Die Piratenpartei und ihre IT – Von Prioritäten 4


Für einen Regi­ons­ver­band einer Par­tei, die die­ses Jahr zu Wah­len antritt, gibt es ver­schie­de­ne Her­aus­for­de­run­gen. Eine davon: Mit den etwa 50 Wahl­kan­di­da­ten in Kon­takt zu blei­ben, die wir für die ver­schie­de­nen Lis­ten auf­ge­stellt haben. Mei­ne Idee: Eine Mai­ling­lis­te muss her. Für kur­ze Infos, Bit­ten um Infor­ma­tio­nen für die Wahl, Wei­ter­lei­tung von all­ge­mei­nen Infos. Längst nicht jeder unse­rer Kan­di­da­ten liest die par­tei­in­ter­nen Infor­ma­ti­ons­quel­len und es ist qua­si unmög­lich, stän­dig einen Gesamt­über­blick zu behalten.

Und eigent­lich ist es ja ganz ein­fach: Auf Bun­des­ebe­ne haben wir ja ein hoch­am­bi­tio­nier­tes IT-Team, das eine grö­ße­re Men­ge Ser­ver ver­wal­tet und betreut und dar­auf expli­zit diver­se Diens­te anbie­tet. Unter ande­rem Mai­ling­lis­ten. Mein Ver­such, dort mei­ne Kan­di­da­ten­mai­ling­lis­te ein­ge­rich­tet zu bekom­men, ver­lief folgendermaßen:

  1. Abschi­cken einer E‑Mail an den Help­desk: „Ich bräuch­te eine Mai­ling­lis­te, damit ich die Kan­di­da­ten für die Kom­mu­nal­wahl gebün­delt errei­chen kann.”
  2. Sechs Wochen Funkstille.
  3. Ant­wort­mail: Wir brau­chen eine aktu­el­le Daten­schutz­er­klä­rung von dir, bevor wir was frei­schal­ten. Link ins Wiki, dar­in Link auf PDF-Datei
  4. In der PDF-Datei: Fünf Sei­ten pseu­do-juris­ti­sches Geschwa­fel, was man alles tun und – vor allem – nicht tun darf, dass das total böse ist und man ganz ganz lan­ge ins Gefäng­nis wan­dert, wenn man auch nur dar­über nach­denkt. Ins­ge­samt zwei­mal zu unter­schrei­ben und dann per Post („Eine Über­mitt­lung per Fax kön­nen wir nur noch vor­läu­fig akzep­tie­ren.”) an die „Bun­des­ge­schäfts­stel­le” zu schi­cken. Adres­se darf ich mir selbst raus­su­chen. – Aber immer­hin: Das Doku­ment ist in einem geschmack­vol­len Schrift­stil gesetzt, hat ein leicht stein­grau­es Pira­ten­lo­go als Hin­ter­grund­lo­go und einen wich­ti­gen Foo­ter: „DSV R‑Abt.” Da weiß jemand, wor­auf es ankommt.
  5. Mitt­ler­wei­le habe ich mei­nen eige­nen Mai­ling­lis­ten­ser­ver auf­ge­setzt und die Lis­te in Betrieb. Ich schrei­be eine kur­ze Ant­wort­mail, in der ich mich bedan­ke und noch viel Spaß beim Papier­sor­tie­ren wünsche.
  6. Seit­dem schickt mir mein Mail­ser­ver regel­mä­ßig Info­mails, dass er mei­ne E‑Mail lei­der noch nicht zustel­len konn­te, weil die Gegen­sei­te nicht erreich­bar ist.

Das mit dem „eige­nen Mai­ling­lis­ten­ser­ver” ist übri­gens kein Witz. Ich habe glück­li­cher­wei­se das Know-How und auch die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten, dies zu tun. Ich kann dafür sogar dedi­zier­te Hard­ware hin­ter Fire­walls plat­zie­ren, sodass selbst das nöti­ge tech­ni­sche und regu­la­to­ri­sche Maß an Sicher­heit in der Daten­ver­ar­bei­tung gewähr­leis­tet ist. Und ins­be­son­de­re muss ich dafür kei­nen Papier­krieg vogo­ni­schen Aus­ma­ßes entfachen.

Es blei­ben mei­ner­seits eine Fra­ge und eine Ein­sicht. Die Fra­ge: Wie um alles in der Welt kommt man auf eine der­ar­ti­ge Prio­ri­tä­ten­set­zung? Ich kann es mir nur so erklä­ren, dass da über Mona­te und Jah­re immer wie­der irgend­je­mand „Wich­ti­ges” ange­schüs­selt gekom­men ist und rum­gen­ölt hat: „Nö, in der Daten­schutz­er­klä­rung muss aber noch dies-und-das ste­hen.” Und der nächs­te: „Nö, ihr braucht aber noch die­ses-und-jenes.” Und der nächs­te: „Nein­nein, per Fax geht ja gar nicht.” Und uni­ver­sell muss es natür­lich sein. Ob nun glo­ba­le Admin­rech­te auf dem zen­tra­len Par­tei­ver­wal­tungs­ser­ver oder Ver­wal­ter einer loka­len Mai­ling­lis­te mit einer mitt­le­ren zwei­stel­li­gen Zahl von Mail­adres­sen: Vor dem gestren­gen Auge der ver­ei­nig­ten Juris­ten- und Daten­schutz­be­auf­trag­ten­pha­lanx ist das alles gleich. Und muss alles mit den glei­chen mar­tia­li­schen Para­gra­fen­wer­ken auf Linie gebracht werden.

