Oliver Thiele eröffnet die Veranstaltung

Podiumsdiskussion von „PlatzDa!” zum Lindener Marktplatz: Ein Abend der kognitiven Dissonanz 12


Kogni­ti­ve Dis­so­nanz ist der unan­ge­neh­me Gefühls­zu­stand, wenn ein Mensch meh­re­re Wahr­neh­mun­gen, Mei­nun­gen oder Wün­sche hat, die nicht mit­ein­an­der ver­ein­bar sind. – Wiki­pe­dia, leicht gekürzt.

Stadt­pla­nung und Nut­zung des öffent­li­chen Rau­mes sind hoch­bri­san­te The­men. Haupt­grund: Die Resour­cen sind strikt begrenzt, jeden Platz in einer Stadt gibt es schließ­lich nur einmal.

Lastenräder und Stadtmöbel auf dem Lindener Marktplatz: Keimzelle der Platz-Da-Initiative

Las­ten­rä­der und Stadt­mö­bel auf dem Lin­de­ner Markt­platz: Keim­zel­le der Platz-Da-Initiative

Wozu das führt, konn­te man ges­tern sehr schön im Lin­de­ner Rat­haus sehen. Im Gig-Saal hat­te die Stadt­teil­in­itia­ti­ve „Platz Da!” zur Podi­ums­dis­kus­si­on gela­den: „Wie wol­len wir leben in unse­ren Stadt­tei­len” war das Mot­to. „Platz Da!” hat im ver­gan­ge­nen Jahr eini­ge sub­ver­si­ve Umnut­zungs­ak­tio­nen auf dem Lin­de­ner Markt­platz ver­an­stal­tet und damit alter­na­ti­ve Nut­zungs­kon­zep­te für die­sen sonst in gro­ßen Tei­len als kos­ten­lo­se Park­flä­che ver­wen­de­ten Stadt­teil­platz auf­ge­zeigt. Mit der Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tung soll­te die­ser Faden nun wei­ter­ge­spon­nen werden.

Oliver Thiele eröffnet die Veranstaltung

Oli­ver Thie­le eröff­net die Veranstaltung

Der Vor­trag

Eine Ein­ord­nung ver­such­te zunächst Pro­fes­sor Hei­ner Mon­heim aus Trier. Er beschäf­tigt sich seit vie­len Jah­ren mit Stadt- und Ver­kehrs­pla­nung. Sei­ne Grund­the­se ist ein­fach: Lebens­raum in der Stadt kann nur ent­ste­hen, wenn man sich in ihm wohl­fühlt, auch als Rad­fah­rer oder Fuß­gän­ger. Stadt­teil­zen­tren wie der Lin­de­ner Markt leben zum aller­größ­ten Teil von „Nah­mo­bi­li­tät” – und die wird zu Fuß zurück­ge­legt. Dafür soll­te man Platz schaffen.

Prof. Heiner Monheim

Prof. Hei­ner Monheim

Span­nend fand ich, dass Mon­heim etwas beklag­te, das auch ich sehe: In Han­no­ver hat sich die Stadt­pla­nung von einer sys­te­ma­ti­schen stadt­wei­ten Gestal­tung des öffent­li­chen Rau­mes hin zu einem Klein-klein ent­wi­ckelt. Er wies auf den ehe­ma­li­gen Stadt­bau­rat Hanns Adri­an hin, der attrak­ti­ve Haupt­fuß­weg­ach­sen wie die Lis­ter Mei­le oder die Lan­ge Lau­be beplant hat­te und bedau­er­te, dass die­se Kon­zep­te nicht wei­ter ver­folgt wor­den seien.

Auch Quar­tiers­ent­wick­lung müs­se nach einem stadt­wei­ten „Mas­ter­plan” erfol­gen – sonst besteht die Gefahr, dass nur ein­zel­ne Vier­tel auf­ge­wer­tet wer­den und damit Ver­drän­gungs­pro­zes­se, die soge­nann­te „Gen­tri­fi­zie­rung”, in Gang gesetzt werden.

