Bodo und die Blogs: Piratenpartei in stürmischer See 19


Was für ein Ritt! Kaum ist der Pira­ten­par­tei­tag vor­bei, rauscht es durch das Inter­net und den Blät­ter­wald: Bodo T., auf dem Par­tei­tag zum 2. Ersatz­rich­ter gewählt, ist in der Ver­gan­ge­heit durch – nun­ja – pro­ble­ma­ti­sche Äuße­run­gen zur deut­schen Geschich­te, nament­lich dem „Drit­ten Reich” und dem zwei­ten Welt­krieg, auf­ge­fal­len. Letz­tes Jahr gab es dazu schon hef­ti­gen Streit in der Par­tei, der in einer Stel­lung­nah­me und einer Rüge durch den Bun­des­vor­stand (TOP 4.1) gipfelte.

Ich war sei­ner­zeit in die­sem Bun­des­vor­stand und bin in den letz­ten Tagen mehr­fach gefragt wor­den, war­um wir damals so ent­schie­den haben, wie wir ent­schie­den haben und ob sich mei­ne Ein­schät­zung heu­te geän­dert habe. Es kom­men für mich vier Din­ge zusammen:

  1. Zum Zeit­punkt der Rüge – die übri­gens ganz zu Beginn unse­rer Amts­zeit statt­fand und die ers­te Rüge eines Bun­des­vor­stan­des über­haupt war – gab es „nur” die Kriegs­grund­dis­kus­si­on und die aus­ge­spro­chen unkri­ti­sche Über­nah­me von The­sen eines bekann­ten Holo­caust­leug­ners. Im Ver­lauf der Dis­kus­si­on hat­te Bodo schein­bar zurück­ge­ru­dert, es gab den inner­par­tei­li­chen Klä­rungs­pro­zess, zudem war die erteil­te Rüge eines der stärks­ten Mit­tel, die der Bun­des­vor­stand ergrei­fen konn­te – abge­se­hen vom Parteiausschluss.
  2. Die Impli­ka­tio­nen des „Nach­sat­zes” von Bodo bei der Unter­zeich­nung der Stel­lung­nah­me („Strei­che Über­fall, set­ze Angriff”) waren mir sei­ner­zeit nicht klar – bzw. sie erhal­ten vor dem Hin­ter­grund der übri­gen Vor­komm­nis­se eine ande­re Tragweite.
  3. Ins­be­son­de­re die Use­net-Äuße­run­gen aus dem Jahr 2003 waren mir unbe­kannt. Dabei möch­te ich beto­nen, dass sol­che Äuße­run­gen zunächst mal bewer­tet wer­den müs­sen, bevor man dar­aus irgend­wel­che Schlüs­se zieht. In die­se Bewer­tung flie­ßen für mich aber eben auch die Äuße­run­gen aus 2006/2007 ein und die Tat­sa­che, dass Bodo es offen­sicht­lich nicht für nötig hält, die­sen Stuss von damals klar und deut­lich als eben­sol­chen Stuss zu bezeichnen.
  4. Sah­ne­häub­chen schließ­lich sind sei­ne Äuße­run­gen auf dem Podi­um in Ham­burg. Die­ses pat­zi­ge „Zeig mich doch an!” ist nicht gera­de ein Hin­weis dar­auf, dass Bodo ver­stan­den hat, wor­um es den Kri­ti­kern an sei­nen Äuße­run­gen und sei­ner Per­son eigent­lich geht.

Vor dem Hin­ter­grund die­ser gan­zen Ereig­nis­se kann ich es durch­aus ver­ste­hen, dass der Vor­stand am Diens­tag die Not­brem­se gezo­gen hat und eine deut­li­che Distan­zie­rung Bodos von sei­nen frü­he­ren Äuße­run­gen gefor­dert hat.

Eine sol­che Distan­zie­rung liegt mitt­ler­wei­le vor. Ich muss aber geste­hen, dass ich nicht so recht glück­lich damit wer­de. Ich neh­me Bodo näm­lich sofort ab, dass er eigent­lich kein Revi­sio­nist ist. Ich wür­de nie ernst­haft anneh­men, er fän­de das „Drit­te Reich” oder die zu sei­ner Zeit began­ge­nen Ver­bre­chen gut, akzep­ta­bel oder auf irgend­ei­ne ande­re Wei­se dis­ku­ta­bel. Dann wäre er näm­lich nicht in einer Par­tei, die bereits im drit­ten Satz ihrer Sat­zung sol­ches klar für sich ausschließt:

Tota­li­tä­re, dik­ta­to­ri­sche und faschis­ti­sche Bestre­bun­gen jeder Art lehnt die Pira­ten­par­tei Deutsch­land ent­schie­den ab.

