Prof. Peter Kruse, Honorarprofessor für Psychologie an der Universität Bremen, geschäftsführender Gesellschafter der nextpractice GmbH und Autor von über zweihundert wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Publikationen spricht auf FreieWelt.net über den Wertewandel in der Gesellschaft und seine Auswirkungen auf Wirtschaft, Politik und Lebenswelt. Einige Auszüge:
[…]Die Menschen suchen verstärkt nach Sinn. Die schnelle Befriedigung über Hypes und Massenangebote lehnen sie mit wachsender Klarheit ab. […] Statt um „gut, günstig und bequem” geht es um „sinnvoll, nachhaltig und innovativ”. Im Mittelpunkt steht nicht Spaß, sondern Glück, […] die Freude, etwas mit persönlichem Einsatz erreicht zu haben.[…]Die Sozialisationskraft des Web2.0 kann kaum überschätzt werden. […] Angesichts der Möglichkeiten zur Partizipation und Einflussnahme, die sich mit den neuen Medien eröffnen, und angesichts der Fähigkeit der jungen Generation, sich diese Möglichkeiten zu nutze zu machen, dürfte die noch vorherrschende Vorstellung gesellschaftlicher Machtausübung heftig unter Druck geraten. Politik und Wirtschaft stehen vor einem Erdbeben.[…]
Unsere Interviewergebnisse zeigen, dass die Jugendlichen heute tatsächlich keineswegs Politik verdrossen sind. Kritisiert werden nicht politische Themen oder Aktivitäten, sondern die bestehenden Mechanismen politischer Beteiligung. Ich denke es ist nicht zu gewagt, zu prognostizieren, dass die Politik sich in absehbarer Zeit mit der Formierung politischer Kräfte konfrontiert sehen wird, die themenspezifisch durchaus größere Wählermassen bewegen können, ohne sich der klassischen Mobilisierungswege einer Protestbewegung bedienen zu müssen. Es ist heute nicht mehr notwendig, auf die Straße zu gehen, um eine kritische Masse zu erreichen.[…]
Mit dem überraschenden Auftreten und Abschneiden der Piratenpartei bei der Wahl zum Europaparlament in Schweden ist wohl auch dem Letzten klar geworden, dass das Thema der neuen Medien auf die eine oder andere Art politische Brisanz entfalten wird. Aber so richtig nah dran bei der Übertragung auf das eigene Handeln ist noch nicht mal die Piraten-Partei selbst. Ich warte immer noch auf den ersten Parteitag, der sich auf das Experiment einer unkontrollierten Netzwerkdynamik einlässt. […] Aber welche Parteiführung lässt sich schon gerne absichtlich und bei vollem Bewusstsein darauf ein, von der eigenen Basis überrascht zu werden.
Ein wie ich finde sehr spannendes Interview, das die „Bewegung” der Piratenpartei als Ausdruck eines grundsätzlichen gesellschaftlichen Wandels sieht. Schön finde ich insbesondere das Abheben auf den Begriff „Politikverdrossenheit”, die nach Meinung des Autos eben keine Ablehnung politischer Arbeit als solche, sondern bloß mit den bisherigen Strukturen der politischen Meinungsbildung ist. Das ist auch meine Erfahrung: In der Piratenpartei versammeln sich viele hochpolitisch denkende Menschen, die aber nie in eine der etablierten Parteien eintreten würden.
Ich zum Beispiel.
Das ganze Interview, wie geschrieben, bei Freie Welt.
Was meint er denn mit „Parteitag, der sich auf das Experiment einer unkontrollierten Netzwerkdynamik einlässt”? Würde mich sehr interessieren, denn schlecht wäre es sicherlich nicht, wenn wir auch hier etwas Besseres finden als die aktuelle Funktionsweise von Parteitagen 🙂
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