Am gestrigen 2009-07-09 brachte die „Zeit” auf Seite 2 einen größeren Artikel über die Piratenpartei in Schweden und in Deutschland. Der Grundtenor war – naja. Frau Gaschke lässt wenig Klischees aus und formuliert teilweise wahrlich nicht freundlich.
Man kann über den Artikel so einiges sagen. Zu behaupten, alles sei richtig, gehört allerdings nicht dazu. Schauen wir uns das mal näher an. Da der Artikel online nicht verfügbar zu sein scheint, zitiere ich die interessanten Stellen:
„Diese Leute [in der schwedischen Piratenpartei] kämpfen für das Recht, sich weiter so zu benehmen, wie sie es getan haben, seit sie 15 Jahre alt sind”, sagt Jan Rosen, Professor für Privat- und Urheberrecht an der Universität Stockholm. „Sie haben eine geradezu lächerliche Fixierung auf die Unterhaltungsindustrie. Und leider begegnen die älteren Parteien ihnen bisher äußerst opportunistisch.”
Das bezieht sich zwar vor allem auf die schwedische Piratenpartei, aber das Zitat ist trotzdem interessant. Hier wird zum ersten Mal in dem Artikel versucht, die Piratenpartei auf das Urheberrechtsthema festzunageln. Gerade in Deutschland spielte das aber in den letzten Wochen und Monaten eine eher untergeordnete Rolle, hier waren zivilgesellschaftliche Themen und die Bürgerrechte viel wichtiger für die Arbeit und die Außendarstellung. Lächerlich ist also nicht die vorgebliche Fixierung auf das Urheberrecht, sondern die Behauptung, es gäbe eine solche.
Meinungen, die bei Amelia Andersdotter als charmante Radikalität erscheinen, wirken bei den ernsthaften jungen Männern, die Ende Juni in Berlin das erste Büro der Partei in Deutschland einweihen, eher beunruhigend.
Stilistischer Kunstgriff: Da wirkt etwas „beunruhigend” – bloß was? Da will sich die Autorin lieber nicht festlegen. Stattdessen zitiert und kommentiert sie ein Interview mit unserem Berliner Spitzenkandidaten, in dem einige Kernpunkte genau so dargestellt werden, dass der unvoreingenommene Leser maximal verwirrt wird.
[…]Stoppschilder im Internet [sind] qualitativ nichts anderes als die Zensur, die Iran gegenüber Oppositionellen ausübt. „Wir müssen die Demokratie reparieren”, sagt Florian Bischof […]: „Die Grundrechte sind in Deutschland nicht gewahrt.” Bitte? „Naja, die Menschenrechte vielleicht schon.” Aber in jedem Fall verletzen die Parteien ständig die Verfassung. Inwiefern? „Durch den Fraktionszwang. Fraktionszwang finden wir nicht gut, das ist nicht mit Demokratie vereinbar.” Und wie wollen sie es halten bei Fragen, die über die bekannten Positionen der deutschen Piratenpartei zu Vorratsdatenspeicherung (dagegen), Urheberrecht (dagegen) und Internetsperren (dagegen) hinausgehen? Die Parteimitglieder, sagt Bischof, würden zu jedem Thema im Netz ein Meinungsbild erstellen. Ein bindendes? „Nee, im Zweifel ist der Abgeordnete seinem Gewissen verpflichtet.”
Na, gemerkt? Richtig, da hat Frau Gaschke schön zwischen dem ganzen Geschwurbsel eine der zentralen Falschbehauptungen über die Piratenpartei eingebaut, so leise und unschuldig, dass man es fast überlesen könnte. Ich korrigiere mal trotzdem: Wir sind nicht gegen das Urheberrecht! Wir wollen es an die technischen Änderungen der letzten Jahre anpassen. Und wenn Frau Gaschke auf dem Parteitag, den sie besucht hat, ein bisschen aufgepasst hätte, wüsste sie das auch, weil dort eine ausführliche Ausarbeitung dieses Themas diskutiert und ins Wahlprogramm aufgenommen wurde.
Aber überhaupt, der Parteitag. Der wird in dem Artikel eher so ein wenig in Anekdoten abgehandelt. Ein paar Kostproben:
Der Weg vom Onlineforum zur Tagungswirklichkeit einer real existierenden Partei ist hart. Auf dem Bundesparteitag in Hamburg unterwarfen sich am vergangenen Wochenende 250 Mitglieder der Piratenpartei einer Geschäftsordnungsdebatte, die einen mittleren SPD-Landesparteitag im Vergleich wie eine Orgie hätte aussehen lassen.
