Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin zu gutgläubig für diese Welt. So auch jetzt. Dass man mit dem Inneren von Kernkraftwerken ein wenig vorsichtig sein muss, das war mir schon irgendwie klar. Und das mit der Nachzerfallswärme ist auch einleuchtend. Aber das wird ja nicht soooo lange dauern. Ein paar Tage, maximal wenige Wochen, dann geht von den verbrauchten Kernbrennstäben keine Gefahr mehr aus.
Bildquelle: Alois Staudacher/Neokortex, Wikimedia Commons, CC-BY-SA 3.0
Denkste!
Nachdem in Fukushima die einzelnen Reaktoren in so eine Art Wettstreit um den größten Knall eingetreten sind und dabei auch die zum Zeitpunkt von Beben und Tsunami abgeschalteten Reaktoren 4 bis 6 fröhlich mitspielen, habe ich meine diesbezügliche Wissenslücke mal gefüllt. Wikipedia hilft: Bis zu 5 Jahre(!) bleibt so ein Kernbrennstab im Abklingbecken. Und eine nennenswerte Zeit davon muss er aktiv mit immer neuem Wasser gekühlt werden, weil das Wasser im Becken ansonsten warm wird, verdampft, der Brennstab dann frei liegt, sich weiter aufheizt und so unerfreuliche Dinge wie Korrosion, Zerplatzen oder gar Wiederaufflackern der Kettenreaktion eintreten können.
5 Jahre!
Sorry, aber: Sind die denn alle bescheuert?!? Ich meine: Mal angenommen auf Grund einer Natur- oder anderen Katastrophe kommt es zu einem großflächigen Ausfall der Infrastruktur und damit zu einer Unterbrechung der – wie wir in den letzten Tagen ja lernen mussten – absolut notwendigen aktiven Kühlung der Kernbrennstäbe. Dann ist die atomare Katastrophe nicht nur wahrscheinlich, sondern sicher. Und diese Gefahr geht nicht nur von einem aktiven Kernreaktor aus, sondern selbst von einem, der schon mehrere Jahre abgeschaltet ist.
Aus den USA kommt die Aufforderung an Amerikaner in Japan, zu dem Unglücksreaktor einen Sicherheitsabstand von mindestens 80 km einzuhalten. Wenn man mal annimmt, dass dieser Hinweis nicht völlig auf blauen Dunst erfolgt, dann kann man das auf Deutschland so umrechnen: Bei einer ähnlichen Situation in den Kernkraftwerken Brunsbüttel, Brokdorf oder Krümmel wäre Hamburg locker in einer solchen 80-km-Zone, flöge das Kernkraftwerk Grohnde in die Luft, könnte ich mir überlegen, wohin ich von meinem Hannover aus umziehen will.
Es bedarf wohl eines gerüttelt Maß an Ignoranz, eine Technik mit derart zerstörerischem Potential über Jahrzehnte zu protegieren. Nun bin ich in keiner Weise mit dem Bau oder Betrieb von Kernkraftwerken beschäftigt, aber mich würde schon mal interessieren, was sich wohl Ingenieure denken, die genau in solchen Positionen gearbeitet und dabei Jahrzehnte lang das Mantra von der „sicheren Atomenergie” vor sich hergetragen haben.
Es ist dringend an der Zeit, dass wir uns von diesen tickenden Zeitbomben namens „Kernkraftwerk” trennen. Die Energiepolitik muss – ich schrieb das bereits – auf nachhaltig arbeitende, kleine, verteilte Anlagen setzen, die selbst bei einem Totalausfall und vollständiger Zerstörung nur ein lokal begrenztes Schadenspotential haben. Wenn ein Windrad umfällt, erschlägt es schlimmstenfalls die Kuh auf der Wiese. Es verseucht aber nicht für viele Jahre alle Kühe, die in der Nähe seines ursprünglichen Standortes weiden. Eine Bewertung von Technik unter dem Aspekt ihres größten Zerstörungspotentials im Fehlerfalle ist überfällig – und dieser Betrachtung dürfte jedwede Form der Nutzung von „Kernenergie” zum Opfer fallen.
Am meisten aber erschüttert mich nach wie vor, dass es über einen derart langen Zeitraum überhaupt möglich war, diese enormen Risiken der Kernkraft auszublenden und auf diese Weise solche Anlagen überhaupt erst zu errichten. Hier ist auch eine deutliche Änderung auf politischer Ebene nötig – und zwar zügig und nachhaltig.