Die Piratenpartei und das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE): War da was? 1


Ges­tern abend gab es in der Pira­ten-Geschäfts­stel­le in Han­no­ver einen „BGE-The­men­abend”. Gela­den wur­de zu einer „Dis­kus­si­ons­run­de” und der Kern­satz der Ein­la­dung hät­te mich war­nen sol­len: „Wir dis­ku­tie­ren dar­über und schau­en, was dabei her­aus­kommt!” Und so war es dann auch: Als ich – beruf­lich bedingt etwas ver­spä­tet – ein­traf, war die Dis­kus­si­on bereits im Gan­ge. Dar­um, dass es ver­schie­de­ne Model­le gibt (Grund­ein­kom­men, Sockel­be­trag, nega­ti­ve Ein­kom­men­steu­er,…). Dass die­se etwas kos­ten (800 Mio, 1,2 Mrd, 1,5 Mrd,…). Wie­viel jeder bekom­men soll (400 EUR, 800 EUR, 1200 EUR, 1500 EUR,…). Wer über­haupt (Alle Deut­schen in Deutsch­land, alle Deut­schen egal wo, alle in Deutsch­land,…). Ob jeder gleich viel bekommt (Kin­der, Alte, Behin­der­te, Erwerbs­lo­se,…). Wie man das gan­ze finan­ziert (50% Mehr­wert­steu­er, 150% Mehr­wert­steu­er, Weg­fall ande­rer Sozi­al­leis­tun­gen,…). Die poli­tischs­te Fra­ge war noch, war­um man das gan­ze über­haupt haben will: Geht es eher um die per­sön­li­che Frei­heit des Ein­zel­nen oder um die sozia­le Sicherung?

Kurz: Es war die gefühlt ein­tau­send­sie­ben­hun­dert­acht­und­neun­zigs­te Dis­kus­si­on zu dem The­ma, die genau so wie all die bis­he­ri­gen ablief: Vie­le All­ge­mein­plät­ze, leuch­ten­de Augen beim Beschrei­ben der Vor­tei­le, die eine sol­che Grund­si­che­rung böte, all­ge­mei­ne Über­ein­stim­mung, dass wir eine sol­che Umkrem­pe­lung der deut­schen Gesell­schaft vor­an­brin­gen wol­len – aber qua­si kei­ne belast­ba­ren Zah­len oder Über­le­gun­gen zu einem in sich geschlos­se­nen Kon­zept, was man denn nun ger­ne hätte.

Die meis­ten Anwe­sen­den umtrieb, das war den Rede­bei­trä­gen zu ent­neh­men, vor allem die Abschaf­fung des Arbeits­lo­sen­gel­des II („Hartz IV”). Meh­re­re Anwe­sen­de beschrie­ben eige­ne, wenig erfreu­li­che Erfah­run­gen mit die­sem Sys­tem. Ich kann hier nichts Eige­nes besteu­ern und ich will nicht abstrei­ten, dass das ALG II („Hartz IV”) sozia­le Här­te­fäl­le und uner­träg­li­che Ein­grif­fe in Lebens­ent­wür­fe und per­sön­li­che Frei­räu­me bedeu­tet, dass es das viel­leicht sogar soll – aber das allein ist noch kein poli­ti­sches Argu­ment! Dar­über hin­aus wur­de es aber sofort dün­ne mit belast­ba­ren Aus­sa­gen. „Ich glau­be”, „ich glau­be nicht”, „ich habe gehört”, „es ist doch klar” – so began­nen die meis­ten Äuße­run­gen in der Run­de. Und aus die­sem Glau­ben oder Hören­sa­gen wur­den dann irgend­wel­che Schlüs­se gezo­gen: „Ich habe gehört, dass das Götz-Wer­ner-Modell mit einer 150%-Mehrwertsteuer arbei­tet.” – „Nein, ich glau­be, es sind nur 50%” – „Ach so.”

Ein Ver­gleich von sechs Grund­ein­kom­mens- bzw. Grund­si­che­rungs­mo­del­len ging her­um, etwas alt­mo­disch als ein­zel­ner Aus­druck auf Papier. Mei­nen sämt­li­chen Vor­be­trach­tern war die Fuß­zei­le nicht auf­ge­fal­len: „Stand: April 2007”. Nach­fra­ge mei­ner­seits: „Ist das der Stand, auf den wir hier gera­de auf­bau­en?” – „Öhm, hm… Joah…” – „Aber ist das nicht ein biss­chen ver­al­tet?” – „Naja, so viel ist ja seit­dem nicht pas­siert.” – „Hat das mal wer nach­ge­prüft?” – „Nö, warum?”

