Nach Wochen hat es denn also geklappt: Julian Assange, das „Gesicht” der WikiLeaks-Plattform, ist festgesetzt. Auf Grund von für deutsche Ohren halbwegs merkwürdig klingenden Vorwürfen. Vor allem aber mit nicht nur für deutsche Augen höchst dubiosen Methoden. Das Bild fügt sich nur langsam zusammen, den momentan aktuellsten Überblick gibt ein Telepolis-Artikel. Für mich ergeben sich einige beunruhigende Momente.
Die Vorwürfe gegen Assange kommen komplett aus seinem privaten Umfeld. Sie wurden im August bereits voruntersucht und dann nicht nur nicht weiter verfolgt, Assange durfte unbehelligt aus Schweden und damit aus dem Zugriffsbereich der dortigen Behörden ausreisen. Auf den Tisch kam das Ganze erst wieder, als es politisch opportun wurde, weil WikiLeaks – und damit auch sein Gesicht Assange – sich mit nicht weniger als der „einzig verbliebenen Supermacht des Planeten” anlegten. Ich fände es sehr, sehr spannend, wenn WikiLeaks in den nächsten Tagen mal den „geheimen” Nachrichtenverkehr der schwedischen US-Botschaft veröffentlichen würde – ob Julian Assange da an der einen oder anderen Stelle eine Rolle gespielt hat?
Die Festnahme von Assange ist ein klares politisches Signal. Für mich spricht viel dafür, dass hier auf Teufel komm raus ein Exempel statuiert werden soll: Assange wird wie weiland die politischen Dissidenten im Ostblock kaltgestellt und die Abstrusität der dafür missbrauchten Vorwürfe soll zeigen: „Das kann auch jeden anderen treffen, der sich mit uns anlegt.” Das „uns” ist dabei besonders unheimlich, denn: Wer agiert denn da im Hintergrund? Schweden? Großbritannien? Die USA? Alle gemeinsam? Für alle Paranoiker ist es an der Zeit, dem normalen Aluhut noch einen zweiten hinzuzufügen, aber auch nüchtern betrachtet zeigen sich unerfreuliche Entwicklungen: Die in den vergangenen 20 Jahren vorangetriebenen „Globalisierungseffekte” haben erhebliche Schattenseiten. Internationale Mechanismen wie zum Beispiel der Europäische Haftbefehl lassen sich von Einzelnen – zumal Betroffenen – kaum noch irgendwie kontrollieren; ist die Maschinerie erst einmal angelaufen, gibt es quasi kein Entkommen mehr. Und dabei ist es nicht mal nötig, dass die politisch brisante Arbeit juristisch angreifbar ist – irgendwas findet sich immer. Möchte irgendjemand darauf wetten, dass die USA nicht doch irgendwann in den nächsten Wochen ankommen und Assange als „Terroristen” habhaft werden möchten?
Alles in allem lässt das Schlimmes befürchten mit Blick auf andere europäische oder internationale Vorhaben wie ein gemeinsames europäisches Patentrecht, ACTA oder gar INDECT.
WikiLeaks ist ein meines Erachtens fundamental wichtiges Korrektiv für die politischen Systeme (nicht nur, aber insbesondere) der westlichen Welt. Demokratische Kontrolle von Staatsführungen funktioniert nur, wenn das Volk über das Tun und Lassen besagter Führung im Bilde ist. Klassischerweise übernehmen diese Informationsrolle die Medien, deren einstmals faktisch weit reichende Privilegien und Monopole in Zeiten des Internet erheblich nivelliert sind. So kann WikiLeaks einen enormen Beitrag leisten – und genau deshalb wird es wohl von einigen Seiten als bedrohlich empfunden. Es ist eine gesellschaftliche Aufgabe, dieses Bedrohungsgefühl zu thematisieren und zu erkennen, dass eine solche Sichtweise auf WikiLeaks den Grundwerten einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft zutiefst zuwider läuft: Wikileaks ist keine Bedrohung! Bedrohlich für unsere Grundordnung sind nur solche politischen Kräfte, die WikiLeaks bekämpfen. Und sie werden umso bedrohlicher, je mehr sie dafür gute Gründe zu haben meinen.
Das Verfahren um Julian Assange ist aktuell ein wenig – nunja – festgefahren. Ich habe die Befürchtung, dass nach Monaten juristischen und politischen Tauziehens irgendeine Art von Hornberger Schießen dabei herauskommt, bei dem als einziger Verlierer Assange dasteht, der längere Zeit unter dubiosen Umständen eingesperrt war. Ich hoffe inständig, dass die Ankündigungen der WikiLeaks-Organisation zutreffen, dass die Nichtverfügbarkeit von Assange keine nachhaltige Beeinträchtigung ihrer Arbeit nach sich zieht.
Ach so, und was die „geleakten” Botschaftsnachrichten betrifft: Dort gab es ja auch das eine oder andere über lokale „Politprominenz” wie Frau Merkel oder Herrn Westerwelle zu lesen. Ich kenne niemanden in meinem Umfeld, der den dortigen Einschätzungen nicht wenigstens im Grundsatz zustimmt. Insofern sind sie ja eigentlich gar nicht so ganz auf dem Kopf gefallen, unsere amerikanischen Freunde…
Es ist schon sonderbar ruhig geworden um Wikileaks und Julian Assange. Könnte natürlich auch sein, dass da im Hintergrund einge Deals abgelaufen sind. Finanzielle Mittel, Straffreiheit bei der Vergewaltigungsgeschichte, einen gewissen Status, wie ihn nur Staaten verleihen können, wer weiss? Auf jeden Fall fällt auf, dass nach dem anfänglichen weltweiten Hype, der seinesgleichen suchte, nunmehr gegen Null tendiert. Grüße aus Berlin
Pingback: Leaky weeks – Zum Fall des Julian Assange und WikiLeaks « Letzte … | My Wikileaks
Die Beschäftigung mit Wikileaks täuscht nicht darüber hinweg, dass Veränderungen, bzw. Anpassungen notwendig sind. Während sich die Mehrheit mit Symptomen unzeitgemäßer ökonomischer Strukturen beschäftigt, ohne dabei die eigentlichen Zusammenhänge zu kennen (denn dies wurde nie gelernt oder gelehrt), bleiben funktionelle Lösungsmuster, wie sie eine Gesellschaft in der Tat benötigt nach wir vor aus.
Assange zeigt nur auf, wie die uns bisher verkapselte Realität an unserem Bewusstsein rüttelt, nicht nur darüber nachzudenken, sondern dass es Zeit ist, neue Wege zu gehen.
Doch mit mehrheitlich vorhandenem Wissen, lassen sich die Probleme nicht lösen, aus denen sie ursächlich entstanden sind.
Traditionell-konventionelle Politik kann die Probleme nicht lösen, findet die geballte Macht nicht ihren eigentlichen Einsatz, dort wo Veränderung im Sinne aller wirksam werden kann. Kein Gesetz ist dazu nötig, die notwendige Neuorientierung in die Wege zu leiten.
Zeit über die Zusammenhänge nachzudenken und zu handeln.
Handeln heißt die Aufgabe.
Allzu lange sollte sich die Mehrheit nicht von der notwendigen Anpassung an globale Marktanforderungen ablenken lassen.