Laatzens merkwürdigste Brücke – Alte Autobahnplanungen für die A30 und was von ihnen bleibt sowie alle im Artikel enthaltenen Grafiken und Fotos von Dirk Hillbrecht stehen unter einer Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland Lizenz.
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Ich möchte heute mal eine neue Artikelserie hier im Blog anfangen: Spannende Verkehrsbauwerke. Manchmal trifft man auf ein Bauwerk, dessen Sinn man sich nicht recht erklären kann. Häufig sind dies Brücken, es können aber auch besonders breite Straßen, im Nichts endende Abzweigungen oder irgendwelche anderen Verkehrsbauwerke sein. Wenn ich so etwas sehe, ist immer meine Neugierde geweckt, denn häufig erzählt die Geschichte um so ein Bauwerk herum von früheren Zeiten und von Planungen und Ideen, die es einst gab und die dann aus irgendwelchen Gründen nicht weiter verfolgt wurden.
So auch hier.
Eine Brücke in Laatzen
Wenn man in Laatzen südlich von Hannover vom Park der Sinne in Richtung Hildesheimer Straße geht, befindet man sich auf dem „Expo-Weg”. Er kreuzt zunächst die Erich-Panitz-Straße auf einer geschwungenen Brücke, führt dann am Laatzener Festplatz vorbei und schließlich auf den Bahndamm der Eisenbahnstrecken zwischen Laatzen und Rethen zu. Unter diesem wird er in einer Brücke hindurchgeführt.
Aber was für eine Brücke.
Das Bauwerk ist offensichtlich völlig überdimensioniert für diesen kleinen Fußgängerweg. Im südlichen Brückenfeld (im obigen Bild links) kann man zudem sehen, dass die Geländehöhe des Einschnitts viel zu niedrig für eine „normale” Straße ist. Im tiefer ausgehobenen nördlichen Brückenfeld ist der Weg von breiten Böschungen gesäumt, die die Durchfahrtsbreite stark einschränken. Der Mittelpfeiler wiederum scheint nur bis auf Höhe dieser Böschungen vollständig ausgeführt, es ist aber anzunehmen, dass er tiefer gegründet ist.
Wieso steht hier mitten in Laatzen eine solche Brücke in der Landschaft?
Die Eisenbahnstrecke
Drehen wir die Zeit zurück in das Jahr 1973. In diesem Jahr begannen die Bauarbeiten an der Eisenbahn-Schnellfahrstrecke Hannover-Würzburg. Allerdings war damals die Streckenführung südlich von Rethen noch nicht klar. Deshalb umfasste der erste Bauabschnitt nur den Bereich Hannover-Bismarckstraße bis Bahnhof Rethen. Hier war der Ausbau jedoch sehr umfangreich: Bisher befand sich hier eine einfache zweigleisige Eisenbahnstrecke, die nun auf vier Gleise verbreitert wurde. Alte und neue Strecke wurden dabei auf einem gemeinsamen Verkehrsweg integriert, sodass das ganze eigentlich ein kompletter Neubau der gesamten Trasse war. Fertig gestellt wurde dieser Abschnitt der Strecke Hannover-Würzburg übrigens bereits 1979, zwölf Jahre vor der Gesamtinbetriebnahme.
Das erklärt, wann diese Brücke entstanden ist, aber noch nicht, warum.
Die Autobahn A30
Hier kommt nun eine andere Planung jener Tage ins Spiel: Anfang der 1970er Jahre gab es auch sehr umfangreiche Pläne, das Autobahnnetz zu erweitern. Einer dieser Pläne betraf die Autobahn A30: Sie führt heute von der niederländischen Grenze bis nach Bad Oeynhausen. Den Planungen jener Tage zu Folge wäre sie von dort aus nach Osten weitergeführt worden, und zwar etwa dem Verlauf der B65 folgend über Minden, Stadthagen und Bad Nenndorf in den Süden Hannovers und von dort weiter nach Braunschweig. Im Stadtgebiet von Hannover hätte sich etwa folgende Trassierung ergeben:
- Die Autobahn wäre im Westen in einer Parallellage zur B65 gebaut worden, hätte sich nordwestlich von Ronnenberg von dieser getrennt und wäre zwischen Ronnenberg und Empelde verlaufen.
