Letzte Woche schrieb ich über eine Veranstaltung mit Professor Monheim zur Stadtgestaltung. Ein wichtiger Punkt war ihm, dass der Einzelhandel die Erreichbarkeit mit dem Auto massiv und wider besseren Wissens überschätzt. Das ist einer der Gründe, warum seit Jahrzehnten dem Autoverkehr zu viel Platz in der Stadt- und Verkehrsplanung eingeräumt wird.
Keine Woche später gibt es ein weiteres Beispiel für diese Überschätzung des Autoverkehrs:
Das Kölner Institut für Handelsforschung, IFH, hat im Rahmen der Studie „Vitale Innenstädte” die Attraktivität von 121 deutschen Innenstädten untersucht und verglichen. Die Studie für Hannover ist auf hannover.de verfügbar, die HAZ berichtet heute auch (Paywall).
In der Studie wird als einer der zentralen Punkte untersucht: Wie kommen die Leute in die Innenstadt?
Die Zahlen sind deutlich: Fast zwei Drittel der Besucher kommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nur 20% mit dem Auto. Das sind nur wenig mehr als mit dem Rad oder zu Fuß. Anders gesagt:
Vier von fünf Besuchern der hannoverschen Innenstadt kommen nicht mit dem Auto.
Und wie lautet die prominenteste Empfehlung des wissenschaftlichen IFH-Leiters Markus Preißner, der die Studie vorgestellt hat? Ich zitiere hannover.de:
Verbesserungsbedarf sieht Preißner bei der Erreichbarkeit mit dem PKW.
Ich frage mich: Wie liest der Mann diese Erkenntnis aus seinen eigenen Zahlen? Nochmal: 80% der Innenstadtbesucher kommen überhaupt nicht mit dem Auto. Und der wichtigste Verbesserungsbedarf ist etwas, das für diese 80% aller Besucher vollkommen egal ist?
Ich behaupte ja, dass sich mit anderen Maßnahmen viel mehr erreichen lässt. Dafür betrachte ich die folgenden drei Bausteine:
Baustein 1: Verhältnis der Verkehrsmittel zueinander
Schauen wir nochmal aufs Fahrrad: Hannover hat hier die spannende Situation, dass der Radverkehrsanteil unter den Innenstadtbesuchern deutlich höher ist als bei vergleichbaren Städten. Gleichzeitig ist der Autoverkehrsanteil deutlich niedriger als anderswo.
Baustein 2: Die Innenstadt und das Jugendproblem
Besonders in der HAZ wird herausgearbeitet, dass die hannoversche Innenstadt ein Jugendproblem hat: Das Publikum ist überdurchschnittlich alt, die Altersgruppe bis 25 gibt der Innenstadt schlechtere Noten als ältere Besucher. In der Methodik der Studie wird hier nun auf vermeintlich coole Maßnahmen wie „freies WLAN” gezielt. Auch Conrad von Meding kommentiert in der HAZ in diese Richtung:
Beim kostenlosen WLAN hat Hannover viel zu lange gezögert. Jetzt muss schnell das gemeinsame Nachdenken starten, wie die Stadt attraktiver für junge Kunden werden kann.
Ich weiß da was anderes:
Baustein 3: Die Jugend und die Autos
Im erwähnten Vortrag hat Prof. Monheim die Jugend als den „Silberstreif am Horizont” für die Verkehrsplanung in den Städten bezeichnet. Denn: Ein erheblicher Teil macht heutzutage gar keinen Führerschein mehr. Und von denen, die ihn machen, wollen 50% überhaupt kein eigenes Auto.
An dieser Stelle muss ich kurz innehalten: Das ist ein signifikant anderes Verhalten als „zu meiner Zeit”. Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre war es eine große Ausnahme, wenn man – so wie ich – nicht mit 18 Jahren den Führerschein gemacht hat. In meinem 100 Menschen starken Abitur-Jahrgang waren es meiner Erinnerung nach 3, die keinen Führerschein hatten. Dass sich die Prioritäten hier deutlich verschoben haben, habe ich in den letzten Jahren auch schon selbst im Gespräch mit jüngeren Menschen gemerkt.
Schlussfolgerung: Fahrrad statt Auto!
Wird also die Innenstadt für die Mehrzahl ihrer Besucher – und gerade für die Jugend – attraktiver, wenn man ihre „Erreichbarkeit mit dem PKW” verbessert? Nein, wird sie nicht! Die Menschen kommen zum ganz überwiegenden Teil mit anderen Verkehrsmitteln, und je jünger sie werden, desto größer wird der Unterschied!
Hannover sollte sich also verkehrsmäßig auf denjenigen Vorteil konzentrieren, den es schon hat: Den höheren Radverkehrsanteil nämlich! Eine attraktive Erreichbarkeit mit dem Fahrrad stabilisiert diesen Trend und erreicht zudem in besonderem Maße die potentiellen jugendlichen Besucherschichten, an denen es momentan mangelt. Und nicht zu vergessen: Die Fahrradinfrastruktur braucht nur einen Bruchteil des Platzes und der finanziellen Mittel, die man für eine Verbesserung der Autoverkehrswege aufwenden müsste.