Nein, das Pro­blem ist, dass Bodo sich in sei­nen Äuße­run­gen auf ver­schie­de­ne Autoren bezieht, die ihrer­seits genau einer sol­chen Geis­tes­hal­tung nach­hän­gen. Und deren indis­ku­ta­ble Ergüs­se hat er teil­wei­se aus­ge­spro­chen blau­äu­gig rezi­tiert und eine „unvor­ein­ge­nom­me­ne” Sicht auf sie eingefordert.

Mit Ver­laub, aber das ist indis­ku­ta­bel. Poli­ti­sche Arbeit hat immer auch eine mora­li­sche Dimen­si­on und der wird Bodo mit sei­nen Äuße­run­gen nicht gerecht. In sei­ner „Distan­zie­rung” geht er aber genau dar­auf gera­de nicht ein. Eigent­lich gibt er auch hier wie­der nur eine ver­kürz­te Ver­si­on sei­ner Replik auf die Vor­wür­fe im Jahr 2008 zum Bes­ten. Das geht aber am eigent­li­chen Pro­blem völ­lig vor­bei. Nun ken­ne ich Bodo aus eini­gen Real-Life- und Online-Dis­kus­sio­nen als sehr stark for­ma­lis­tisch den­ken­den Men­schen. Inso­fern wür­de es mich nicht wun­dern, wenn er die­se mei­ne Sicht­wei­se auf den gan­zen Sach­ver­halt nicht so recht nach­voll­zie­hen kann – Moral ist bei einer rein for­ma­len Betrach­tungs­wei­se kaum zu fas­sen. Das ändert aber nichts an der Sache.

Übri­gens möch­te ich noch­mal deut­lich sagen, dass die gan­ze Dis­kus­si­on mit Mei­nungs­frei­heit oder Zen­sur über­haupt nichts zu tun hat. Die bes­te Zusam­men­fas­sung dazu habe ich bis jetzt im Spie­gel­fech­ter gelesen:

Das alles betrifft aller­dings den Pri­vat­mann […], aber nicht den Amts­trä­ger der Pira­ten­par­tei. Wer in einer Par­tei ein Amt beklei­det, soll­te auch den sitt­li­chen Hin­ter­grund besit­zen. Ist dies nicht der Fall, schä­digt die Par­tei sich selbst.

Pri­vat kann Bodo mit so viel ver­quas­ter Pseu­do­ge­schichts­dar­stel­lung argu­men­tie­ren wie er will. Als Amts­in­ha­ber in der Par­tei sieht das anders aus. Und ins­be­son­de­re hat die Par­tei auch ein Recht dar­auf, dies von ihm ein­zu­for­dern. Es ist ein biss­chen wie ein Tier­schutz­ver­ein, der plötz­lich fest­stellt, dass eines sei­ner Vor­stands­mit­glie­der Lege­bat­te­rien­fa­bri­kant ist. Wenn sie den dann raus­schmei­ßen, käme auch nie­mand auf die Idee, dage­gen mit „Mei­nungs­frei­heit” zu argumentieren.

Ich benei­de den neu­en Vor­stand nicht um die Auf­ga­be, das Par­tei­schiff durch die­se stür­mi­sche See steu­ern zu müs­sen. Ich wer­de ab jetzt ver­su­chen, kon­struk­tiv dazu bei­zu­tra­gen, indem ich mich wie­der auf poli­ti­sche Inhal­te und nicht auf Per­so­na­lia konzentriere.


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19 Gedanken zu “Bodo und die Blogs: Piratenpartei in stürmischer See

  • FenministOhneIn

    4. – „Ver­klag mich doch!” kenn ich eigent­lich nur von „Müt­tern”, die unter dem Argu­ment „Wenn Du was gegen mich sagst hat das dann Dein Kind aus­zu­ba­den” an Papas Sold ran­wol­len. Zivi­lis­ten als Waf­fe, das war ers­ter Irak­krieg (Bot­schafts­per­so­nal als Gei­seln). Wahr­schein­lich haben sie im Irak schon unter Sadam die ras­sis­tisch femi­nis­ti­sche Het­ze einer Bet­ty Mah­mo­dy als tak­ti­sches Vor­bild für die Abwehr genom­men. Auch Ira­ni­sche Väter sind erst­mal Men­schen und nicht etwa Unter­men­schen einer HerrINnenrasse.