- An der Kreuzung mit der B217 hätte es die Anschlussstelle Wettbergen gegeben
- Die Autobahntrasse hätte südlich an Devese vorbeigeführt und die Trasse der heutigen B3 zwischen Hemmingen und Arnum gekreuzt. Dort oder an der Kreuzung mit der ebenfalls geplanten B3-Ortsumgehung um Hemmingen und Arnum herum hätte es auch eine Anschlussstelle gegeben.
- Die Autobahn wäre dann bei Wilkenburg weiter durch das Leine-Überflutungsgebiet geführt worden, hätte Laatzen durchquert und wäre ein Stück südlich der Kronsbergkreuzung (der heutigen B6-Abfahrt „Messe-Süd”) auf die Trasse der B6 getroffen, wo es das Autobahndreieck Messe mit einer nur zu Messezeiten geöffneten Anschlussstelle Messe gegeben hätte.
Bis hierhin hatte man den Trassenverlauf grob festgelegt. In einem späteren Schritt sollte die Autobahn dann bis Braunschweig führen, wobei der heutige südliche Teil der A37, der sogenannte „Messestutzen”, Teil der A30 geworden wäre (und die A37 im Zuge der heutigen B6 nach Hildesheim weitergeführt hätte, aber das ist eine andere Geschichte…). Östlich davon sind die Planungen aber nie so weit gediehen, dass auch nur der Streckenverlauf genauer geklärt gewesen wäre.
Und das ist dann des Rätsels Lösung, warum mitten in Laatzen eine straßenlose Brücke unter der Eisenbahn hindurchführt: Genau hier wäre nach diesen Planungen die Autobahn A30 verlaufen! Direkt östlich der Unterführung wäre die Anschlussstelle Laatzen gewesen. Die „Ohren” der Abfahrten hätten dabei auf der Erich-Panitz-Straße geendet, und zwar im Norden gegenüber der Einmündung Karlsruher Straße und im Süden in Höhe des Sankt-Florian-Wegs, der passenderweise zur Feuerwehr führt, die hier in den 1990er Jahren gebaut wurde.
Die A30 hätte die Erich-Panitz-Straße genau in Höhe der heutigen Fußgängerbrücke zum Park der Sinne gekreuzt und dieser Planung wegen ist die Straße höchstwahrscheinlich an dieser Stelle auch so tief gelegt: Die Autobahn hätte auf dem kurzen Stück zwischen Eisenbahn und Straße sonst nicht genügend Höhe für eine Brücke gewinnen können.
Die Brücke und andere Vorleistungen
Die A30-Planungen müssen Anfang/Mitte der 1970er Jahre so aktuell gewesen sein, dass man an dieser Stelle umfangreiche Vorleistungen erbracht hat: Nicht nur die Brücke unter der Eisenbahn, auch die Einmündung der Karlsruher Straße in die Erich-Panitz-Straße ist sehr großzügig trassiert. Und als Kind habe ich mich immer sehr über die bereits vollständig vorbereitete Einmündung der südlichen Auffahrt in die damals noch Hauptstraße genannte Magistrale in die Laatzener Neubaugebiete gewundert – sie endete nach wenigen Metern im Wall westlich der Straße. Beim Bau des Sankt-Florian-Wegs wurde dieser Bereich vollständig umgestaltet und ist heute so nicht mehr erhalten.
Auch andere Teile der Planung erscheinen aus heutiger Sicht wundersam: Die Brücke ist kaum breit genug für eine vierstreifige Autobahn mit Beschleunigungs- und Bremsstreifen für die Auffahrt und zusätzlicher Standspur, wie das heute üblich ist. Angesichts des knappen Platzes für die Auffahrt hätte diese aber auf jeden Fall unter der Eisenbahn hinwegreichen müssen.
