Was für ein Ritt! Kaum ist der Piratenparteitag vorbei, rauscht es durch das Internet und den Blätterwald: Bodo T., auf dem Parteitag zum 2. Ersatzrichter gewählt, ist in der Vergangeheit durch – nunja – problematische Äußerungen zur deutschen Geschichte, namentlich dem „Dritten Reich” und dem zweiten Weltkrieg, aufgefallen. Letztes Jahr gab es dazu schon heftigen Streit in der Partei, der in einer Stellungnahme und einer Rüge durch den Bundesvorstand (TOP 4.1) gipfelte.
Ich war seinerzeit in diesem Bundesvorstand und bin in den letzten Tagen mehrfach gefragt worden, warum wir damals so entschieden haben, wie wir entschieden haben und ob sich meine Einschätzung heute geändert habe. Es kommen für mich vier Dinge zusammen:
- Zum Zeitpunkt der Rüge – die übrigens ganz zu Beginn unserer Amtszeit stattfand und die erste Rüge eines Bundesvorstandes überhaupt war – gab es „nur” die Kriegsgrunddiskussion und die ausgesprochen unkritische Übernahme von Thesen eines bekannten Holocaustleugners. Im Verlauf der Diskussion hatte Bodo scheinbar zurückgerudert, es gab den innerparteilichen Klärungsprozess, zudem war die erteilte Rüge eines der stärksten Mittel, die der Bundesvorstand ergreifen konnte – abgesehen vom Parteiausschluss.
- Die Implikationen des „Nachsatzes” von Bodo bei der Unterzeichnung der Stellungnahme („Streiche Überfall, setze Angriff”) waren mir seinerzeit nicht klar – bzw. sie erhalten vor dem Hintergrund der übrigen Vorkommnisse eine andere Tragweite.
- Insbesondere die Usenet-Äußerungen aus dem Jahr 2003 waren mir unbekannt. Dabei möchte ich betonen, dass solche Äußerungen zunächst mal bewertet werden müssen, bevor man daraus irgendwelche Schlüsse zieht. In diese Bewertung fließen für mich aber eben auch die Äußerungen aus 2006/2007 ein und die Tatsache, dass Bodo es offensichtlich nicht für nötig hält, diesen Stuss von damals klar und deutlich als ebensolchen Stuss zu bezeichnen.
- Sahnehäubchen schließlich sind seine Äußerungen auf dem Podium in Hamburg. Dieses patzige „Zeig mich doch an!” ist nicht gerade ein Hinweis darauf, dass Bodo verstanden hat, worum es den Kritikern an seinen Äußerungen und seiner Person eigentlich geht.
Vor dem Hintergrund dieser ganzen Ereignisse kann ich es durchaus verstehen, dass der Vorstand am Dienstag die Notbremse gezogen hat und eine deutliche Distanzierung Bodos von seinen früheren Äußerungen gefordert hat.
Eine solche Distanzierung liegt mittlerweile vor. Ich muss aber gestehen, dass ich nicht so recht glücklich damit werde. Ich nehme Bodo nämlich sofort ab, dass er eigentlich kein Revisionist ist. Ich würde nie ernsthaft annehmen, er fände das „Dritte Reich” oder die zu seiner Zeit begangenen Verbrechen gut, akzeptabel oder auf irgendeine andere Weise diskutabel. Dann wäre er nämlich nicht in einer Partei, die bereits im dritten Satz ihrer Satzung solches klar für sich ausschließt:
Totalitäre, diktatorische und faschistische Bestrebungen jeder Art lehnt die Piratenpartei Deutschland entschieden ab.
Nein, das Problem ist, dass Bodo sich in seinen Äußerungen auf verschiedene Autoren bezieht, die ihrerseits genau einer solchen Geisteshaltung nachhängen. Und deren indiskutable Ergüsse hat er teilweise ausgesprochen blauäugig rezitiert und eine „unvoreingenommene” Sicht auf sie eingefordert.
Mit Verlaub, aber das ist indiskutabel. Politische Arbeit hat immer auch eine moralische Dimension und der wird Bodo mit seinen Äußerungen nicht gerecht. In seiner „Distanzierung” geht er aber genau darauf gerade nicht ein. Eigentlich gibt er auch hier wieder nur eine verkürzte Version seiner Replik auf die Vorwürfe im Jahr 2008 zum Besten. Das geht aber am eigentlichen Problem völlig vorbei. Nun kenne ich Bodo aus einigen Real-Life- und Online-Diskussionen als sehr stark formalistisch denkenden Menschen. Insofern würde es mich nicht wundern, wenn er diese meine Sichtweise auf den ganzen Sachverhalt nicht so recht nachvollziehen kann – Moral ist bei einer rein formalen Betrachtungsweise kaum zu fassen. Das ändert aber nichts an der Sache.