Und die Ein­sicht? Nun­ja, jede Prio­ri­tä­ten­set­zung for­dert ihren Tri­but. Wenn man stän­dig damit beschäf­tigt ist, „Daten­schutz­er­klä­run­gen” zu erzeu­gen, zu ver­wal­ten, neue anzu­for­dern und Papier abzu­hef­ten, dann bleibt die Anfra­ge nach einem für den Wahl­kampf vor Ort wich­ti­gen Arbeits­mit­tel schon­mal sechs Wochen lie­gen – und ist dann wei­ter auf unbe­stimm­te Zeit ver­zö­gert, weil ja erst Papier durch die Gegend geschickt wer­den muss. Und das Ticket­sys­tem nimmt Ant­wort-E-Mails halt nur spo­ra­disch an. Scha­de bloß, wenn das akti­ve Par­tei­mit­glied vor Ort sich nicht – so wie ich – selbst hel­fen kann, son­dern sich auf die Hil­fe der IT-„Abteilung” ver­las­sen muss. Da bekommt das Wort „ver­las­sen” dann näm­lich eine ganz neue Bedeutung.

Scha­de, dass sich die „IT-Abtei­lung” so von den selbst ernann­ten Rechts- und Datenschutz-„Experten” an die Kan­da­re neh­men lässt. Der unschöns­te Bei­geschmack bei all­dem ist näm­lich das laten­te Miss­trau­en, das einem durch sol­cher­lei Gebah­ren ent­ge­gen­schlägt: „Du bist dumm und unfä­hig, ordent­lich mit den Din­gen umzu­ge­hen. Des­halb set­zen wir dir jetzt hier haar­klein aus­ein­an­der, was du alles falsch machen kannst. Und wehe, du machst was falsch!” Da fühlt man sich so rich­tig wohl, in so einer Atmo­sphä­re. Auch wenn das in die Gedan­ken­welt man­cher „Beauf­trag­ter” nicht passt: Der ganz über­wie­gen­de Teil der Akti­ven hier will kei­ne Daten ver­wal­ten um etwas Böses mit ihnen anzu­stel­len. Die Leu­te haben eine Arbeit zu tun und müs­sen dafür ein paar Daten ver­wal­ten. Dafür braucht nicht stets und stän­dig den ganz gro­ßen Ham­mer rauszuholen.

Und die IT’­ler? In der Pira­ten­par­tei wür­de ich am ehes­ten „Geeks with Awa­re­ness” erwar­ten. War­um macht ihr die­se Rabu­lis­tik mit? Was kommt als nächs­tes? Gewis­sens­test­zwang beim zustän­di­gen Glie­de­rungs­vor­sit­zen­den im per­sön­li­chen Gespräch? Steht dann von euch mal jemand auf und gebie­tet mal ein biss­chen Ein­halt? Und fragt mal nach, wozu die­ser gan­ze Zin­no­ber eigent­lich gut ist? Oder wird dann auch schön in Reih’ und Glied weitermarschiert?

Nee nee, Leu­te, „Denk selbst” geht anders.

P.S.: Und das aller­cools­te: „Daten­schutz­er­klä­run­gen” sind über­flüs­si­ger Unfug in Voll­endung: Hoch­gra­dig ver­wal­tungs­in­ten­siv und dabei völ­lig nutz­los. Aber dar­über schreib’ ich ein ande­res Mal.


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4 Gedanken zu “Die Piratenpartei und ihre IT – Von Prioritäten

  • Carsten Lenz

    Kann Monach da nur Zustim­men. Wäh­rend des Wahl­kamp­fes hat­te ich am 2. Febru­ar eine wei­te­re ML bestellt. Die damals gül­ti­ge DSE an die BGS gefaxt und per Post geschickt. Seit­her nix mehr gehört. Am Sonn­tag (3.3.) habe ich eine E‑Mail von der Bun­desIT bekom­men, dass ich doch bit­te eine DSE schi­cken soll. Mein Ein­wand, dass das vor 2 Mona­ten bereit gesche­hen ist, lies er nicht gelten. 

    Wahl­kampf ist jetzt eh vor­bei, daher kann er sich die ML auch in die Haa­re schmieren.

    Grü­ße Cars­ten (LVor BW)

  • Stefan

    Ich hab das glei­che erlebt und hab’s dann auch ein­fach gelas­sen. Die IT arbei­tet mE schlim­mer als die Bundespost.…

    Sie haben aber afa­ik recht mit der DSE, wenn man das DSG peni­bel liest.… Aber da gibt es wohl meh­re­re Lesarten

  • Steven Maaß

    Hal­lo Dirk.

    Die Bean­tra­gung der loka­len Hem­min­ger Mai­ling­lis­te ging äußerst schnell und effek­tiv bei der Pira­te­nIT im Juni 2010, und das ohne Unter­schrift unter eine Datenschutzerklärung. 

    Zuge­ge­ben, wäre auch mei­ne drit­te Unter­schrift unter eine pira­ti­ge Daten­schutz­er­klä­rung gewesen.

    BTW: Bin stark dar­an inter­es­siert, war­um Daten­schutz­er­klä­run­gen „völ­lig nutz­los” sind! 😉

    Grü­ße,
    Steven

    PS: Muss ich die Unter­schrift jetzt eigent­lich nachholen?

  • Monarch

    Hihi, das mit der Mai­ling­lis­te ken­ne ich schon irgend­wo her. Lief bei uns in Bawü bei der Land­tags­wahl auch so ab, es muss­te auch bei uns auf einen pri­va­ten Ser­ver aus­ge­wi­chen wer­den. Wäre sonst wohl nix mehr damit gewor­den, vor dem Wahltermin…