Die Ortsdurchfahrt Grasdorf im Zuge der Hildesheimer Straße wäre zudem rigoros durchschnitten worden und eine ganze Reihe von Häusern hätte abgerissen werden müssen. Zwar ist an dieser Stelle in der Tat der Bebauungsstreifen in ganz Laatzen am schmalsten, die Schnellstraße hätte aber direkt neben dem Laatzener Bad einerseits und dem Agnes-Karll-Krankenhaus andererseits gelegen.
Die A30-Planungen sind östlich von Bad Oeynhausen mittlerweile vollständig aufgegeben, die Autobahn wird also nie kommen. Aus heutiger Sicht wäre das auch deshalb völlig sinnlos, weil mit der A2 bereits eine hervorragend ausgebaute Autobahn zwischen Bad Oeynhausen und Braunschweig existiert und die A30 sich nie weiter als 20 km von dieser entfernt hätte. Bevor man nun aber den damaligen Planern Unfähigkeit unterstellt, sollte man sich vor Augen führen, dass in den 1960er Jahren die A2 noch auf dem Ausbaustand von 1939 war. Da machte es durchaus Sinn, eine solche Entlastungsstrecke zu projektieren. Ich vermute ja, dass die Grundsatzentscheidung zum sechsstreifigen A2-Ausbau gleichzeitig das Aus für die A30 bedeutete.
Es war also nur ein relativ kurzes Zeitfenster, in dem die Planungen so konkret waren, dass bereits Vorleistungen erbracht wurden. Genau in diesen Zeitraum sind die Neu- und Umbauten im nördlichen Laatzen gefallen, sodass wir hier so eine Art „Phantom-Autobahnabfahrt” einer Phantomautobahn haben.
Eventuell – aber das ist jetzt endgültig pure Spekulation – hätte die Abfahrt Laatzen sich letztlich als nicht realisierbar herausstellen können – sei es wegen der Brückenbreite, sei es wegen der Nähe zum Knoten mit der B6/A37. Die A30-Planungen sind wohl nie über das Stadium einer grundsätzlichen Idee wie die Trasse laufen könnte hinausgekommen. Eine tatsächliche Raumordnung oder gar eine Vorbereitung der Planfeststellung haben nie stattgefunden. Es würde mich sehr interessieren, wie genau die Trasse im Bereich Laatzen wirklich geplant wurde. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein „vorbereitetes” Bauvorhaben letztlich an irgendwelchen Fehlern scheitert und die durchgeführten Bauvorleistungen sich selbst bei einer Umsetzung der ursprünglichen Idee als nicht nutzbar herausstellen. Der einzige Vorteil war dann, dass wenigstens beim Bau zusätzliche Geldtöpfe angezapft werden konnten.
Fazit
Die Brücke jedenfalls wird bleiben. Sie kürzt den Fußweg aus Grasdorf zum Laatzener Festplatz erheblich ab. Ihre 35 Jahre sieht man ihr – äußerlich jedenfalls – nicht an. Irgendwann, wenn der Zahn der Zeit allzu stark an ihr genagt hat, wird man sie sicherlich zurückbauen oder gar ganz schließen. Bis dahin ist sie aber ein steter Hinweis auf eine Autobahn, die nie gebaut wurde.