Übrigens möchte ich nochmal deutlich sagen, dass die ganze Diskussion mit Meinungsfreiheit oder Zensur überhaupt nichts zu tun hat. Die beste Zusammenfassung dazu habe ich bis jetzt im Spiegelfechter gelesen:
Das alles betrifft allerdings den Privatmann […], aber nicht den Amtsträger der Piratenpartei. Wer in einer Partei ein Amt bekleidet, sollte auch den sittlichen Hintergrund besitzen. Ist dies nicht der Fall, schädigt die Partei sich selbst.
Privat kann Bodo mit so viel verquaster Pseudogeschichtsdarstellung argumentieren wie er will. Als Amtsinhaber in der Partei sieht das anders aus. Und insbesondere hat die Partei auch ein Recht darauf, dies von ihm einzufordern. Es ist ein bisschen wie ein Tierschutzverein, der plötzlich feststellt, dass eines seiner Vorstandsmitglieder Legebatterienfabrikant ist. Wenn sie den dann rausschmeißen, käme auch niemand auf die Idee, dagegen mit „Meinungsfreiheit” zu argumentieren.
Ich beneide den neuen Vorstand nicht um die Aufgabe, das Parteischiff durch diese stürmische See steuern zu müssen. Ich werde ab jetzt versuchen, konstruktiv dazu beizutragen, indem ich mich wieder auf politische Inhalte und nicht auf Personalia konzentriere.
4. – „Verklag mich doch!” kenn ich eigentlich nur von „Müttern”, die unter dem Argument „Wenn Du was gegen mich sagst hat das dann Dein Kind auszubaden” an Papas Sold ranwollen. Zivilisten als Waffe, das war erster Irakkrieg (Botschaftspersonal als Geiseln). Wahrscheinlich haben sie im Irak schon unter Sadam die rassistisch feministische Hetze einer Betty Mahmody als taktisches Vorbild für die Abwehr genommen. Auch Iranische Väter sind erstmal Menschen und nicht etwa Untermenschen einer HerrINnenrasse.
2. Ganz passend zu 4: Was hätte Stauffenbergs Truppe wohl per Volksempfänger vermeldet wenn das Attentat gegen Adolf geglückt wäre? „Die Aufständischen unter den Offizieren haben dann mal zurückgebombt?”
Also ich seh da irgendwie eine deutliche Parallele zwischen Kriegsbeginn und Ende.
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Hallo Dirk,
freut mich sehr, von einem prominenten Parteimitglied solch ein deutliches Statement zu lesen. Ehrlich gesagt hoffe ich, dass die Piraten sich von Bodo trennen werden. Die Distanzierung ist einfach unglaubwürdig und nicht zufriedenstellend. Gut auch, dass du diesem Blödsinn mit der Meinungsfreiheit entgegenwirkst. Natürlich soll niemand ins Gefängnis, wenn er meint, Unsinn erzählen zu müssen. Aber er muss eben auch nicht in einer demokratischen Partei ein Amt innehaben.
Klasse geschriebener Text Dirk! Objektiv und überzeugt. Hoffen wir, dass es nicht noch neue Bodos in Zukunft geben wird, die die PP in eine falsche Richtung drängen wollen. Wenn man da ins Forum schaut, könnte man fast den Anschein gewinnen..
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Ich lebe scheinbar in einer Scheinwelt – wußte garnicht, daß eine Piratenpartei ernstgenommen wird.
Wenn ich mir da die Videos auf YouTube anschaue, so wirkt es mir eher wie eine Schülerversammlung: zurückhaltend, zögernd und schüchtern.
Sehr gutes Statement.
Kann deinem Artikel nur voll und ganz zustimmen du hast es auf den punkt gebracht.
Wenn ich mir das Parteiprogramm lese, wundern mich die Schwierigkeiten nicht. Ein paar Aussagen zu Netzpolitik sind eben kein tragfähiger Konsens für eine Partei. Es wird auch nicht gutgehen, alle politische Positionierung darueber hinaus auf einen platten antitotalitarismus zu Beschränken.
Die Stellungnahme ist darüber hinaus ein deutliches zeichen, dass sich alle Unterzeichner kein Jota mit dem Nationalsozialismus beschäftigt haben. Diesen auf eine kleine Zahl nazis zu reduzieren, die die Macht an sich gerissen hat, ignoriert den Zivilisationsbruch, der eben eine ganze Gesellschaft zu mordenden antisemitischen Bestien werden liess.
