Für einen Regionsverband einer Partei, die dieses Jahr zu Wahlen antritt, gibt es verschiedene Herausforderungen. Eine davon: Mit den etwa 50 Wahlkandidaten in Kontakt zu bleiben, die wir für die verschiedenen Listen aufgestellt haben. Meine Idee: Eine Mailingliste muss her. Für kurze Infos, Bitten um Informationen für die Wahl, Weiterleitung von allgemeinen Infos. Längst nicht jeder unserer Kandidaten liest die parteiinternen Informationsquellen und es ist quasi unmöglich, ständig einen Gesamtüberblick zu behalten.
Und eigentlich ist es ja ganz einfach: Auf Bundesebene haben wir ja ein hochambitioniertes IT-Team, das eine größere Menge Server verwaltet und betreut und darauf explizit diverse Dienste anbietet. Unter anderem Mailinglisten. Mein Versuch, dort meine Kandidatenmailingliste eingerichtet zu bekommen, verlief folgendermaßen:
- Abschicken einer E‑Mail an den Helpdesk: „Ich bräuchte eine Mailingliste, damit ich die Kandidaten für die Kommunalwahl gebündelt erreichen kann.”
- Sechs Wochen Funkstille.
- Antwortmail: Wir brauchen eine aktuelle Datenschutzerklärung von dir, bevor wir was freischalten. Link ins Wiki, darin Link auf PDF-Datei
- In der PDF-Datei: Fünf Seiten pseudo-juristisches Geschwafel, was man alles tun und – vor allem – nicht tun darf, dass das total böse ist und man ganz ganz lange ins Gefängnis wandert, wenn man auch nur darüber nachdenkt. Insgesamt zweimal zu unterschreiben und dann per Post („Eine Übermittlung per Fax können wir nur noch vorläufig akzeptieren.”) an die „Bundesgeschäftsstelle” zu schicken. Adresse darf ich mir selbst raussuchen. – Aber immerhin: Das Dokument ist in einem geschmackvollen Schriftstil gesetzt, hat ein leicht steingraues Piratenlogo als Hintergrundlogo und einen wichtigen Footer: „DSV R‑Abt.” Da weiß jemand, worauf es ankommt.
- Mittlerweile habe ich meinen eigenen Mailinglistenserver aufgesetzt und die Liste in Betrieb. Ich schreibe eine kurze Antwortmail, in der ich mich bedanke und noch viel Spaß beim Papiersortieren wünsche.
- Seitdem schickt mir mein Mailserver regelmäßig Infomails, dass er meine E‑Mail leider noch nicht zustellen konnte, weil die Gegenseite nicht erreichbar ist.
Das mit dem „eigenen Mailinglistenserver” ist übrigens kein Witz. Ich habe glücklicherweise das Know-How und auch die technischen Möglichkeiten, dies zu tun. Ich kann dafür sogar dedizierte Hardware hinter Firewalls platzieren, sodass selbst das nötige technische und regulatorische Maß an Sicherheit in der Datenverarbeitung gewährleistet ist. Und insbesondere muss ich dafür keinen Papierkrieg vogonischen Ausmaßes entfachen.
Es bleiben meinerseits eine Frage und eine Einsicht. Die Frage: Wie um alles in der Welt kommt man auf eine derartige Prioritätensetzung? Ich kann es mir nur so erklären, dass da über Monate und Jahre immer wieder irgendjemand „Wichtiges” angeschüsselt gekommen ist und rumgenölt hat: „Nö, in der Datenschutzerklärung muss aber noch dies-und-das stehen.” Und der nächste: „Nö, ihr braucht aber noch dieses-und-jenes.” Und der nächste: „Neinnein, per Fax geht ja gar nicht.” Und universell muss es natürlich sein. Ob nun globale Adminrechte auf dem zentralen Parteiverwaltungsserver oder Verwalter einer lokalen Mailingliste mit einer mittleren zweistelligen Zahl von Mailadressen: Vor dem gestrengen Auge der vereinigten Juristen- und Datenschutzbeauftragtenphalanx ist das alles gleich. Und muss alles mit den gleichen martialischen Paragrafenwerken auf Linie gebracht werden.
