Heilbronn gehört zu den Städten, die ihr Straßenbahnnetz nach 1945 stillgelegt haben. Erst seit 2001 gibt es hier wieder einen innerstädtischen schienengebundenen Nahverkehr in Form der Linie S4 des Karlsruher Stadtbahnnetzes. Auf dem Bild sehen wir den Beginn dieser Innenstadtstrecke, die kurz vor dem Heilbronner Hauptbahnhof aus dem Eisenbahngleisbereich ausfädelt und über den Bahnhofsvorplatz führt.
Das Besondere an der Karlsruher Stadtbahn ist, dass sie als erstes System weltweit Straßen- und Eisenbahnverkehr miteinander verknüpft hat. Dieselben Fahrzeuge, die innerstädtisch über das Straßenbahnnetz fahren, wechseln an einem bestimmten Punkt auf „echte” Eisenbahnstrecken und bedienen so regionale oder sogar überregionale Verkehrsbedürfnisse. Die ersten derart bedienten Strecken im Karlsruher Umland in den frühen 1990er Jahren waren ein derart kollossaler Erfolg (teilweise stiegen die Fahrgastzahlen um das 50-fache), dass das System in den folgenden 15 – 20 Jahren in alle Richtungen ausgebaut wird und heute das gesamte Karlsruher Umland bis in den mittleren Schwarzwald hinein erschließt. Viele andere Städte – in Deutschland zum Beispiel Kassel oder Saarbrücken – haben ähnliche Konzepte umgesetzt. International werden derartige Systeme häufig als „tram-train” bezeichnet, im deutschsprachigen Raum ist auch die Bezeichnung „Karlsruher Modell” geläufig.
Straßen- und Eisenbahn miteinander zu kombinieren wirft eine Reihe technischer und regulatorischer Fragen auf. Dass die Spurweite identisch sein muss, leuchtet unmittelbar ein. Allerdings muss auch die „Form” der Räder geeignet gewählt sein, damit der Wagen sowohl über Eisenbahn- als auch die anders konstruierten Straßenbahnweichen fahren kann. Das technologische „Ei des Kolumbus” ist jedoch die Stromversorgung der Fahrzeuge. Erst die Leistungselektronik der 1980er Jahre macht es möglich, dass ein Fahrzeug relativ problemlos sowohl mit der üblichen Straßenbahnstromversorgung von 600 bis 800 Volt Gleichstrom als auch den 15 Kilovolt Wechselstrom des Eisenbahnnetzes betrieben werden kann.
Dazu kommt ein erheblicher regulatorischer Aufwand. Insbesondere unterliegen Eisenbahnen und Straßenbahnen völlig unterschiedlichen Regelwerken. Für erste gilt die EBO (sprich: „Eh-Beh-Oh”), die „Eisenbahnbau- und ‑betriebsordnung”, für letztere die „BOStrab” („Beh-Oh-Strab”), die „Bau- und Betriebsordnung für Straßenbahnen”. Und genau darauf weisen die Schilder auf unserem Bild hin. Es ist am Übergang vom Eisenbahn- zum Straßenbahnbereich angebracht. Das oberste Schild „Halt für Rangierfahrten” bedeutet eventuellem Eisenbahnverkehr, dass an dieser Stelle Schluss ist. Zugfahrten können auf dieses Gleis wohl sowieso nicht gelenkt werden und Rangierfahrten müssen anhalten. Das nächte Schild, „Straßenbahn frei”, ergänzt das ganze. Eigentlich handelt es sich hierbei um ein Schild aus dem Straßenverkehr, aber mit ein bisschen gutem Willen kann man es geeignet interpretieren: „Eisenbahnfahrzeuge, die zufällig auch als Straßenbahn zugelassen sind, dürfen weiterfahren”. Dann kommt schon das erste Nicht-mehr-Eisenbahn-Schild: Die „3” im Dreieck ist die Ankündigung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h. Wenn man dem Gleis weiter folgt, sieht man etwa 100 Meter weiter eine „3” in einem gelben Rechteck – dort beginnt die angekündigte Geschwindigkeitsbegrenzung. Und das vierte Schild am Mast schließlich benennt nochmals explizit, dass an dieser Stelle der Straßenbahnbereich und mit ihm die Gültigkeit der „BOStrab” beginnt.
Der Stadtbahnzug im Bild ist gerade auf dem Weg nach Karlsruhe und passiert auf seinem Gleis in wenigen Sekunden die Wechselstelle in die andere Richtung: Bis kurz vor den Karlsruher Albtalbahnhof ist er jetzt nach „EBO” als Eisenbahn unterwegs.
Im Bild links der beiden Streckengleise nach Karlsruhe erkennt man zwei weitere Gleise. Diese gehören zu einer Kehranlage, die etwa in Höhe des Zuges Richtung Karlsruhe in die Streckengleise münden. Und da wir uns an der Stelle bereits im Straßenbahnbereich befinden, braucht es dafür keine „richtigen” Signale, sondern nur ganz normale Straßenbahnampeln. Das alles geschieht übrigens noch unter 15 kV Bahnstrom. Die Wechselstelle für die Stromversorgung befindet sich erst hinter der Haltestelle auf dem Bahnhofsvorplatz. Diese enorme technische und regulatorische Flexibilität ist eines der Erfolgsrezepte des Karlsruher und damit auch des Heilbronner Stadtbahnmodells.