Schließ­lich soll­te das Ergeb­nis von Ver­kehrs­be­ru­hi­gung nicht ein­fach nur „weni­ger Auto­ver­kehr” sein, son­dern „schö­ne­re Orte”; nicht Bar­rie­ren, son­dern für jeden erkenn­bar mehr Flä­che. Mon­heim ver­wies hier auf die sehr erfolg­rei­chen Kon­zep­te in Kopenhagen:

Bau­en wir nicht pri­mär Ampeln, son­dern Bäu­me, nicht pri­mär Pol­ler, son­dern Sitz­mög­lich­kei­ten. – Hein­rich Mon­heim über Verkehrsberuhigung.

Das Podi­um

Damit war die Grund­la­ge für das Podi­um gelegt. Und es zeig­te sich sehr schnell, dass die Bret­ter dick sind, die da gebohrt wer­den müssen.

Da war zum Bei­spiel Astrid Ries, Geschäfts­füh­re­rin des Hut­ge­schäfts „Hut up” direkt am Lin­de­ner Markt­platz. Prof. Mon­heim hat­te gera­de erst aus­ge­führt, dass viel­fa­che Stu­di­en seit 30 Jah­ren nach­wei­sen, dass der Stadt­teil-Ein­zel­han­del nur zu einem klei­nen Teil mit dem Auto auf­ge­sucht wird. 80 – 90% der Kun­den kämen zu Fuß – aber die Ein­zel­händ­ler und ihre Lob­by hal­ten bis heu­te an dem extre­men Vor­ur­teil fest, die Auto­fah­rer wür­den den Haupt­teil ihrer Kun­den aus­ma­chen, selbst wenn man ihnen das Gegen­teil mit Zah­len nach­weist. Mon­heim wört­lich: „Sie haben es nicht begriffen.”

Astrid Reis, Geschäftsführerin des Hutgeschäfts

Astrid Reis, Geschäfts­füh­re­rin des Hut­ge­schäfts „Hut up”

Und wie zum Beweis erzählt dann Frau Ries, dass sie selbst in der Tat kei­nen Besu­cher­rück­gang wäh­rend der mehr­wö­chi­gen Bau­stel­le am Lin­de­ner Markt mit Sper­rung für den Auto­ver­kehr habe fest­stel­len kön­nen, „ande­re aber schon”. Inso­fern wären nahe Park­plät­ze doch wich­tig. Fra­ge Mon­heim: „Ist Sams­tag Ihr bes­ter Tag? Da sind die Park­plät­ze wegen des Wochen­mark­tes aber gar nicht da.” Ries sieht kei­nen Zusam­men­hang: „Sams­tag ist doch für jedes Geschäft der bes­te Tag.” Die Nach­fra­ge von Mon­heim, ob sie in ihren Fly­ern angibt, wo Kun­den par­ken kön­nen, erzeugt gera­de­zu Fas­sungs­lo­sig­keit: „Nö. Natür­lich nicht.” Hier ist mir zum ers­ten Mal der Begriff „kogni­ti­ve Dis­so­nanz” in den Sinn gekommen.

Dann Dani­el Gar­de­min, Vor­sit­zen­der des Stadt­ver­ban­des der han­no­ver­schen Grü­nen, Frak­ti­ons­vor­sit­zen­der im Bezirks­rat und Rats­herr. Es klingt fast wie eine Ent­schul­di­gung, als er am Anfang erklärt, dass er ja befan­gen sei, weil er kein eige­nes Auto habe und Car­sha­ring machen wür­de. Und es klingt fast ein wenig resi­gniert, wenn er resu­miert, dass in den letz­ten 25 Jah­ren schon meh­re­re Initia­ti­ven dar­an geschei­tert sei­en, die „mas­si­ven Pro­ble­me” mit dem Auto­ver­kehr in Lin­den zu ver­rin­gern. Trotz zuge­park­ter Ecken und gefähr­de­ten Kin­dern. Eine Zuschaue­rin beschreibt spä­ter anschau­lich, dass der 2 Kilo­me­ter lan­ge Schul­weg ihrer Toch­ter vor 15 Jah­ren quer durch die Süd­stadt unge­fähr­li­cher gewe­sen sei als die 200 Meter ihres Soh­nes heu­te im Bereich des Lin­de­ner Marktplatzes.