Mittlerweile gibt es unter Opengeodata Hannover auch alte Ausgaben der Stadtkarte 1:20.000. In den Ausgaben von 1969 und 1973 ist dieses alte Stück projektierte A30 als gestrichelte Trasse mit Kleeblatt-Kreuzung am Messeschnellweg einsehbar (Planquadrate R16, S16, R17, S17). Man sieht in den beiden Ausgaben auch, wie Laatzen mit dem Gebiet um die Hauptstraße und dem Leine-Einkaufszentrum sich erst entwickelte. Mehr als die beiden Fortsätze am Aqualaatzium oder in den Kronsberg hinein gibt diese Planung aber als mögliche Trasse auch nicht mehr her. Download unter
https://www.hannover.de/Leben-in-der-Region-Hannover/Verwaltungen-Kommunen/Die-Verwaltung-der-Landeshauptstadt-Hannover/Dezernate-und-Fachbereiche-der-LHH/Baudezernat/Fachbereich-Planen-und-Stadtentwicklung/Geoinformation/Open-GeoData/Digitale-Stadtkarten/Stadtkarte‑1 – 20-000-historisch
Wow, das ist ja fantastisch! Ich habe die Karten gleich mal heruntergeladen. Da sie ja sogar unter CC-BY-Lizenz veröffentlicht sind, kann man sie ja sogar in eigenen Artikeln verwenden. Toll! Bezüglich der A30 zeigt der Plan m.E., wie vorläufig all diese Planungen waren. Bisher hatte ich immer von einem Autobahndreieck an der Kreuzung mit der B6/A37-Trasse gelesen. Vielleicht ist da auch einfach die Fantasie ein wenig mit dem Kartografen durchgegangen…
Super recherchiert. Danke für diesen Beitrag.
Die A 30 sollte trotzdem zwischen Bad Oeynhausen und Laatzen gebaut werden, weil sie zum einen in Teilstücken ja schon vorhanden ist, so etwa die südlichen Umgehungen von Minden und Stadthagen, und zum anderen ein Autobahnring im Süden Hannovers zur Entlastung der Schnellwege dringend nöig ist. Man denke nur an die ewigen Staus auf dem Süd – und Westschnellweg. Westlich von Hannover sollte die ebenfalls bis heute nicht weiter verfolgte Realisierung der A 35 erfolgen, die sich dann nordöstlich von Gehrden mit der A 30 kreuzt.
Sehr interessant! Wer die Leineauen kennt, freut sich um so mehr, dass diese Planung nicht realisiert wurde.
Darum kennt man diese Brücke in Laatzen auch als SODA-Brücke! Sie ist eben „nur so da”
Danke für diesen für mich sehr spannenden Einblick in die Autobahnplanung. Und ich wunderte mich immer schon, warum diese Kreuzung und die Ecke rund um den Schützenplatz in Laatzen so seltsam überdimensioniert wirkt…
Auch die Stadthauptstrasse sollte mal bis nach Ingeln verlängert werden.
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Wiedermal eine herrliche Verkehrs-Nerderei. Wunderbar, super recherchiert. Ich hätte da noch was für deine Serie: Die Wuppertaler Schwebebahn mitsamt des hässlichsten Hauptbahnhofes Wuppertal gleich zusammen als Double-Feature. 😉 Generell ist auch die Geschichte der Stillegung der Wuppertaler Strassenbahn interessant, und die früheren Verkehrswege nachzuvollziehen.
Die Geschichte ist spannend wie viele andere (Bauvorleistungen der Strecke zwischen Schwarmstedt und Garbsen). Ich verweise hier gerne auf die Experten der Website http://www.lostplaces.de, die an deinem Artikel bestimmt Interesse haben.
Wow! Da bin ich ja mal gespannt, wie sich diese Artikelserie entwickelt. Der Beitrag gefällt mir und sehr schön ausgearbeitet. Wie lange hast Du dafür recherchieren müssen?
Kompliment! Sehr gut geschrieben, sehr gut recherchiert, so meine Meinung. Ich bin aber froh, dass es nicht dazu gekommen ist, dass diese Autobahn durch das landschaftlich teilweise noch sehr schöne Calenberger Land gebaut worden ist. Der Schaden an der Landschaft und an der knappen Ressource Fläche wäre immens gewesen. Wenn ich mal wieder in Laatzen bin, werde ich der Brücke einen Besuch abstatten.
Sehr interessante Geschichte. Von solchen kenne ich noch mehr und gibt es in Deutschland bestimmt Hunderte. So wie du den Text geschrieben hast, klingt es fast, als wärst du vom Fach?
Pingback: Bad Oeynhausen - Blog - 02 Feb 2010