie Inter­net erst­mal weg­zen­siert sind, dann hat sich auch das mit dem Rechts­staat erle­digt – in den Augen der Zen­sur­be­für­wor­ter stört der sowie­so nur.

Auf die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit von Geset­zes­in­halt und -ver­ab­schie­dungs­weg geht Herr Raa­be nicht ein. Statt­des­sen drischt er lie­ber auf die unge­schick­ten For­mu­lie­run­gen in der Pres­se­mit­tei­lung der Main-Kin­zig-Pira­ten ein:

Ich habe ganz gezielt auf eine Pres­se­mit­tei­lung des Kreis­ver­ban­des Main-Kin­zig der Pira­ten­par­tei reagiert, in der als „aus­schlag­ge­ben­der Grund“ zur Bil­dung des Kreis­ver­ban­des die Tat­sa­che genannt wird, dass ich im Bun­des­tag für ein Gesetz gestimmt hät­te, bei dem es „um nichts ande­res als die Ein­füh­rung der Zen­sur in Deutsch­land gehe“. […] 

Kein Wort in der Pres­se­mit­tei­lung der Main-Kin­zig-Pira­ten, dass es sich bei dem Gesetz aus­schließ­lich um eine Erschwe­rung des Zugangs zu kin­der­por­no­gra­phi­schen Sei­ten handelt. […] 

Wenn mir Men­schen aus allen Tei­len Deutsch­lands auf eine Pres­se­mit­tei­lung mit loka­len Bezug ant­wor­ten ohne über­haupt die Ursprungs­pres­se­mit­tei­lung des Main-Kin­zig-Pira­ten­ver­ban­des zu ken­nen, Tei­le aus dem Zusam­men­hang rei­ßen und in allen mög­li­chen Foren zer­le­gen und kom­men­tie­ren, dann fra­ge ich mich schon, um was es bei der Aus­ein­an­der­set­zung bei eini­gen wirk­lich geht.

Ganz ein­fach: Es geht bei der Aus­ein­an­der­set­zung um die Ein­füh­rung einer Zen­sur­in­fra­struk­tur in Deutsch­land, die unter dem ver­lo­ge­nen Deck­man­tel der Bekämp­fung von „Kin­der­por­no­gra­fie” durch­ge­setzt wer­den soll und der Sie mit Ihrer Miss­brauchs­rhe­to­rik genau­so Steig­bü­gel­hal­ter sind wie die Herr­schaf­ten Schäub­le oder von der Ley­en. Und was den Bezug zur Pira­ten-Pres­se­mit­tei­lung betrifft: Das haben Sie selbst mit ver­bockt, Herr Raa­be. Das hät­ten Sie näm­lich durch­aus deut­lich erwäh­nen kön­nen und dabei vor allem auf die All­ge­mein­plät­ze zu den vor­geb­li­chen For­de­run­gen der Pira­ten­par­tei ins­ge­samt ver­zich­ten sol­len. Haben Sie aber nicht. Und ansons­ten soll­ten Sie sich doch eigent­lich freu­en, dass Ihre Pres­se­mit­tei­lung, die ja durch­aus an die Öffent­lich­keit gerich­tet ist, in der Öffent­lich­keit so einen Wie­der­hall findet.

Ganz am Anfang der Erklä­rung vom 2009-07-10 fin­det sich fol­gen­der Satz:

Ich habe nie behaup­tet, dass die Pira­ten­par­tei Kin­der­por­no­gra­phie an sich befürwortet.

Na, dan­ke aber auch, dass Sie das jetzt noch­mal mei­nen, beto­nen zu müs­sen. Aber wie war das doch gleich am 2009-07-07?

Wir kön­nen es doch als Gesell­schaft nicht hin­neh­men, das [immer noch sic!] – so wie es die Pira­ten­par­tei for­dert – Jugend­li­che und Erwach­se­ne unge­hin­dert Zugang zu Kin­der­por­nos im Inter­net haben können.

Schon beacht­lich, dass Sie hier die eine halt­lo­se Unter­stel­lung mit dem Wider­ruf einer noch wesent­lich unver­schäm­te­ren Unter­stel­lung rück­gän­gig machen wol­len. Auf Ihrem Niveau könn­te ich jetzt fra­gen, ob das die übli­che SPD-Rhe­to­rik in einer poli­ti­schen Dis­kus­si­on ist.

Frag’ ich aber nicht.

Statt­des­sen zitie­re ich lie­ber eini­ge letz­te Stel­len aus dem Text vom 2009-07-10:

Wenn mir in einem Tele­fo­nat ein füh­ren­des Mit­glied der Pira­ten­par­tei sagt, dass er seit „sei­nem neun­ten Lebens­jahr im Netz lebe“ und sich heu­te wünsch­te, er könn­te „48 Stun­den am Tag im Inter­net leben, aber lei­der müs­se er zwi­schen­durch essen und arbei­ten“, dann wird mir Angst und Bange.