Grünen-Ratsherr Daniel Gardemin

Grü­nen-Rats­herr Dani­el Gardemin

Aber Gar­de­min ver­sucht sich wei­ter am Aus­gleich. Er berich­tet von der Anwoh­ner­um­fra­ge der Grü­nen in Lin­den-Mit­te. 60% der rück­mel­den­den Anwoh­ner sagen: „Autos stö­ren im Stadt­bild.” 50% der sel­ben rück­mel­den­den Anwoh­ner sagen: „Ich möch­te auf mei­nen Park­platz nicht ver­zich­ten.” Gar­de­min nennt es „Kon­flikt”, ich den­ke mir ein wei­te­res Mal: „Wie hal­ten die Lin­de­ner die­se kogni­ti­ve Dis­so­nanz aus?” Aus dem Publi­kum wird der­weil bemer­kens­wert aggres­siv die Aus­sa­ge­kraft der Ergeb­nis­se ange­zwei­felt, da die sta­tis­ti­sche Basis zu gering erscheint – trotz der Wider­sprüch­lich­kei­ten in den Aus­sa­gen selbst. Gar­de­min muss die Ein­wür­fe schließ­lich abblo­cken: „Ich füh­re hier jetzt kei­ne Methodendiskussion.”

Stim­mig das Gesamt­bild der CDU-Regi­ons­ab­ge­ord­ne­ten und ‑Orts­vor­sit­zen­den Kat­rin Göl­lin­ger. Ihre Aus­sa­gen an die­sem Abend auf dem Podi­um könn­ten in wei­ten Tei­len einem Rat­ge­ber „Die bes­ten Vor­ur­tei­le über CDU-Ver­kehrs­po­li­tik in bei­spiel­haf­ten Aus­sa­gen” ent­nom­men sein: Autos? Die sind halt da und die Leu­te müs­sen sie abstel­len kön­nen. Plät­ze? Gibt es doch genug. Und über­haupt, der Küchen­gar­ten­platz ist stän­dig ver­müllt. Stadt­grün? Gleich neben­an ist doch der Von-Alten-Gar­ten, ein wun­der­schö­ner Park, viel schö­ner als der Lin­de­ner Markt­platz. Mon­heim dazu: „Jeder Jeck is’ anders. Es gibt auch Men­schen, die nicht in der Grün­an­la­ge sit­zen wol­len, son­dern da wo Leben ist.”

CDU-Regionsabgeordnete Katrin Göllinger

CDU-Regi­ons­ab­ge­ord­ne­te Kat­rin Göllinger

Gera­de­zu gro­tesk wird es, als ein Zuschau­er for­dert, aus inter­na­tio­na­len guten Bei­spie­len zu ler­nen und den Park­raum mas­siv ein­zu­schrän­ken. Göl­lin­ger macht dar­aus eine „Ver­drän­gung von Men­schen” und sagt: „Das fin­de ich nicht gut, ein­fach ‚Autos raus­schmei­ßen’ ist mir zu mager.” Erst im Schluss­wort rela­ti­viert sie das ein wenig und freut sich über jeden, der das Auto ste­hen lässt und Fahr­rad fährt.

Das Ple­num

An vie­len Stel­len bleibt der Abend im Unge­fäh­ren. Ja, sagt der anwe­sen­de Kon­takt­be­am­te der Poli­zei, es wird viel falsch geparkt. Wenn dadurch Kin­der auf dem Schul­weg gefähr­det wer­den, dann redet er mit den Besit­zern. Aber Abschlep­pen? Das sei kompliziert.

