Unerträgliche Leichtigkeit: Matthias Güldner versteht den Rechtsstaat falsch 17


Ich muss mal wie­der eine Poli­ti­ker­äu­ße­rung in die­sem schö­nen Blog auf­grei­fen. Dies­mal vom Vor­sit­zen­den der Frak­ti­on der Grü­nen in der Bür­ger­schaft in Bre­men, Mat­thi­as Güld­ner. Herr Güld­ner äußer­te sich am gest­ri­gen Sonn­tag (in einem mitt­ler­wei­le nicht mehr online ver­füg­ba­ren Arti­kel) in der Welt zum The­ma Inter­net­sper­ren. Inter­es­sant ist dabei die Ein­stel­lung, die er zur poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung all­ge­mein an den Tag legt:

Es geht [bei der Aus­ein­an­der­set­zung um die Inter­net­sper­ren] viel­mehr knall hart [sic!] um Defi­ni­ti­ons­macht in Zei­ten der Vir­tua­li­sie­rung der Welt. Ihre Anhän­ger kämp­fen mit hoch effek­ti­ven Mit­teln für die Rechts­frei­heit ihres Raumes.

Eine fal­sche Behaup­tung und eine üble Unter­stel­lung. Bei der gan­zen Netz­sper­ren­dis­kus­si­on geht es nicht um „Defi­ni­ti­ons­macht”. Es geht um die Frei­heit des Ein­zel­nen und die ver­fas­sungs­wid­ri­ge Ein­füh­rung staat­li­cher Zen­sur, zumal noch im Gehei­men und unüber­prüf­bar. Dann wäre das Inter­net näm­lich der viel­be­schwo­re­ne „rechts­freie Raum”, in dem der Staat ohne Rück­sicht auf die demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung Infor­ma­tio­nen belie­big unter­drü­cken und Mei­nungs­kon­trol­le betrei­ben kann. Herr Güld­ner hat offen­sicht­lich über­haupt nicht ver­stan­den, wie Kom­mu­ni­ka­ti­on heu­te funk­tio­niert und mit welch ein­fa­chen Mit­teln sie sich aus­he­beln lässt.

Wer sich in ihre Schein­welt ein­mi­schen will, wird mit Mas­sen­pe­ti­tio­nen per Maus­klick weggebissen.

Aha. Das hält der Herr Güld­ner also von demo­kra­ti­scher Mei­nungs­äu­ße­rung und Mit­be­stim­mung. Ein erschre­cken­des Welt­bild. Aller­dings passt dazu, dass er hier gehei­me Sperr­lis­ten befür­wor­tet und auch ansons­ten mehr­mals in sei­nem Text die Gren­ze zur wüs­ten Pole­mik deut­lich überschreitet.

Wer Ego-Shoo­ter für Unter­hal­tung, Face­book für rea­les Leben, wer Twit­ter für rea­le Poli­tik hält, scheint davon aus­zu­ge­hen, dass Gewalt kei­ne Opfer in der Real­welt for­dert. Anders kann die igno­ran­te Argu­men­ta­ti­on gegen die Inter­net­sper­ren gar nicht erklärt werden.

Igno­rant ist hier höchs­tens die­ser Ver­such einer Argu­men­ta­ti­on. Jeder ein­zel­ne Absatz auf der Web­sei­te des AK Zen­sur ist fun­dier­ter als ein kom­plet­ter Vor­trag jedes ein­zel­nen Netz­sper­ren­be­für­wor­ters. Neben der Frei­heit der Kom­mu­ni­ka­ti­on ist ein zen­tra­les Anlie­gen der Netz­sper­ren­geg­ner der Opfer­schutz. Die gera­de­zu kin­des­miss­brauch­be­schüt­zen­den Aus­wir­kun­gen des Zen­sur­ge­set­zes sind ja einer der Haupt­kri­tik­punk­te der­je­ni­gen, die Ahnung von der Mate­rie haben.

