Rede auf der „Löschen statt Sperren”-Demonstration am 20. Juni 2009 2


Auf der gest­ri­gen han­no­ver­schen „Löschen statt Sperren”-Demonstration gegen das „Zugangs­er­schwer­nis­ge­setz” habe ich eine Rede gehal­ten. Nach­fol­gend doku­men­tie­re ich dies. Zunächst ein Zusam­men­schnitt der – in mei­nen Augen wich­tigs­ten Passagen:

Rede Hill­brecht „Löschen statt Sperren”
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Das Video ist auch direkt auf You­tube abrufbar.

Den kom­plet­ten Rede­text habe ich als PDF-Datei veröffentlicht.

Nun, und schließ­lich gab es bei mei­ner Rede auch ein paar Stel­len, die nicht so recht geplant waren, die ich der Nach­welt aber auch nicht vor­ent­hal­ten möch­te: Voi­la, die Out­takes:

Out­takes zur „Löschen statt Sperren”-Rede
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Hin­weis: Die Vide­os sind im Janu­ar 2013 von Seven­load auf You­tube umgezogen

Die kom­plet­te Rede gibt’s bei El Por­ro. Die Jungs haben auch ein Inter­view auf der Ver­an­stal­tung gemacht. (Hin­weis: Bei­de sind mitt­ler­wei­le nicht mehr verfügbar.)

Schließ­lich noch der kom­plet­te Rede­text. Vor­sicht, lang…

Lie­be Freun­de, wir haben uns heu­te hier ver­sam­melt, weil am Don­ners­tag ein Gesetz ver­ab­schie­det wurde.
Es gibt eine Peti­ti­on gibt eine Peti­ti­on gegen das Gesetz, die 134000 Bür­ger unter­schrie­ben haben. Trotz­dem wur­de es verabschiedet.
Vie­le Exper­ten kri­ti­sie­ren es scharf. Trotz­dem wur­de es verabschiedet.
Vie­le Jour­na­lis­ten kri­ti­sie­ren es scharf. Trotz­dem wur­de es verabschiedet.
Abge­ord­ne­te aus den Rei­hen der Regie­rungs­par­tei­en hat­ten schwe­re Beden­ken. Trotz­dem wur­de es verabschiedet.
Das Gesetz ist ver­fas­sungs­recht­lich unhalt­bar. Trotz­dem wur­de es verabschiedet.
Schließ­lich stellt die­ses Gesetz einen Bruch mit der frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Tra­di­ti­on Deutsch­lands dar. Trotz­dem wur­de es verabschiedet.
Die­ses Gesetz wur­de im Galopp durch die Instan­zen gepeitscht. Es wur­de getrickst, getäuscht, es wur­den fal­sche Ver­spre­chun­gen gemacht und fal­sche Behaup­tun­gen auf­ge­stellt. Und an vor­ders­ter Front steht bei die­sem Trick­sen, Täu­schen, Ver­spre­chen und Behaup­ten die Fami­li­en­mi­nis­te­rin Ursu­la von der Leyen.
Frau von der Ley­en behaup­tet, das Gesetz die­ne der Sper­re von soge­nann­ter Kin­der­por­no­gra­fie. Schon dies ist falsch, weil das Inter­net eben nur eines von vie­len Medi­en für die­se ver­derb­ten Inhal­te ist. Bil­der miss­brauch­ter Kin­der eben nicht nur auf Web­sei­ten, son­dern auf CDs, DVDs, Spei­cher­sticks oder ganz alt­mo­disch auf Papier. Hier hilft eine Inter­net­sper­re kein Stück!
Frau von der Ley­en behaup­tet, der Zugriff auf Kin­der­por­no­sei­ten wür­de erschwert. Das ist falsch! Fak­tisch wird eine Sicht­blen­de auf­ge­stellt, vor der jemand sagt: „Gehen Sie wei­ter, hier gibt’s nichts zu sehen”. Dabei hat er ein Stopp­schild in der Hand. Das ändert aber nichts an dem, was hin­ter der Sicht­blen­de pas­siert und wer will, kann sie zurück­schie­ben und auch wei­ter dahinterschauen.
Denn: Die Sperr­ver­su­che im Inter­net ver­hin­dern nicht einen ein­zi­gen Kindesmissbrauch!
Frau von der Ley­en behaup­tet zudem, man müs­se han­deln, weil das Pro­blem immer grö­ßer wer­de. Das ist falsch! Bes­se­re Poli­zei­ar­beit führt zu mehr Auf­klä­rung und genaue­res Hin­se­hen zu mehr Nach­for­schun­gen. Das zeigt, dass das vor­han­de­ne Sys­tem gut funk­tio­niert. Es ist gera­de­zu schi­zo­phren, gutes Funk­tio­nie­ren als Vor­wand für neue Maß­nah­men zu neh­men. Fak­tisch ist die Prä­senz von Kin­des­miss­brauch im Inter­net in den ver­gan­ge­nen Jah­ren näm­lich sogar zurück­ge­gan­gen. Wer das nicht sagt, ver­schweigt einen Teil der Wahrheit!