Aufstehsoziogramm zu Beginn der Veranstaltung

Auf­steh­so­zio­gramm zu Beginn der Veranstaltung

Man müs­se erst­mal fest­stel­len, so ein Zuschau­er, woher die Men­schen eigent­lich kom­men, die auf dem Lin­de­ner Markt­platz park­ten, und wo sie hin­woll­ten. Er selbst ist auf sein Auto ange­wie­sen und zahlt 50 EUR/Monat für einen Park­platz, weil der Lin­de­ner Markt­platz immer voll ist. Gleich­zei­tig berich­tet der Geschäfts­füh­rer des Car­sha­ring-Anbie­ters Stadt­mo­bil von der Unmög­lich­keit, Park­plät­ze im öffent­li­chen Raum zu bekom­men, was ein Wachs­tum der Flot­te in Lin­den mas­siv behin­dert. Und über allem schwebt irgend­wann die mehr­fach geäu­ßer­te Über­le­gung, die gan­ze Sache mit den Autos sei in Deutsch­land ja auch des­halb so wich­tig, weil so vie­le Arbeits­plät­ze von der Auto­in­dus­trie abhängen.

Die Köni­gin der kogni­ti­ven Dis­so­nanz wird für mich aber die Red­ne­rin aus dem Publi­kum, die ihre inne­re Zeris­sen­heit auf den Punkt bringt: Eigent­lich wären weni­ger Autos auf dem Lin­de­ner Markt­platz ja schön, damit man sich dort tref­fen kann. Aber sie hat halt selbst ein Auto, weil sie – des Arbeits­we­ges wegen – ein­fach nicht dar­auf ver­zich­ten kann.

Lastenräder auf dem Lindener Marktplatz. Ansonsten war das Fahrrad eher Randthema.

Las­ten­rä­der auf dem Lin­de­ner Markt­platz. Ansons­ten war das Fahr­rad eher Randthema.

Wesent­lich strin­gen­ter wer­den die Bei­trä­ge aus dem Publi­kum, wenn es zum The­ma „Fahr­rad” kommt. Ver­schie­de­ne Benach­tei­li­gun­gen im Ver­kehrs­raum und ins­be­son­de­re an Ver­kehrs­kno­ten wer­den genannt. Ein Zusam­men­hang wird her­ge­stellt zwi­schen die­ser Mar­gi­na­li­sie­rung und zuneh­men­den Aggres­sio­nen, denen sich Rad­fah­rer im Stra­ßen­ver­kehr aus­ge­setzt sehen. Eine Zuschaue­rin wird deut­lich: „Poli­tik und Zei­tun­gen in Han­no­ver sind auto­freund­lich und rad­fahr­feind­lich.” Ins­ge­samt sind meh­re­re Wort­mel­dun­gen unzu­frie­den, dass die Dis­kus­si­on die­sen Abend sich zu einem der­art gro­ßen Teil um den Auto­ver­kehr und die Park­platz­pro­ble­ma­tik dreht und den Rad­ver­kehr kaum thematisiert.

Mein Fazit

Der Abend war inter­es­sant als Ver­an­stal­tung zum all­ge­mei­nen Mei­nungs- und an vie­len Stel­len auch Wis­sens­aus­tausch. Initia­ti­ven wie Platz Da! müs­sen dar­auf jetzt aber auf­bau­en und wirk­li­che For­de­run­gen an Poli­tik und Stadt­ge­sell­schaft for­mu­lie­ren. Ein „Wei­ter so” bei der Auto­ver­kehrs­po­li­tik ist nicht mög­lich, schon jetzt reicht der Platz kaum aus. Aber für ein lebens­wer­tes Vier­tel für alle Ein­woh­ner muss mehr pas­sie­ren: Der Auto­ver­kehr wird einen Teil des von ihm seit Jahr­zehn­ten blo­ckier­ten öffent­li­chen Rau­mes abge­ben müs­sen, damit ande­re Ver­kehrs- und Nut­zungs­for­men wie­der mehr Raum bekommen.