Ich finde es bedauerlich, dass weder die Stadt noch die Medienberichterstattung auf diesen Punkt eingeht. Und leider wurde in der Studie nur die Güte der Erreichbarkeit mit ÖPNV (gut) und Auto (befriedigend – deshalb dieses „muss verbessert werden”) ab – nicht jedoch, wie gut die Radfahrer meinen, in die Stadt gekommen zu sein. Aus eigener Erfahrung weiß ich: Da ist noch viel Luft nach oben.
Und so schließt sich der Kreis zu Prof. Monheim: Wieder einmal wurde die Wichtigkeit des Autoverkehrs grandios überschätzt – und wieder einmal passiert das im Angesicht der Zahlen, die genau das Gegenteil belegen. Hören wir also an dieser Stelle nicht auf den „Experten”, sondern schauen wir auf die Zahlen. Und die empfehlen: Bauen wir ordentliche Radverkehrswege und keine Autofahrbahnen!
Also erstmal sehr gut geschrieben „dein„ „ihr„ blog.
Ich komme nicht aus Hannover, fahre aber wenn, nur mit Zug und SBahn nach bzw. in Hannover, warum?
Mir ist es ein graus in Hannover Auto zu fahren, ich habe es einige male probiert, jedoch immer das selbe Ergebnis: drängeln, nicht auf Ortsfremde Rücksicht nehmen, viel zuviele Autos auf einem Haufen und dann das Problem mit der A2. Deswegen reisen wir immer mit der Bahn nach Hannover. In Hannover selbst sehe ich viel mehr Autos rumstehen als fahrende. Überwiegend Fußgänger, Radfahrer, Bus oder SBahnfahrer. Das die „Experten„ Handlungsbedarf „beim Thema Autofahrer sehen leuchtet mir ein. Jedoch werden die das nicht hinbekommen. Die bräuchten viel mehr Platz für Autos, das würde die Bahnfahrer einschränken, dann würden die Zahlen sinken. Um am ende alles wieder Rückgängig zu machen. Anfangen sollten die Hannoveraner selber, mehr Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer nehmen, wäre der beste Schritt. Und zum Thema Jugendliche in die Stadt bringen hmmm ist ein schwieriges Thema. Mit WLan ziehe ich ALLE aus der Stadt raus, da im Internet alles billiger ist. Hannover hat schon viele Magneten: Primark, Kino, genug Lokalitäten. Aber die interessantesten Dinge sind ausserhalb: Lasertek und co. Ich finde Hannover hat Charme und ist immer eine Kurzreise wert.
Hallo Jörg, vielen Dank für das Lob. In Hannover wird die Verkehrspolitik viel zu stark auf den Autoverkehr ausgerichtet. Mittlerweile werden zwar die Stimmen mehr, die betonen, dass ein „Weiter so” nicht nur nicht strebenswert, sondern schlicht nicht mehr möglich ist. Momentan überwiegen aber noch die Beharrungskräfte. Letztlich ist es aber nur eine Zeitfrage, denn es muss sich etwas ändern.
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Die Logik die da hinter steckt ist ja: „waaaaas, nur 20% kommen mit dem Auto? Die Erreichbarkeit muss furchtbar schlecht sein!”. Niemand, also wirklich keiner dieser Leute denkt einen Schritt weiter und stellt die Frage nach dem „Warum ist das so?”
Ein tolles Beispiel (Mal wieder) wie die Methode das Ergebnis beeinflusst. Stell die richtigen Fragen und du kriegst die Antworten die du willst.
Scheiß auf Lebensqualität!
Schon die Wahlmöglichkeit „Zweirad” bei der Anreise und die fehlenden Fragen nach Radverkehrsinfrastruktur zeigen, dass die Studie rein autozentristisch ist und Radfahrende nur als Ausschlussgruppe in Abgrenzung zur vermeintlich relevanten Zielgruppe definiert werden.
Die fehlenden Fragen nach „wo kaufen Sie sonst offline” tut ein Übriges. Man hat gar kein Interesse daran, zu erfahren, ob (bzw. dass) die Innenstadt auch mit entwickelten Stadtteilen konkurriert, in der die Leute zu Fuß und mit dem Rad bessere und sicherere Verhältnisse, bessere Erreichbarkeit und kürzere Wege vorfinden.
Selbst wer mit dem Rad in die City pendelt, ist froh, wenn er da wieder weg und nicht angefahren worden ist. Die Einkäufe erledigt man dann lieber beim Nahversorger im Stadtteil.
Aufenthaltsqualität hat die City nur da, wo keine Autos sind. Und keine Straße in der Fußgängerzone gilt bisher als B‑Lage, weil man nicht vor den Geschäften parken kann. Im Gegenteil. Osterstr, Baringstr, Schmiedestr sind die Problembereiche. Das immerhin zeigt die Studie.