Es gibt nur ein pro­ba­tes Mit­tel gegen Kin­des­miss­brauch, und das ist nicht ihn zu ver­ste­cken, son­dern von vorn­her­ein zu ver­hin­dern. Und das geht nur, indem man Kin­des­miss­brauch unter­bin­det und die Täter zur Ver­ant­wor­tung zieht. Das geht nur mit Zivil­cou­ra­ge. Es ist eine Auf­ga­be der gesam­ten Gesell­schaft. Mit ihrem Ver­ste­cken und Ver­ber­gen unter­bin­det Frau von der Ley­en genau dies: Sie will kei­ne eman­zi­pier­te Bür­ger­ge­sell­schaft. Sie will einen Obrig­keits­staat, der zwi­schen gut und schlecht unter­schei­det. Sie will kei­ne Dis­kus­si­on, son­dern sie will blin­den Gehor­sam. Und wer nicht buckelt und macht, was das BKA sagt, der ist schon Mal ver­däch­tig und min­des­tens zur Hälf­te ein Ver­bre­cher. Kin­des­miss­brauch ver­hin­dert man nicht mit ver­bor­ge­nen Behör­den, son­dern durch Auf­klä­rung, durch Bera­tung, durch eine geschul­te und gut aus­ge­stat­te­te Poli­zei vor Ort. Es ist mehr als schänd­lich, dass genau an die­sen Din­gen immer mehr gespart wird. So erhält man eine Demo­kra­tie aber nicht, Frau von der Ley­en, Herr Schäub­le. So ver­kommt sie zur Demo­kra­tur. Und wenn man sich Ihr Reden und Han­deln so anschaut, könn­te man fast mei­nen, sie fän­den das gut und rich­tig. Wir aber nicht!
Das Gesetz vom Don­ners­tag ist kein Gesetz zum Kin­der­schutz. Die Kin­der waren immer nur Vehi­kel. Vor die­sem Hin­ter­grund führt das Gesetz eine völ­lig neue Dimen­si­on der Inhalts­kon­trol­le im Inter­net ein: Künf­tig kann eine Bun­des­be­hör­de, eine Poli­zei, dar­über ent­schei­den, was im deut­schen Inter­net zu sehen sein soll und was nicht. Sie kann dies unkon­trol­liert und ohne Ein­spruchs­mög­lich­kei­ten tun. sie soll dies auf der Grund­la­ge von sub­jek­ti­ven Ein­schät­zun­gen machen. Und sie kann dabei auf ein Sys­tem zurück­grei­fen, das jetzt in Deutsch­land instal­liert wird und das die Blo­cka­de jedes belie­bi­gen Inter­net­in­halts erlaubt.
Die­ser Ansatz stellt eine Zäsur im deut­schen Rechts- und Frei­heits­ver­ständ­nis dar. Es ist nicht weni­ger als eine Zei­ten­wen­de im Gan­ge – weg von einem Staat, in dem die Frei­heit der Nor­mal­fall ist und Ein­schrän­kun­gen nur in begrün­de­ten Ein­zel­fäl­len vor­ge­nom­men wer­den – hin zu einer umfas­sen­den Gesin­nungs­kon­trol­le, in der Frei­heit nach Guts­her­ren­art ver­teilt wird und so eine Art Beloh­nung für gutes Betra­gen ist. Das Vehi­kel die­ser Zei­ten­wen­de ist die Zen­sur und genau die­se Zen­sur wird mit dem Gesetz eingeführt.
Und wer jetzt sagt, es gin­ge ja nur um die Kin­der und um nichts ande­res, der hat die Dis­kus­si­on der letz­ten Tage ent­we­der ver­pennt oder nicht wahr­ha­ben wol­len. Von Kil­ler­spie­len über poli­ti­sche Mei­nungs­sei­ten bis hin zu Musik – das Gesetz ist noch nicht ver­ab­schie­det und schon kom­men sie aus allen Ecken und Enden her­vor­ge­kro­chen mit ihren Sperr­for­de­run­gen. Frau von der Ley­ens Vor­stel­lung von Demo­kra­tie und Bür­ger­rech­ten reißt sich ihre Mas­ke längst vom Gesicht und dar­un­ter kommt eine häss­li­che Frat­ze zum Vor­schein. Dem schau­en wir nicht taten­los zu!
Wir haben jede Recht­fer­ti­gung, hier zu ste­hen und hier und heu­te zu sagen, dass die­ses Gesetz kein Gesetz zur Ver­hin­de­rung von Kin­des­miss­brauch ist, son­dern ein Gesetz zur Ein­füh­rung einer all­ge­mei­nen Inter­net­zen­sur in Deutsch­land. Einer Zen­sur, die von einer Poli­zei­be­hör­de vor­ge­nom­men wird. Einer Zen­sur, die von der Bun­des­re­gie­rung gefor­dert wird. Einer Zen­sur, die unab­seh­ba­ren Scha­den für Demo­kra­tie und Mei­nungs­frei­heit in Deutsch­land anrich­ten wird.