Leitete souverän die Veranstaltung: Felix Kostrzewa

Lei­te­te sou­ve­rän die Ver­an­stal­tung: Felix Kostrzewa

Nur auf die­ser Grund­la­ge sind die Ideen von Platz Da! letzt­lich umzu­set­zen. Und das täte Lin­den und dem Lin­de­ner Markt­platz gut. Es ist gro­tesk, eine zen­tra­le Frei­flä­che in einem dicht besie­del­ten Stadt­teil als Park­platz zu ver­schwen­den. Zwar ist lei­der eine gesell­schaft­li­che Rea­li­tät, dass es auf die erwähn­te Umfra­ge der Grü­nen auch Rück­mel­dun­gen gibt mit dem Tenor: „Lie­ber Autos als Kin­der auf dem Platz, die machen kei­nen Krach.” Aber dies kann nicht die Grund­la­ge gesell­schaft­li­chen Han­delns sein. Und auch den wohl geplan­ten Antrag der Grü­nen im Bezirks­rat, wenigs­tens einen Teil der Park­plät­ze auf dem Markt­platz zu strei­chen, hal­te ich höchs­tens für einen Schritt auf einem län­ge­ren Weg – zumal nicht klar ist, ob er ange­nom­men wird und was dann von der Ver­wal­tung umge­setzt wird.

Über­haupt, die Ver­wal­tung. Auch bei die­ser Ver­an­stal­tung fehl­te sie mal wie­der und auch bei die­ser Ver­an­stal­tung kris­tal­li­sier­te sich her­aus, dass mit ihrem Han­deln ein Groß­teil inno­va­ti­ver Ver­kehrs- und Stadt­ent­wick­lungs­kon­zep­te steht und fällt. Poli­tik und Stadt­ge­sell­schaft müs­sen sich hier deut­lich posi­tio­nie­ren, damit sich die Ver­wal­tung hier end­lich anfängt zu bewegen.

Größer als der Lindener Marktplatz aber autofrei und lebendig: Piazza Navona, Rom

Grö­ßer als der Lin­de­ner Markt­platz aber auto­frei und leben­dig: Piaz­za Navo­na, Rom

Platz Da! soll­te sich in die­sem Sin­ne sam­meln und kla­re For­de­run­gen stel­len. Wenn hier im Sin­ne von Prof. Mon­heim die Attrak­ti­vi­tät ande­rer Nut­zungs­kon­zep­te genau­so klar wird wie die Qua­li­täts­stei­ge­rung, die damit für den Lin­de­ner Markt­platz und das gan­ze Vier­tel ein­her­ge­hen, dann lässt sich mei­nes Erach­tens deut­lich mehr errei­chen ein paar weg­ge­pol­ler­te Park­plät­ze. Aber Trom­meln gehört zum Hand­werk; und in die­sem Fall muss das Trom­meln viel­leicht beson­ders laut sein. Sonst bleibt die kogni­ti­ve Dis­so­nanz bestehen, in der Men­schen zwar das Auto irgend­wie nicht gut fin­den, auf ihren lieb­ge­won­nen Park­platz vor der Haus­tür aber auch nicht ver­zich­ten wol­len. Am 2017-09-16 ist das nächs­te Tref­fen der Initia­ti­ve.