War­um??? Der April 2007 liegt mitt­ler­wei­le über sechs Jah­re zurück. Zwi­schen­zeit­lich gibt es eine welt­wei­te Wirt­schafts­kri­se, diver­se Umwäl­zun­gen in ver­schie­de­nen Volks­wirt­schaf­ten, mas­si­ve Ero­si­ons­er­schei­nun­gen der inner­eu­ro­päi­schen Wirt­schaft – nichts pas­siert??? Als Bei­spiel hier mal die Arbeitslosenzahlen:

Arbeitslosenquote in Deutschland - Jahresdurchschnittswerte bis 2013
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Da hat sich seit 2007 erheb­li­ches geän­dert. Aber statt da mal drauf ein­zu­ge­hen oder zumin­dest ein Modell durch­zu­rech­nen und einen Rea­li­täts­check zu machen, wird fröh­lich irgend­was her­bei­ge­wünscht und mit „ich habe da mal gehört” begründet.

Leu­te, so geht das nicht!

Wir wol­len als poli­ti­sche Par­tei ein The­ma beset­zen. Seit dem Chem­nit­zer Par­tei­tag 2010 sind Grund­ein­kom­men und Grund­si­che­rung auf der bun­des­po­li­ti­schen Agen­da der Pira­ten. Und seit 2010 hat sich an den (von mir wahr­ge­nom­me­nen) inter­nen Dis­kus­sio­nen nichts geän­dert: Es wer­den ver­schie­de­ne „Model­le” mehr oder weni­ger kom­pe­tent vor­ge­stellt, man redet mehr oder weni­ger enga­giert dar­über, wel­ches war­um bes­ser oder schlech­ter ist – aber ist abso­lut kein Fort­schritt in die­ser Dis­kus­si­on zu ver­zeich­nen. Kon­kre­te Zah­len? Prä­fe­ren­zen für bestimm­te Sys­te­me? Über­haupt mal Check, wel­ches BGE-Modell eigent­lich mit den poli­ti­schen und gesell­schaft­li­chen Grund­sät­zen der Pira­ten­par­tei ver­ein­bar ist? Fehl­an­zei­ge!

Und so wol­len wir Wäh­ler über­zeu­gen, dass sie uns wegen die­ses The­mas ihre Stim­me geben sol­len? Das über­zeugt nicht mal mich!

Nun ist das etwas unfair von mir. Es ist ja nicht so, dass sich gar nichts getan hät­te. Der Kaper­brief beschäf­tigt sich in einer gan­zen Aus­ga­be mit dem BGE. Dort sind die Grund­la­gen der Dis­kus­si­on vor­züg­lich dar­ge­stellt. Es gibt sogar ein Modell, dass aus der Pira­ten­par­tei selbst kommt: „Sozi­al­staat 3.0″ nennt sich das – etwas nerdig mit dem Namens­zu­satz „Ver­si­on 1.2”.

Seit über zwei­ein­halb Jah­ren arbei­tet sich die Pira­ten­par­tei jetzt an dem The­ma „BGE” ab. Ich hal­te es nicht für ver­mes­sen, dass wir lang­sam mal in die Strümp­fe kom­men und aus den Modell­ver­glei­chen und all­ge­mei­nen Über­le­gun­gen zu einer greif­ba­ren Posi­ti­on kom­men: Wie soll es unse­rer Mei­nung nach denn nun aus­se­hen, das „BGE”? Oder: Wel­che Model­le haben wel­che Vor- und Nach­tei­le? Dann kön­nen wir damit die poli­ti­sche Büh­ne „entern”, Wäh­ler über­zeu­gen und es pas­siert viel­leicht nicht mehr so mas­siv, dass an Wahl­stän­den von acht Pira­ten die Hälf­te nicht weiß, was sie zum BGE sagen soll und in der ande­ren Hälf­te jeder etwas ande­res erzählt. Dafür wäre aber die Grund­vor­aus­set­zung, dass wir erst­mal selbst anfan­gen, uns damit zu beschäf­ti­gen, was wir eigent­lich kon­kret wollen.

Und da war die Ver­an­stal­tung ges­tern abend eher nicht so für geeignet…


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