Und die Einsicht? Nunja, jede Prioritätensetzung fordert ihren Tribut. Wenn man ständig damit beschäftigt ist, „Datenschutzerklärungen” zu erzeugen, zu verwalten, neue anzufordern und Papier abzuheften, dann bleibt die Anfrage nach einem für den Wahlkampf vor Ort wichtigen Arbeitsmittel schonmal sechs Wochen liegen – und ist dann weiter auf unbestimmte Zeit verzögert, weil ja erst Papier durch die Gegend geschickt werden muss. Und das Ticketsystem nimmt Antwort-E-Mails halt nur sporadisch an. Schade bloß, wenn das aktive Parteimitglied vor Ort sich nicht – so wie ich – selbst helfen kann, sondern sich auf die Hilfe der IT-„Abteilung” verlassen muss. Da bekommt das Wort „verlassen” dann nämlich eine ganz neue Bedeutung.
Schade, dass sich die „IT-Abteilung” so von den selbst ernannten Rechts- und Datenschutz-„Experten” an die Kandare nehmen lässt. Der unschönste Beigeschmack bei alldem ist nämlich das latente Misstrauen, das einem durch solcherlei Gebahren entgegenschlägt: „Du bist dumm und unfähig, ordentlich mit den Dingen umzugehen. Deshalb setzen wir dir jetzt hier haarklein auseinander, was du alles falsch machen kannst. Und wehe, du machst was falsch!” Da fühlt man sich so richtig wohl, in so einer Atmosphäre. Auch wenn das in die Gedankenwelt mancher „Beauftragter” nicht passt: Der ganz überwiegende Teil der Aktiven hier will keine Daten verwalten um etwas Böses mit ihnen anzustellen. Die Leute haben eine Arbeit zu tun und müssen dafür ein paar Daten verwalten. Dafür braucht nicht stets und ständig den ganz großen Hammer rauszuholen.
Und die IT’ler? In der Piratenpartei würde ich am ehesten „Geeks with Awareness” erwarten. Warum macht ihr diese Rabulistik mit? Was kommt als nächstes? Gewissenstestzwang beim zuständigen Gliederungsvorsitzenden im persönlichen Gespräch? Steht dann von euch mal jemand auf und gebietet mal ein bisschen Einhalt? Und fragt mal nach, wozu dieser ganze Zinnober eigentlich gut ist? Oder wird dann auch schön in Reih’ und Glied weitermarschiert?
Nee nee, Leute, „Denk selbst” geht anders.
P.S.: Und das allercoolste: „Datenschutzerklärungen” sind überflüssiger Unfug in Vollendung: Hochgradig verwaltungsintensiv und dabei völlig nutzlos. Aber darüber schreib’ ich ein anderes Mal.
Kann Monach da nur Zustimmen. Während des Wahlkampfes hatte ich am 2. Februar eine weitere ML bestellt. Die damals gültige DSE an die BGS gefaxt und per Post geschickt. Seither nix mehr gehört. Am Sonntag (3.3.) habe ich eine E‑Mail von der BundesIT bekommen, dass ich doch bitte eine DSE schicken soll. Mein Einwand, dass das vor 2 Monaten bereit geschehen ist, lies er nicht gelten.
Wahlkampf ist jetzt eh vorbei, daher kann er sich die ML auch in die Haare schmieren.
Grüße Carsten (LVor BW)
Ich hab das gleiche erlebt und hab’s dann auch einfach gelassen. Die IT arbeitet mE schlimmer als die Bundespost.…
Sie haben aber afaik recht mit der DSE, wenn man das DSG penibel liest.… Aber da gibt es wohl mehrere Lesarten
Hallo Dirk.
Die Beantragung der lokalen Hemminger Mailingliste ging äußerst schnell und effektiv bei der PiratenIT im Juni 2010, und das ohne Unterschrift unter eine Datenschutzerklärung.
Zugegeben, wäre auch meine dritte Unterschrift unter eine piratige Datenschutzerklärung gewesen.
BTW: Bin stark daran interessiert, warum Datenschutzerklärungen „völlig nutzlos” sind! 😉
Grüße,
Steven
PS: Muss ich die Unterschrift jetzt eigentlich nachholen?
Hihi, das mit der Mailingliste kenne ich schon irgendwo her. Lief bei uns in Bawü bei der Landtagswahl auch so ab, es musste auch bei uns auf einen privaten Server ausgewichen werden. Wäre sonst wohl nix mehr damit geworden, vor dem Wahltermin…