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12 Gedanken zu “Podiumsdiskussion von „PlatzDa!” zum Lindener Marktplatz: Ein Abend der kognitiven Dissonanz

  • Ullie

    Auf­fäl­lig ist, das kei­ner in der Dis­kus­si­on es gewagt hat Krie­te­ri­en dafür auf­zu­stel­len, oder aber zumin­dest einen Krie­te­ri­en­ka­ta­log dafür ein­zu­for­dern, was drin­gend not­wen­di­ger Auto­ver­kehr ist und wel­che Form von Auto­ver­kehr ver­zicht­bar ist. Dabei gibt es dafüer eine bereits vor Jahr­zehn­ten erstell­tes Raster:
    Wirt­schafts­ver­kehr (inklu­si­ve ret­tungs­diens­te, Ver- und Ent­sor­gung) ist notwendig.
    Arbeits­tät­ten­zu­brin­ger­ver­kehr, Frei­zei­ot­stät­ten­zu­brin­ger­ver­kehr und Ein­kaufs­stät­ten­zu­brin­ger­ver­kehr ist ver­zicht­ba­rer Autoverkehr.
    Ent­spre­chend sind Berech­ti­gun­gen zu ertei­len oder eben nicht zu ertei­len dafür, wer ein Auto in der Stadt benut­zen kann und wer nicht.
    Was hin­ge­gen gar nicht geht ist Ver­kehrs­po­li­tik, wie Hil­b­recht sie betreibt: Den Rück­bau des Kla­ges­mark­tes als Zer­stö­rung von Grün­flä­chen zu kri­ti­sie­ren, obwohl die Grün­flä­che im Inne­ren des Krei­sels nie zugäng­lich war.
    Eine Ver­dich­tung der Bebau­ung zu kri­ti­sie­ren, obwol dabei oft ledig­lich Park­plät­ze bebaut wer­den, jeden­falls kei­ne wert­vol­len Plät­ze zer­stört werden.
    Und dann noch auf den Grü­nen rum­ha­cken mit dem Argu­ment, sie sei­en ja eine „Ver­bots­par­tei” nur weil sie als ein­zi­ge im Par­tei­en­spek­trum es wagen dar­auf hin­zu­wei­sen, dass es in der Ver­kehrs­po­li­tik ein „Wei­ter so” nicht geben darf.
    Und das Aller­letz­te kommt von der Pira­ten­par­tei, die den ober­ir­di­schen Aus­bau der Linie 10/17 im Wahl­kampf popu­lis­tisch aus­ge­schlach­tet hat, obwohl genau das zu einer Ver­kehrs­wen­de bei­trägt, wenn die Stadt­bahn nicht dem Auto­ver­kehr zu Lie­be unter die Erde ver­bannt wird.
    Man kann es natür­lich auch über den Preis regeln, dann aber wer­den wir noch viel mehr Geme­cker à la Strat­zek zu hören bekommen.

  • Stratzek

    „Auch Quar­tiers­ent­wick­lung müs­se nach einem stadt­wei­ten „Mas­ter­plan“ erfol­gen – sonst besteht die Gefahr, dass nur ein­zel­ne Vier­tel auf­ge­wer­tet wer­den und damit Ver­drän­gungs­pro­zes­se, die soge­nann­te „Gen­tri­fi­zie­rung“, in Gang gesetzt werden.“ 

    Genau das wer­fe ich den Platz­da-Akti­vis­ten vor. Den geht es noch nicht mal um den gan­zen Stadt­teil, son­dern nur um „ihre“ Stra­ßen rund um den Lin­de­ner Marktplatz. 

    Der Auto­ver­kehr (ein­schließ­lich der Bus­li­nie) soll in die Stra­ßen Fal­ken­stra­ße, Schwar­zer Bär, Blu­men­au­er, Föss­estr. abge­drängt wer­den. Sie selbst wol­len aber nicht auf ihren PKW ver­zich­ten und for­dern Anwoh­ner­stra­ßen und ‑park­plät­ze für sich. Es ist doch klar, dass ein so mit Pri­vat­stra­ßen abge­grenz­tes Dorf noch mehr Bes­ser­ver­die­nen­de anlockt und die Mie­ten wei­ter stei­gen. Wenn man übri­gens die Lis­te mit den Platz­da-Unter­stüt­zern auf deren Blog durch­liest, ste­hen da fast nur Leu­te mit guten Jobs. Auch mit Eigen­tums­woh­nun­gen? Das fällt doch auf.