Soso, Angst und Ban­ge. Um Men­schen in der „Inter­net­welt” im All­ge­mei­nen und „füh­ren­de Mit­glie­der der Pira­ten­par­tei” im Beson­de­ren. Ich bin erschüt­tert. Viel­leicht schreib’ ich auch mal auf, was mir „füh­ren­de Mit­glie­der der SPD” so am Tele­fon erzäh­len, aber bis dahin mache ich mir eigent­lich wesent­lich mehr Sor­gen um Herrn Raa­be, der fröh­lich und mit Ver­ve ver­fas­sung­wid­ri­ge Geset­ze mit aus­wen­dig gelern­ten Argu­men­tenBehaup­tun­gen schön­re­det und sich ansons­ten mit dem The­ma nicht wei­ter aus­ein­an­der­set­zen will:

Den vie­len Schrei­bern, die die­se Stel­lung­nah­me nun wie­der aus dem Zusam­men­hang rei­ßen wer­den, in epi­scher Brei­te und in lan­gen Näch­ten kom­men­tie­ren, mich und mein Büro mit unzäh­li­gen E‑Mails beschimp­fen und belei­di­gen wer­den, gebe ich den gut gemein­ten Rat:

„Get a real life and get help!“

Das ist ja mal eine schö­ne Ein­stel­lung. Liest sich für mich wie: Lasst mich in Ruhe und sucht euch ’nen Arzt. Ist das jetzt Frust? Oder Ärger? Oder Unver­ständ­nis? Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall führt es dann zu sol­chen emo­ti­ons­ge­la­de­nen Beschwer­den über rüden Umgangs­ton, wie sie im Schrei­ben vom 2009-07-10 zu fin­den sind und wie ich sie ganz am Anfang von Teil 1 mei­ner klei­nen Geschich­te zitiert habe. Eigent­lich ist das für alle Sei­ten nicht ziel­füh­rend. Und die Zen­sur­fe­ti­schis­ten lachen sich der­weil ins Fäustchen.

Schluss: An die­ser Stel­le endet die Geschich­te von Dr. Sascha Raa­be und sei­ner Sor­ge um die Pira­ten­par­tei. Es ist kei­ne schö­ne Geschich­te. Hier sind mei­nes Erach­tens Uner­fah­ren­heit und Unwis­sen­heit in schlech­test­mög­li­cher Form auf­ein­an­der­ge­trof­fen. So soll­te poli­ti­scher Dis­kurs eigent­lich nicht ablau­fen. Lei­der sehe ich aber nicht, dass Dr. Raa­be in irgend­ei­ner Wei­se die vie­len, vie­len sehr gut begrün­de­ten Argu­men­te gegen den Netz­sper­ren­wahn­sinn in aus­rei­chen­der Wei­se reflek­tiert. Und auf die Phra­sen­dresch­ma­schi­ne reagie­ren mitt­ler­wei­le sehr vie­le Men­schen in der „Inter­net-Com­mu­ni­ty” aus­ge­spro­chen all­er­gisch. Wir haben ein­mal zu oft die Erfah­rung machen müs­sen, dass sich dahin­ter letzt­lich doch nur des­in­ter­es­sier­te Igno­ranz ver­birgt. Und das akzep­tie­ren wir nicht mehr, dafür sind uns die Grund­wer­te unse­rer Gesell­schaft zu wichtig!


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9 Gedanken zu “Sascha Raabe sorgt sich um die Piratenpartei, Teil 2

  • Toolchild

    „Get a real life and get help!“
    Dazu hät­te ich wirk­lich ger­ne einen Kom­men­tar auf Herrn Rabes Sei­te geschrie­ben. Lei­der hab ich da kei­ne Funk­ti­on gefun­den. Ich glau­be ich wer­de auch SPD Poli­ti­ker wenn ich dann ande­re Par­tei­en nach Lust und Lau­ne als kran­ke Inter­net­süch­ti­ge bzw. Ver­sa­ger bezeich­nen darf ohne öffent­li­che Kom­men­ta­re zuzu­las­sen. Denn genau so ist ein „Get a real life and get help!“ gemeint. Ande­rer­seits, nein, ich möch­te kein SPD Poli­ti­ker sein. Ich den­ke mal das es genau­so ist wie es vor­her­ge­sagt. Der Sascha hat Angst, denn genau das sagt ein „Get a real life and get help!“ aus. 

    Naja es ist wirk­lich bedau­er­lich das er kei­ne Kom­men­tar­funk­ti­on auf sei­ner Sei­te hat.

    Die bei­den Bei­trä­ge hier im Blog fand ich super. Gut auf den Punkt gebraucht und auch sehr lus­tig und vllt etwas nied­lich ver­kind­licht. Das habe sogar ich verstanden 😀

  • Bernd

    @Heiko: sagen wir mal so, die­ser Blog Arti­kel zeich­net sich auch nicht durch son­der­lich viel Gehalt aus. Ich den­ke ein­fach die­se Art sich gegen­sei­tig zu zer­pflü­cken führt (aus­ser dem Unter­hal­tungs­fak­tor) nicht sehr weit.

    Gruss
    Bernd

  • Heiko C.

    Ehr­lich zu dis­ku­tie­ren und auf Argu­men­te sach­lich ein­zu­ge­hen, das ist in der heu­ti­gen Poli­tik nicht unbe­dingt sehr verbreitet.
    Das Phra­sen­dre­schen an sich scheint ein unglaub­lich erfolg­rei­ches Kon­zept sein, sonst würd’s nicht jeder machen. Ich hof­fe nur, dass die Pira­ten das nicht auch irgend­wann übernehmen…