Aber auch abseits von Fragen zum Verhältnis zum Deutschen Nationalismus ist eine Partei erst wählbar, wenn es zumindest einen gewissen Grundkonsens in den wichtigsten politischen Fragen gibt: Genderpolitik? Sozialpolitik? Militarismus? … aber wenn erst ein Straftatbestand erfüllt sein muss, damit die partei sagen kann, mit diesem oder jener wollen wir nicht zusammenarbeiten, wird das wohl nichts werden.
Interessanter Artikel. Es ist gut, dass die ganze Sache so hohe Wellen schlägt, daran wird sich für die Partei entscheiden wie ernst sie es meint. Ihr Umgang mit dem Thema ist dafür der Gradmesser – und nicht die Satzung!
Schöner Kommentar, vorallem finde ich auch gut, dass du, zumindest am Rande die patzige Antwort von Hamburg erwähnst.
Die Äußerungen ansich – indiskutabel wie sie sind – sollten in der ganzen Diskussion eigentlich viel weniger im Mittelpunkt stehen. Es ist halt so, dass man für ein Vergehen nicht mehrfach angeklagt werden kann. Wenn die Konsequenzen seinerzeit nicht weit genug gegangen sind – z.B. weil der damalige Vorstand nicht alle Informationen hatte, wie du es beschreibst – kann man das nicht heute nochmals Bodo zum Vorwurf machen. Allenfalls ist hier dann eine mangelnde Recherche anzukreiden, aber eben nicht Bodo.
Denoch sollte Bodo sich IMHO ernsthaft überlegen, ob er wirklich weiterhin sein Amt bekleiden will und seine Listenplatz wirklich behalten will. Seine Reaktion in Hamburg, hat mehr als deutlich gezeigt, dass er in Stresssituationen offenbar nicht gut genug überblickt, welche Reaktion angemessen ist und das ist für eine äußerst ungünstige Basis für politisches Tun. Wenn man in der Öffentlichkeit eine Partei vertritt, dann bitte ausschließlich die Partei und die Meinung der Partei.
Eine einfache knappe Distanzierung, mit dem gleichen Wortlaut wie die jetzt verfasste, hätte an Ort und Stelle in Hamburg den gesamten entstandenen Gegenwind von Presse und Öffentlichkeit genauso vermieden, wie die Seitenweisen Diskussionen in hunderten von Blogs und Mailinglisten.
Soviel Besonnenheit und Weitsicht sollte jeder mitbringen, der ein Amt innerhalb einer Partei bekleidet und erst Recht jeder, der für ein Mandat kandidiert. Ich werde im Moment das Gefühl nicht los, dass einige Piraten noch nicht gemerkt haben, dass ein Amt in der Partei was anderes ist, als ein Amt im örtlichen Schützenverein.
Gruß Jens
Danke für diesen neutralen und aufklärenden Artikel, Dirk.
Ich hoffe, der Vorstand erkennt ebenso dass diese Distanzierung eigentlich gar keine ist und handelt entsprechend konsequent. Die unangenehme Angelegenheit möglichst schnell abhaken und vergessen wie es viele wohl gerne hätten ist nunmal nicht realistisch. Sicher keine einfache Aufgabe aber wer hat gesagt dass es einfach wird? Durch den Sturm müssen wir durch um gestärkt daraus hervorzugehen.
In diesem Sinne, volle Kraft voraus!
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Gut gesprochen. Ich bin mit dem Verhalten des PP-Vorstands im Großen und Ganzen recht zufrieden. Wie sich das jetzt weiter entwickelt muss man sehen. Eher bestürzt mich da schon was für Kommentare man da so teilweise in Forum und ML liest. Ich hege die Hoffnung dass das nicht alles Piraten sind sondern alles Trolle bzw. Spinner.
Hallo Dirk,
ein sehr guter Artikel. Noch besser es von jemand zu hören „der dabei war”, als Bodo gerügt wurde. Mir persönlich gehen seine Äußerungen auch zu weit und verlassen zu oft die diskussionswürdigen Grundlagen freier Meinung.
Es ist, wie hier gesagt und dein Beispiel mit der Tierschutzpartei ist treffend. Wir haben uns geschworen, weder eine von den gestrigen politischen Stellungen rechts, mitte oder links einzunehmen und nehmen eindeutig in unserer Satzung Stellung, was wir nicht dulden werden. In diesem Sinne, hoffe ich, dass hier alles in gerechter Weise und wie der Vorstand es richtig macht, nicht vorschnell, die Partei durch diese Kriese lenkt und Schaden von der Partei fern hält.
„Eine Manschaft ist darauf angewiesen, dem Captain in stürmischer See zu vertrauen und ihn zu unterstützen, sonst kann es für alle schlecht enden.” Zitat, by myself (Ich werd ja wohl keine fremden Leute zitieren…)