Ich habe noch gar nicht gesagt, wie die­ses Gesetz heißt. Es trägt den klang­vol­len Namen „Zugangs­er­schwer­nis­ge­setz”. Ich hal­te die­sen Namen für falsch! Hier wird kein Zugang erschwert, hier wird Zen­sur erschli­chen. Das ist kein Zugangs­er­schwer­nis­ge­setz, es ist ein Zen­sur­er­schlei­chungs­ge­setz! Aber Zen­sur wird sich in die­sem Lan­de nicht erschli­chen. Das Grund­ge­setz sagt klipp und klar: Eine Zen­sur fin­det nicht statt! Und wir pas­sen auf, dass das so bleibt. Hörst du uns, Zensursula?
Die Abstim­mung im Bun­des­tag zeigt, dass das The­ma dort immer noch nicht begrif­fen wird. CDU und SPD haben fast geschlos­sen für die Inter­net­zen­sur gestimmt und bei den Grü­nen hat sich eine nen­nens­wer­te Anzahl von Abge­ord­ne­ten ent­hal­ten, anstatt die­sem Angriff auf die Mei­nungs­frei­heit klipp und klar den Rie­gel vor­zu­schie­ben. Wenn man dann die Begrün­dun­gen hört, merkt man, dass vie­le Abge­ord­ne­te und poli­ti­sche Ent­schei­dungs­trä­ger über­haupt noch nicht ver­stan­den haben, um was es geht. Sie ver­ste­hen nicht, dass das Inter­net für vie­le Men­schen schon heu­te wich­tigs­te Infor­ma­ti­ons­quel­le ist. Sie wis­sen nicht, wie vie­len Men­schen auf die­sem Weg bereits heu­te ihre sozia­len, beruf­li­chen und poli­ti­schen Kon­tak­te pfle­gen. Sie begrei­fen nicht, zu welch wich­ti­gem Bestand­teil das Netz heu­te für vie­le gewor­den ist. Sie hören „Kin­der­por­no” und sagen „ver­bie­ten”. Rich­tig! Aber genau das macht die­ses Gesetz nicht! Es ist nicht zu viel ver­langt, wenn sich Poli­ti­ker vor der­art wich­ti­gen Ent­schei­dun­gen ein wenig mit dem The­ma beschäf­ti­gen. Dann wür­den sie sehen, wie weit die Unter­stel­lung, das Netz wäre „voll von Bil­dern miss­brauch­ter Kin­der” von der Rea­li­tät ent­fernt ist. Es ist eben nicht so, dass man sich nach drei Klicks Live­vi­de­os von Sex mit Kin­dern anschau­en kann. Und es ist eine Unge­heu­er­lich­keit, wenn der Bun­des­wirt­schafts­mi­nis­ter Gut­ten­berg die Unter­zeich­ner der Peti­ti­on gegen das Zen­sur­ge­setz in die Nähe von Kin­der­schän­dern rückt! Da sagt das Netz: Wil­helm, so nicht!
Die Poli­tik hat eini­ge grund­sätz­li­che Din­ge noch nicht begrif­fen. Das zeigt sich im klei­nen, wenn Minis­te­rin Zypries nach ihrem Lieb­lings­brow­ser gefragt wird und den Kin­der­re­por­tern rat­los ant­wor­tet: „Brow­ser, was war jetzt noch­mal ein Brow­ser?”. Im Grö­ße­ren wird es klar, wenn eben die­se Frau Zypries zur Inter­net­po­li­ti­ke­rin des Jah­res gewählt wird und sich dann auch noch stolz auf ihrer Minis­te­ri­ums­sei­te mit die­sem Titel schmückt. Das mag lus­tig sein, aber im Gro­ßen führt genau die­ses Unver­ständ­nis zu sol­chen Geset­zen, wie wir sie momen­tan vor uns haben. Wer den Wert des Inter­nets nicht begreift, schert sich auch nicht dar­um, ihn zu erhal­ten. Sor­gen wir dafür, dass der Wert klar wird!