Auch wird behaup­tet, das Gesetz nüt­ze nichts gegen Kin­der­por­no­gra­phie. Jeder weiß, dass es kein All­heil­mit­tel ist. Aber in Skan­di­na­vi­en wur­den schon posi­ti­ve Erfah­run­gen mit ver­gleich­ba­ren Geset­zen gemacht.

Genau! In Finn­land ist zum Bei­spiel schon 2008 sehr posi­tiv auf­ge­fal­len, dass etwa 99% der Inhal­te der Sperr­lis­ten nichts mit Kin­der­por­no­gra­fie zu tun hat­ten (eng­lisch­spra­chi­ge Ori­gi­nal­quel­le). Das klingt nach einem her­vor­ra­gen­den Mecha­nis­mus. Anschlie­ßend haben übri­gens 12.000 begeis­ter­te Fin­nen eine von die­sen bösen Mas­sen­pe­ti­tio­nen unter­schrie­ben, die den Rück­tritt der Minis­te­rin forderten.

Ich habe mich an die­ser Stel­le gefragt, war­um Mat­thi­as Güld­ner die­sen und ande­ren – mit Ver­laub – Quatsch schreibt. Die Ant­wort lie­fert der letz­te Absatz sei­nes Pamphlets:

Tei­le der Grü­nen – fas­zi­niert von den Mög­lich­kei­ten der vir­tu­el­len Mobi­li­sie­rung und hin­ge­ris­sen von ihrem eige­nen Get­wit­ter – erken­nen, dass unse­re Wäh­ler und Wäh­le­rin­nen eine hohe Affi­ni­tät zu Men­schen­rechts­fra­gen haben, erst recht wenn Kin­der die Opfer sind. Unser Umfeld kommt zu einem nicht uner­heb­li­chen Teil aus den erzie­hen­den Beru­fen, ist selbst Mut­ter oder Vater. Die Inter­net­sper­ren haben Umfra­gen zu Fol­ge bei ihnen eine hohe Popularität.

Güld­ner rich­tet sich nach innen. Zu sei­nen Mit­grü­nen. Weil so vie­le Mamis und Papis das zen­sier­te Inter­net toll fin­den, müs­sen die Grü­nen auch dafür sein. Bloß denen nicht erklä­ren, war­um die Netz­sper­ren kein biss­chen hel­fen und dass ihre – weit­ge­hend irra­tio­na­le – Angst um die eige­nen Kin­der hier skru­pel­los selbst miss­braucht wird. Zum Glück dürf­ten auch die meis­ten Anhän­ger der Grü­nen nicht so unin­for­miert sein für wie Herr Güld­ner sie hier hal­ten will.

Der poli­ti­sche Makel, mehr auf den Trend gesetzt zu haben als auf die Bekämp­fung rea­ler Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, wür­de dage­gen lan­ge haf­ten bleiben.

Wenn der „Trend” hier „will­kür­li­che staat­li­che Zen­sur und ver­fas­sung­wid­ri­ge Geset­ze” und die „Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen” das „Recht auf freie Infor­ma­ti­on und Mei­nungs­äu­ße­rung” sind, dann stimmt der Satz sogar. Er war aber anders gemeint. Und das fin­de ich erschreckend.

Das sind also die Grü­nen 2009. Oppor­tu­nis­tisch, obrig­keits­staat­lich, ohne Ahnung. Viel­leicht ver­tritt Herr Güld­ner hier nur eine Ein­zel­mei­nung und das beängs­ti­gen­de Bild wird in den nächs­ten Tagen von der Bun­des­ebe­ne oder ande­ren Grü­nen wie­der gera­de gerückt. Viel­leicht ist das aber auch der ers­te Test­bal­lon, wie weit man die Basis zu CDU-Posi­tio­nen tra­gen kann. Ursu­la, Wolf­gang und Ange­la wer­den es inter­es­siert zur Kennt­nis nehmen.

Und euch hab’ ich mal gewählt! Was bin ich froh, dass es auf dem Wahl­zet­tel eine Alter­na­ti­ve gibt.


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