    Gegen Lärm und Abga­se muss stadt­weit vor­ge­gan­gen wer­den. 30km/h auf allen Stra­ßen, alte Die­sel­stin­ker raus, rasche Ver­bes­se­rung der Fahr­rad­in­fra­struk­tur. Neue Park­plät­ze schaf­fen, wie von den Platz­Da-Leu­ten im Ihme­zen­trum gefor­dert, ist jeden­falls kei­ne Lösung.

    • Dirk Hillbrecht Autor des Beitrags

      Mit dem Zitat am Anfang bezieht sich Prof. Mon­heim aller­dings auf die Stadt­ver­wal­tung und ‑poli­tik, nicht auf loka­le Initia­ti­ven. Es liegt in der Natur der Sache, dass die die Situa­ti­on vor der eige­nen Haus­tür im Blick haben – des­halb haben sie sich ja zusammengefunden.

      Vom „Abdrän­gen des Auto­ver­kehrs” fin­de ich bei Platz­Da nichts, viel­mehr geht es um die Unter­bin­dung von _Durch­gangs_-Ver­kehr – und eine men­schen­ge­rech­te­re Reor­ga­ni­sa­ti­on des ruhen­den Ver­kehrs. Ihre Ein­las­sun­gen zu „Pri­vat­stra­ßen” und Ihre Ver­mu­tun­gen bezüg­lich Ein­kom­mens- und Eigen­tums­ver­hält­nis­sen über­schrei­ten m.E. die Gren­ze von der Kri­tik zur Polemik.

      • Stratzek

        Also dann erklä­ren Sie mal: Wo bleibt denn ihr „unter­bun­de­ner Durch­gangs­ver­kehr“? Lösen sich die Autos in Luft auf? 

        Die platz­da-Akti­vis­ten machen kei­nen Hehl dar­aus, dass sie den Bus 100 in die Fal­ken­stra­ße umlei­ten und die Autos in die Blu­men­au­er abschie­ben wol­len (sie­he deren Blog). Wenn die Park­plät­ze auf dem Lin­de­ner Markt­platz näm­lich ohne Ersatz auf­ge­ge­ben wer­den, par­ken die Autos die Geh- und Rad­we­ge zu. Wie man es jetzt schon oft in Lin­den sieht. 

        Was mei­nen Sie? Haben die Anwoh­ner der Fal­ken­stra­ße, Blu­men­au­er­stra­ße, Föss­e­stra­ße kein Anrecht auf Ver­kehrs­be­ru­hi­gung, auf gute Luft für sich und ihre Kinder?

        • Dirk Hillbrecht Autor des Beitrags

          Sie ver­knüp­fen Din­ge, die nichts mit­ein­an­der zu tun haben, es geht hier um den Lin­de­ner Markt­platz und nicht um die Blu­men­au­er Stra­ße. Und Sie pos­tu­lie­ren Pro­ble­me, die kei­ne sind, denn Falsch­par­ker kann man abschleppen.

          Abge­se­hen davon: Ja, eine gute Ver­kehrs- und Stadt­in­fra­struk­tur führt tat­säch­lich zu weni­ger Autos, da dann Men­schen ihr Auto ab- bzw. nicht anschaf­fen, son­dern auf alter­na­ti­ve Ver­kehrs­mit­tel (ÖPNV, Rad, Car­sha­ring) umstei­gen. Inso­fern nüt­zen Initia­ti­ven wie Platz­Da lang­fris­tig der gan­zen Stadt.