WTF? Vielleicht fehlt mir Phantasie, vielleicht liegt es daran, dass ich noch nie auf einem SPD-Landesparteitag war (zumal nicht auf einem „mittleren”), aber was in aller Welt will uns die Autorin mit diesem Bild sagen. Klingt irgendwie witzig – aber inhaltlich??? Ich versteh’s nicht.
Zum Thema Frauen hat Frau Gaschke auch so ihre eigenen Beobachtungen gemacht:
Die wenigen anwesenden Frauen entsprachen netterweise den traditionellen Geschlechterrollen und kümmerten sich um Akkreditierung und Souvenirverkauf.
Die Autorin unterschlägt souverän, dass eine Frau im neuen Vorstand sitzt und Diskussion und Plenum wahrlich nicht rein männlich besetzt waren. Abgesehen davon waren bei der Akkreditierung Männlein und Weiblein etwa gleichverteilt. Und Souvenirverkauf?!? Wir sind doch nicht in Ägypten.
In einer hinteren Bankreihe rätselten zwei andere, warum Frauen sich eigentlich so wenig für Bürgerrechte interessierten. Man war versucht, den Herren einen Tipp zu geben: Könnte es an der Art der Debatte liegen? Möglicherweise sind Frauen auch in den IT-Berufen, aus denen sich die Partei offenbar überwiegend rekrutiert, nur schwach vertreten. Wer fortschrittlich sein möchte – mindestens so fortschrittlich wie die CSU -, muss sich dann freilich Abhilfe überlegen.
Das ist doch irgendwie wirr. Debatte und Berufe sind nichts für Frauen und die Piraten bemühen sich, in Sachen Fortschrittlichkeit zur CSU aufzuschließen. Aua, wie schräg ist das denn?
Etwa die Hälfte der Teilnehmer verfolgte die vor ihren Augen stattfindende Plenumsdebatte twitternd am Bildschirm ihres Laptops (eine oberflächliche Zählung durch die Autorin ergab 127 anwesende Geräte).
Das war aber sehr oberflächlich gezählt, ich würde da eher auf 200 tippen. Und die Leute haben da nicht „getwittert”, sondern die Texte, um die es in der Debatte gerade ging, nachgelesen – oder vielleicht auch in das in Echtzeit ins Netz gestellte Verlaufsprotokoll geschaut. Laptops statt Papierberge – andere Medien haben das durchaus verstanden.
An der merkwürdigen Stumpfheit der Parteitagsstimmung konnte auch die kurze Eingangsrede des ehemaligen Parteivorsitzenden Dirk Hilbrecht[sic!] nichts ändern – höchstens verstärkte sie das nagende Gefühl, alle nur denkbaren Piratenwitze könnten in ziemlich naher Zukunft verbraucht sein.
Was wollen uns diese Zeilen sagen? Soll ich das persönlich nehmen, Frau Gaschke? Oder gehört das in die Rubrik „Ein bisschen Spaß muss sein”? Egal, ich lasse die Stumpfheit mal einfach so stehen. Und es ist ja nicht so, dass nur ich mein Fett wegkriege:
Jens Seipenbusch […] ist Sportler (Turnen, Tennis, Volleyball), seit fünf Jahren verheiratet mit einer Lehrerin, und er entspricht nicht dem Klischee des mit seinem Computer verwachsenen Online-Olms. […] Sorge macht ihm, da ist er ganz im Einklang mit der latent paranoiden Parteikultur, „Überwachungsstrukturen”. Die sieht er vor allem durch das Urheberrecht begründet. An diesem Punkt legt sich eine gewisse Schärfe in Seipenbuschs Ton. „Werte, die digital vorliegen, sind effizienterweise nicht zu regulieren”, sagt er. „Wenn das Urheberrecht rigoros durchgesetzt wird, ist das Kommunikationsgeheimnis am Ende.”
„Latent paranoid”. Soso. Der Zeit-Artikel ist auch irgendwie latent, ich weiß bloß noch nicht, was. Ansonsten ist es da wieder, das Urheberrecht. Man könnte meinen, alle Online-OlmeGesprächspartner hätten über nicht anderes gesprochen. Fast als wären wir eine Ein-Themen-Partei… Logisch, dass der Artikel auch mit diesem Thema endet und nochmal so richtig in die Vollen geht:
Das ist die szenetypische Beweislastumkehr: Der enteignete Autor, Journalist, Musiker oder Filmschaffende wird zum Täter, der das Menschenrecht der Nutzer auf kostenlose Downloads verletzt. Die Konsequenz wäre leider, dass die Urheber künftig öfter überlegen werden, ob sich die Veröffentlichung ihrer Ideen, ihrer wissenschaftlichen Arbeiten oder ihrer Kunst noch lohnt. Kommt es so, dann gibt es auch für die Digitalrevolutionäre irgendwann nichts mehr zu verteilen.