    2. Ganz pas­send zu 4: Was hät­te Stauf­fen­bergs Trup­pe wohl per Volks­emp­fän­ger ver­mel­det wenn das Atten­tat gegen Adolf geglückt wäre? „Die Auf­stän­di­schen unter den Offi­zie­ren haben dann mal zurückgebombt?”

    Also ich seh da irgend­wie eine deut­li­che Par­al­le­le zwi­schen Kriegs­be­ginn und Ende.

  • Ben

    Hal­lo Dirk,

    freut mich sehr, von einem pro­mi­nen­ten Par­tei­mit­glied solch ein deut­li­ches State­ment zu lesen. Ehr­lich gesagt hof­fe ich, dass die Pira­ten sich von Bodo tren­nen wer­den. Die Distan­zie­rung ist ein­fach unglaub­wür­dig und nicht zufrie­den­stel­lend. Gut auch, dass du die­sem Blöd­sinn mit der Mei­nungs­frei­heit ent­ge­gen­wirkst. Natür­lich soll nie­mand ins Gefäng­nis, wenn er meint, Unsinn erzäh­len zu müs­sen. Aber er muss eben auch nicht in einer demo­kra­ti­schen Par­tei ein Amt innehaben.

  • Tyler Durden

    Klas­se geschrie­be­ner Text Dirk! Objek­tiv und über­zeugt. Hof­fen wir, dass es nicht noch neue Bodos in Zukunft geben wird, die die PP in eine fal­sche Rich­tung drän­gen wol­len. Wenn man da ins Forum schaut, könn­te man fast den Anschein gewinnen..

  • Sci-Fi

    Ich lebe schein­bar in einer Schein­welt – wuß­te gar­nicht, daß eine Pira­ten­par­tei ernst­ge­nom­men wird.
    Wenn ich mir da die Vide­os auf You­Tube anschaue, so wirkt es mir eher wie eine Schü­ler­ver­samm­lung: zurück­hal­tend, zögernd und schüchtern.

  • vera

    Wenn ich mir das Par­tei­pro­gramm lese, wun­dern mich die Schwie­rig­kei­ten nicht. Ein paar Aus­sa­gen zu Netz­po­li­tik sind eben kein trag­fä­hi­ger Kon­sens für eine Par­tei. Es wird auch nicht gut­ge­hen, alle poli­ti­sche Posi­tio­nie­rung dar­ueber hin­aus auf einen plat­ten anti­to­ta­li­ta­ris­mus zu Beschränken.
    Die Stel­lung­nah­me ist dar­über hin­aus ein deut­li­ches zei­chen, dass sich alle Unter­zeich­ner kein Jota mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus beschäf­tigt haben. Die­sen auf eine klei­ne Zahl nazis zu redu­zie­ren, die die Macht an sich geris­sen hat, igno­riert den Zivi­li­sa­ti­ons­bruch, der eben eine gan­ze Gesell­schaft zu mor­den­den anti­se­mi­ti­schen Bes­ti­en wer­den liess.
    Aber auch abseits von Fra­gen zum Ver­hält­nis zum Deut­schen Natio­na­lis­mus ist eine Par­tei erst wähl­bar, wenn es zumin­dest einen gewis­sen Grund­kon­sens in den wich­tigs­ten poli­ti­schen Fra­gen gibt: Gen­der­po­li­tik? Sozi­al­po­li­tik? Mili­ta­ris­mus? … aber wenn erst ein Straf­tat­be­stand erfüllt sein muss, damit die par­tei sagen kann, mit die­sem oder jener wol­len wir nicht zusam­men­ar­bei­ten, wird das wohl nichts werden.

  • Petra

    Inter­es­san­ter Arti­kel. Es ist gut, dass die gan­ze Sache so hohe Wel­len schlägt, dar­an wird sich für die Par­tei ent­schei­den wie ernst sie es meint. Ihr Umgang mit dem The­ma ist dafür der Grad­mes­ser – und nicht die Satzung!

  • LordDusty

    Schö­ner Kom­men­tar, vor­al­lem fin­de ich auch gut, dass du, zumin­dest am Ran­de die pat­zi­ge Ant­wort von Ham­burg erwähnst.

    Die Äuße­run­gen ansich – indis­ku­ta­bel wie sie sind – soll­ten in der gan­zen Dis­kus­si­on eigent­lich viel weni­ger im Mit­tel­punkt ste­hen. Es ist halt so, dass man für ein Ver­ge­hen nicht mehr­fach ange­klagt wer­den kann. Wenn die Kon­se­quen­zen sei­ner­zeit nicht weit genug gegan­gen sind – z.B. weil der dama­li­ge Vor­stand nicht alle Infor­ma­tio­nen hat­te, wie du es beschreibst – kann man das nicht heu­te noch­mals Bodo zum Vor­wurf machen. Allen­falls ist hier dann eine man­geln­de Recher­che anzu­krei­den, aber eben nicht Bodo.