          • Stratzek

            Ihre Aus­sa­ge ist falsch. Sie ken­nen die Zie­le der Platz­da-Akti­vis­ten nicht und sie sind offen­bar mit der Ver­kehrs­si­tua­ti­on in Lin­den nicht ver­traut. Falsch­par­ker wer­den in Lin­den nur abge­schleppt, wenn die Stra­ße blo­ckiert ist, z.B. Bus­se oder Stra­ßen­bah­nen nicht mehr durch­kom­men. Bei zuge­park­ten Rad- und Geh­we­gen pas­siert gar nichts. Sie zitie­ren doch in ihrem eige­nen Arti­kel hier einen Poli­zei­be­am­ten der sagt, dass „Abschlep­pen kom­pli­ziert“ wäre.

            Sie soll­ten sich schon die Mühe machen den Platz­da-Blog zu lesen. Ich blei­be auch bei mei­ner Aus­sa­ge, dass mit einer evtl. Umset­zung derer Visio­nen die Gen­tri­fi­zie­rung in Lin­den geför­dert wird. 

            War­um nicht Ver­bes­se­run­gen schaf­fen, die nicht unmit­tel­bar auf Kos­ten ande­rer Stra­ßen gehen? 

            Mit einer Fahr­rad­stra­ße Eli­sen­stra­ße ‑Ste­pha­nus­stra­ße wäre ich ein­ver­stan­den. 30 km/h, auch auf Haupt­stra­ßen. Park­plät­ze nur schritt­wei­se abbau­en und nicht im Block, um Park­cha­os zu vermeiden.
            Kla­res Nein zu Anlie­ger­stra­ßen und ‑park­plät­zen!

        • Ullie

          Für die Bus­li­nie 100 ist gera­de am Lin­de­ner Markt­platz die Bus­hal­te­stel­le aus­ge­baut wor­den, so dass jetzt an allen drei Türen eines Gelenk­bus­ses ein- und aus­ge­stie­gen wer­den kann, ohne sich an par­ken­den Auto ent­lang­zwän­gen zu müs­sen. Da will und wird kei­ner die Omni­bus­li­nie ver­le­gen. Und ja! Dafür sind ein bis zwei Park­plät­ze weg­ge­fal­len! Und das ist gut so, auch wenn Strat­zek dann viel­leicht irgend­wel­che wüs­ten Ver­schwö­rungs­theo­rien dar­über ent­wi­ckelt, wer da wen ver­drän­gen möch­te oder aber vor­gibt im all­ge­mei­nen Inter­es­se zu han­deln, aber in Wirk­lich­keit angeb­lich nur sei­ne ganz pri­va­ten verfolgt.
          Das müss­test du Strat­zek doch an aller­ers­ter Stel­le all jenen unter­stel­len, die sich für mehr Park­plät­ze im Stadt­teil stark machen. Ver­fol­gen die ent­spre­chend dei­nem Denk­an­satz nicht zual­ler­erst ihr ganz pri­va­tes Inter­es­se an einem kos­ten­frei­en Stell­platz für ihr Auto?

          • Stratzek

            Tja Ull­rich,
            auch dir muss ich lei­der vor­hal­ten, dass du den Blog der platz­da-Akti­vis­ten gar nicht gele­sen hast. Auf wel­cher Grund­la­ge wollt ihr eigent­lich mit mir diskutieren?

            Die Umlei­tung der Bus­li­nie 100 ist erklär­tes Ziel der Aktivisten.
            Und für mehr Park­plät­ze mache nicht ich mich, son­dern die Akti­vis­ten sich stark, in dem sie Stadt­teil­ga­ra­gen fordern.

            Du wirst kei­nen Thread mit mir fin­den, wo ich mehr Park­plät­ze for­de­re, egal ob kos­ten­pflich­tig oder gra­tis. Ich möch­te aber, dass die Plät­ze am Lin­de­ner Markt­platz zur­zeit noch erhal­ten blei­ben, um Park­cha­os zu ver­mei­den. Denn genau die­ser wür­de dann zum Anlass genom­men, den Ver­kehr in ande­re Stra­ßen abzudrängen.