Ich ste­he hier für die Pira­ten­par­tei. Wir sagen von uns, dass wir für die The­men des 21. Jahr­hun­derts ste­hen. Und das ist heu­te nöti­ge denn je. Die­se The­men kom­men in der momen­ta­nen Poli­tik in die­sem Land nicht an, die The­men wer­den nicht wahr­ge­nom­men, ja die The­men wer­den nicht ein­mal ver­stan­den. Das Inter­net und die neu­en Medi­en sind in letz­ten 10 Jah­ren zen­tra­ler Bestand­teil unse­rer Gesell­schaft gewor­den. Sie bie­ten phan­tas­ti­sche neue Mög­lich­kei­ten von Daten- und Mei­nungs­aus­tausch. Wir befin­den uns mit­ten in einem Pro­zess der umfas­sen­den Neu­struk­tu­rie­rung unse­rer Gesell­schaft. Jede unre­flek­tier­te Ein­schrän­kung und jede Zen­sur im Inter­net wir­ken sich heu­te unmit­tel­bar auf die Gesell­schaft aus. Wenn wir jetzt nicht auf­pas­sen, wachen wir mor­gen in einem Über­wa­chungs- und Kon­troll­staat auf und es ist zu spät. Die „eta­blier­ten” Par­tei­en haben das noch nicht ver­stan­den und wol­len es auch nicht ver­ste­hen. Viel­leicht ver­ste­hen sie es aber auch durch­aus und wol­len es nur nicht wahr­ha­ben. Die Par­tei­en­land­schaft ändert sich gera­de rapi­de und der Ein­fluss der­je­ni­gen Par­tei­en, die 60 Jah­re lang für die Bun­des­re­pu­blik ent­schei­dend waren, schwin­det. Es besteht die Gefahr, dass die alten Kräf­te am Sta­tus Quo fest­hal­ten wol­len und dies selbst auf die Gefahr hin, die bür­ger­li­che Gesell­schaft, die Mei­nungs­frei­heit und die Demo­kra­tie fak­tisch abzu­schaf­fen. Das macht den Kampf gegen die­se Ent­wick­lung umso wich­ti­ger. Wir brau­chen neue poli­ti­sche Kräf­te, die sich wie­der für den Geist unse­rer Ver­fas­sung ein­set­zen, die für Bür­ger- und Frei­heits­rech­te ste­hen. Wir brau­chen Kräf­te, die eine Staat wol­len, der nur so stark ist, wie unbe­dingt nötig und der sich nicht immer grö­ßer und immer mäch­ti­ger und immer bestim­men­der macht. Und ich wäre nicht Vor­sit­zen­der der Pira­ten­par­tei, wenn ich da nicht sagen wür­de: Die Pira­ten­par­tei ist eine sol­che poli­ti­sche Kraft. Und sie wird stärker.
Wir haben mitt­ler­wei­le eine lan­ge demo­kra­ti­sche Tra­di­ti­on in die­sem Land. Das stimmt mich hoff­nungs­voll, dass es hier nicht zu Zuspit­zun­gen kommt, wie sie in Chi­na statt­fin­den oder aktu­ell im Iran. Aber gera­de der Iran zeigt, wel­che Ener­gie sich heu­te aus dem Inter­net ergibt. Wenn dort mit Blogs, Han­dy­ka­me­ras, Web­sei­ten und Twit­ter gegen die Unter­drü­ckung von Frei­heit und Men­schen­rech­ten gekämpft wird, dann kön­nen wir das auch. Also: Bloggt, twit­tert, dis­ku­tiert, über­zeugt und demons­triert! Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns die Frei­heit klaut!
Die Ver­ab­schie­dung des Zen­sur­ge­set­zes ist nicht das Ende der Aus­ein­an­der­set­zung. Sie ist gera­de mal der Anfang. Wir wer­den nicht nach­las­sen, wir wer­den nicht klein bei­geben und wir wer­den so lan­ge für unse­re Rech­te kämp­fen, bis die­ses Gesetz auf dem Müll­hau­fen gelan­det ist, auf den es gehört.
Vie­len Dank!


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