Damit wäre die Katze dann aus dem Sack: Kampfprosa der Verwertungsindustrie vom Feinsten. „Kostenlose Downloads” als „Menschenrecht”, Werkschaffende als „Täter” und „Beweislastumkehr” – verquaster geht es schon fast nicht mehr. Die Strukturen der Vor-Internet-Ära werden in Stein gehauen und als unveränderliche Tatsache begriffen. Dabei ist die Revolution längst im Gange. Creative Commons, Citizen Journalism, Jamendo, Open Source, Open Access – die neuen Verwertungsmodelle sind längst da. Und sie werden von den „Autoren, Journalisten, Musikern oder Filmschaffenden” angenommen. Freiwillig. Das Internet ist nicht das Ende der Kultur, wie Susanne Gaschke es hier an die Wand zu malen versucht. Es ist vielmehr das Ende der zentral gesteuerten und verwerteten Kultur, das Ende der Entfremdung des Künstlers von seinem Werk. Die einzigen Verlierer dieses Prozesses, die früheren „Verwerter”, mögen sich noch so heftig dagegen sträuben und Grundrechte aushöhlende Gesetze mit ihrer Lobbyarbeit durch die Parlamente zu peitschen versuchen – sie werden die Änderungen nicht verhindern können.
Und auch eine Susanne Gaschke mit einem merkbefreit geschriebenen Zeitungsartikel schafft das nicht.
@dirk
saugeil intelligente und treffend analytische journalistische Retourkutsche! zudem überaus interessant, was sich durch die Kommentare an Zusatzinformationen erschließen lässt und wie sich die Realität somit mehr und mehr konkret und zunehmend klarer erkennbar abzeichnet!
ich würde mir von dir wünschen, argumentatorisch und vor allem taktisch in Interviews grundsätzlich genauso offensiv vorzugehen, Schwachstellen der gegnerischen Positionen zu benennen und anzugreifen und somit nicht immer selbst nur in der Verteidigung sein zu müssen, anstatt freiwillig eine vermeintliche Verteidigungshaltung einzunehmen – so macht man nämlich keine Punkte.. und politische Diskussionen sind intellektuelles Boxen, heißt ja nicht umsonst Schlagabtausch;_))
Ich habe Susanne Gaschke als realistische und sinnvolle Politikerin kennengelernt und schätze ihre Veröffentlichungen sehr.
Tatsächlich zeigt der Artikel auf, dass das Geschlechtergleichgewicht in der Piratenpartei nicht vorhanden ist – die Piraten tun gut daran, sich dessen bewußt zu sein.
Der Artikel in der Zeit entspricht aber auch ihre Historie und zeigt daß die Generation der „jungen” Bundestagsabgeordneten, zu denen Hans-Peter Bartels gehört, leider auch schon zu alt ist.
Aber – bei dieser Generation besteht noch Hoffnung auf Verständnis, schlagt also nicht zu sehr drauf sondern schaut lieber wo die Kritik berechtigt ist. Man kritisiert nämlich nur Leute, die man ein wenig ernst nimmt. Die anderen werden ignoriert.
Die Gaschke macht plötzlich einen auf Feminismus ? Auweia. Ich weiß noch wie ich mich über ihren galoppierenden Schwachsinn zum angeblichen Bevölkerungsschwund geärgert habe und über das Gelaber, daß wir bösen Akademikerinnen keine Kinderlein machen wollen. Da war Frau G. ganz vorne mit dabei und hat den Muttiwahn dermaßen unterstützt, daß einem wirklich nur schlecht werden konnte. Und diese Frau versucht jetzt, uns Feministinnen zu mißbrauchen, um die Piratenpartei zu diskreditieren ? Herzlichen Dank, Frau G. Tolle Solidarität unter Frauen. Gerade unsere, dem Patriarchat oft mißliebigen Meinungen werden mit Sicherheit unter den ersten sein, die wegzensiert werden, wenn die letzten Schranken gefallen sind und unsere Grundrechte vollständig ausgehöhlt sind.