    Denoch soll­te Bodo sich IMHO ernst­haft über­le­gen, ob er wirk­lich wei­ter­hin sein Amt beklei­den will und sei­ne Lis­ten­platz wirk­lich behal­ten will. Sei­ne Reak­ti­on in Ham­burg, hat mehr als deut­lich gezeigt, dass er in Stress­si­tua­tio­nen offen­bar nicht gut genug über­blickt, wel­che Reak­ti­on ange­mes­sen ist und das ist für eine äußerst ungüns­ti­ge Basis für poli­ti­sches Tun. Wenn man in der Öffent­lich­keit eine Par­tei ver­tritt, dann bit­te aus­schließ­lich die Par­tei und die Mei­nung der Partei.

    Eine ein­fa­che knap­pe Distan­zie­rung, mit dem glei­chen Wort­laut wie die jetzt ver­fass­te, hät­te an Ort und Stel­le in Ham­burg den gesam­ten ent­stan­de­nen Gegen­wind von Pres­se und Öffent­lich­keit genau­so ver­mie­den, wie die Sei­ten­wei­sen Dis­kus­sio­nen in hun­der­ten von Blogs und Mailinglisten. 

    Soviel Beson­nen­heit und Weit­sicht soll­te jeder mit­brin­gen, der ein Amt inner­halb einer Par­tei beklei­det und erst Recht jeder, der für ein Man­dat kan­di­diert. Ich wer­de im Moment das Gefühl nicht los, dass eini­ge Pira­ten noch nicht gemerkt haben, dass ein Amt in der Par­tei was ande­res ist, als ein Amt im ört­li­chen Schützenverein.

    Gruß Jens

  • Fabian

    Dan­ke für die­sen neu­tra­len und auf­klä­ren­den Arti­kel, Dirk.

    Ich hof­fe, der Vor­stand erkennt eben­so dass die­se Distan­zie­rung eigent­lich gar kei­ne ist und han­delt ent­spre­chend kon­se­quent. Die unan­ge­neh­me Ange­le­gen­heit mög­lichst schnell abha­ken und ver­ges­sen wie es vie­le wohl ger­ne hät­ten ist nun­mal nicht rea­lis­tisch. Sicher kei­ne ein­fa­che Auf­ga­be aber wer hat gesagt dass es ein­fach wird? Durch den Sturm müs­sen wir durch um gestärkt dar­aus hervorzugehen.

    In die­sem Sin­ne, vol­le Kraft voraus!

  • Anarchy

    Gut gespro­chen. Ich bin mit dem Ver­hal­ten des PP-Vor­stands im Gro­ßen und Gan­zen recht zufrie­den. Wie sich das jetzt wei­ter ent­wi­ckelt muss man sehen. Eher bestürzt mich da schon was für Kom­men­ta­re man da so teil­wei­se in Forum und ML liest. Ich hege die Hoff­nung dass das nicht alles Pira­ten sind son­dern alles Trol­le bzw. Spinner.

  • Yopperau

    Hal­lo Dirk,

    ein sehr guter Arti­kel. Noch bes­ser es von jemand zu hören „der dabei war”, als Bodo gerügt wur­de. Mir per­sön­lich gehen sei­ne Äuße­run­gen auch zu weit und ver­las­sen zu oft die dis­kus­si­ons­wür­di­gen Grund­la­gen frei­er Meinung.

    Es ist, wie hier gesagt und dein Bei­spiel mit der Tier­schutz­par­tei ist tref­fend. Wir haben uns geschwo­ren, weder eine von den gest­ri­gen poli­ti­schen Stel­lun­gen rechts, mit­te oder links ein­zu­neh­men und neh­men ein­deu­tig in unse­rer Sat­zung Stel­lung, was wir nicht dul­den wer­den. In die­sem Sin­ne, hof­fe ich, dass hier alles in gerech­ter Wei­se und wie der Vor­stand es rich­tig macht, nicht vor­schnell, die Par­tei durch die­se Krie­se lenkt und Scha­den von der Par­tei fern hält.

    „Eine Man­schaft ist dar­auf ange­wie­sen, dem Cap­tain in stür­mi­scher See zu ver­trau­en und ihn zu unter­stüt­zen, sonst kann es für alle schlecht enden.” Zitat, by mys­elf (Ich werd ja wohl kei­ne frem­den Leu­te zitieren…)