Also, die Piraten haben zuwenig Frauen in der Partei ? Vielleicht sollte man(n) mal etwas genauer hinschauen und die offensichtlichen Interessengemeinsamkeiten mit uns etwas mehr betonen. Habe ich in meiner direkten Umgebung schon getan und siehe da, plötzlich tönte da keine mehr ” Piraten? sind doch bloß bescheuerte Computerloser”.
Wunderbar sachlich geschriebener Blogpost!
Wenn das so weitergeht mit den Printmedien haben die am Ende zu verantworten das die ältere Generation die Jüngeren überhaupt nicht mehr versteht, immer mehr Angst kriegt und dann noch krasseren staatlichen Maßnahmen zustimmt.
Denken diese Leute eigentlich mal über ihre eigene Zukunft nach? Ich will in den nächsten Monaten eine Firma gründen. Ohne die Masse an frei verfügbaren Informationen und die Kommunikationsmöglichkeiten im Netz wäre das überhaupt nicht möglich. Die Netzgeneration, bzw. die Leute die sich zu Vernetzen wissen und dadurch Probleme viel effektiver lösen können werden die nächsten großen Steuer- und Rentenbeitragszahler.
Ich hab echt Angst vor den nächsten Diskussionen mit Eltern und Großeltern und anderen Älteren die durch solche Artikel („in eigener Sache”) völlig verängstigt sind.
Piraten suchen nach der besten Lösung für alle! Hinter die Löffel schreiben!
Ich weiß noch nicht was ich wähle, aber nach den feigen Enthaltungen der Grünen bei der Abstimmmung über das „Zugangserschwerungsgesetz”…
Ich fänds cool wenn die Piraten die 5% Hürde packen würden 😉
Ich habe Frau Gaschke bei der Eröffnung des Berliner Piratenbüros kennengelernt und länger mit ihr geredet. Sie macht im realen Leben einen deutlich tiefgründigeren und wohlinformierteren Eindruck, als man nach diesem Artikel glauben möchte.
Ich kann daraus nur schliessen, dass sie hier entweder wieder besseres Wissen die Piraten runtermacht, oder dass sie es aus der Angst heraus tut, weil sie gemerkt hat, dass hier eben gerade nicht ein Häuflein Spinner unterwegs ist.
Sie ist des weiteren politisch stark in der VG Wort engagiert und kämpft dort gegen Googles Buchdigitalisierung.
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Sehr sachlicher Zeriss des Artikels – die liebe Frau könnte sich eine Scheibe von dir abschneiden. Darf sich eigentlich Susanne Gaschkes Arbeit eigentlich noch Journalismus schimpfen?
Arrrrr!
Marcus
Was wichtiges hast du übersehen: Sie bezeichnet den gesamten Bereich der Informatik als „Unterhaltungsindustrie”, ganz so als könne man mit dem Computer nur Spiele daddeln.
Lieber Dirk,
Es ist nicht das erstemal, das Frau Gaschke sich so seltsam unkonkret und emotional in eine Internet-Debatte einmischt. Ich bin kein Freund der Urheberrechts-Position der Piraten, aber eine solche Berichterstattung habt Ihr nicht verdient. Als Abonnent der Zeit werde ich denen jetzt endlich mal einen saftigen Leserbrief schreiben, weil es einfach unwürdig für eine intelligente und kritische Zeitung ist, dieses intellektualiserte Bild-Zeitungs-Niveau zu unterstützen.
An Dich aber einen dicken Respekt. Deine Besprechung ist sehr zurückhaltend, man könnte hier auch emotionaler und angegriffener reagieren.
Gruß
Jonathan
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@anonymer: „Irgendwie scheint es, als ob alle CDU/CSU Mitläufer eine unsichtbare Stahlwand im Kopf haben.”
Hat damit nicht unbedingt was zu tun. Das erklärt nur warum sie Piraten basht, nicht warum sie verwerterrechtsfundamentalistisch argumentiert. Das findet sich im zweiten Absatz der Wikipedia:
„In jüngster Zeit wendet sie sich besonders Urheberrechtsfragen zu, wobei sie energisch die bildungs- und kulturkonservative Position des Heidelberger Appells einnimmt.”
Grüße 😉
@budapi: Ach, SPD, na ja, auch gut. 😉
Irgendwie scheint es, als ob alle CDU/CSU Mitläufer eine unsichtbare Stahlwand im Kopf haben. So auch Frau Gaschke..
Unglaublich.
Kurzer Blick in die Wikipedia… „Sie ist mit dem SPD-Politiker Hans-Peter Bartels verheiratet”
BINGO!