Heute sind wir wieder in der Innenstadt. Im Juli 1976 hat mein Opa die damalige Straßenbahnhaltestelle am Steintor fotografiert. Diese lag am Ende der Kurt-Schumacher-Straße vor der Einmündung in die Goseriede. Die Bahnsteige sind für damalige Verhältnisse sehr lang und der Haltestellenmast sagt auch, warum: Das doppelte „HH” weist diese Haltestelle als „Doppelhaltestelle” aus: Zwei Bahnen können hier hintereinander halten, auch die hintere hält dabei aber nur einmal. Muss man als Fahrgast ein bisschen aufpassen. Interessanterweise hat nur die Haltestelle stadtauswärts einen Wetterschutz. Auf beiden Bahnsteigen reichlich vorhanden sind hingegen die orangefarbenen Plastik-Abfalleimer, die noch Jahrzehnte im hannoverschen Straßenbild vorkommen werden. Achtet in den nächsten Tagen mal drauf…
Das Bild ist entstanden kurz nachdem die erste Stadtbahntunnelstrecke von Waterloo nach Lister Platz ihren Betrieb aufgenommen hat. Ich bin mir nicht sicher, ob das auf die hier fahrenden Bahnen Einfluss gehabt hat; den Bereich am Steintor hat die U‑Bahn-Baustelle jedenfalls erst Jahre später erreicht. Insofern zeigt das Bild noch ziemlich den Originalzustand, in dem dieser Bereich in den frühen 1960er Jahren zum Ende der Wiederaufbauphase nach dem 2. Weltkrieg hergerichtet wurde. Dazu gehört auch, dass die Einmündung der Kurt-Schumacher-Straße in die Goseriede als länglicher Kreisel angelegt war. Erkennbar ist das an den Verkehrsschildern im Hintergrund: Ein Zebrastreifen für den Fußverkehr und ein „Rechts abbiegen”-Pfeil für den Kfz- und Radverkehr in den Kreisverkehr hinein.
Donimierend auf dem Bild natürlich das „Anzeiger-Hochhaus”. Der Vorkriegsbau war eines der ersten Hochhäuser in Deutschland. Rechts davon, nur im Ansatz zu sehen, das Goseriedebad, das noch bis 1982 ein Schwimmbad war. Links davon das Gebäude der Sparkasse und links davon hinter den Bäumen – eine Baulücke. Es wird noch Jahre dauern, bis hier das neue Steintor entsteht.
Im Jahr 2019 hat sich viel geändert. Die Straßenbahn fährt immer noch durch die Straße, die Haltestelle ist allerdings „um die Ecke” in die Münzstraße verlegt. Die Haltestelle mit den sehr charakteristischen „Bus-Stops”-Wetterschutzbauwerken dient hier heute vor allem den Umlandbussen, die bis in die Innenstadt fahren. Dadurch ist die Fahrbahn insgesamt deutlich schmaler.
Was auf diesem Bild besonders auffällt, ist die wesentlich größere Präsenz des Radverkehrs. Es gibt beidseitig für den Radverkehr vorgesehene Wege, die allerdings äußerst schlecht ausgeführt sind. An verschiedensten Stellen sind – gut ausgelastete – Abstellanlagen für Fahrräder zu sehen. Vorne rechts sind zudem 3 elektrisch unterstützte Tretroller im Bild – ein Verkehrsmittel, an das 43 Jahre früher noch nicht zu denken war.
Das Ensemble aus Sparkasse, Anzeiger-Hochhaus und Goseriedebad präsentiert sich äußerlich nicht wesentlich verändert. Das Anzeiger-Hochhaus ist auf Grund der Kuppelsanierung eingerüstet. Es hat auch wesentlich kleiner unterteilte Fenster als 1976 – höchstwahrscheinlich weil dies dem Zustand zum Zeitpunkt der Eröffnung entspricht. Witzigerweise ist das bei der Sparkasse genau umgekehrt: Hier sind die unterteilten Fensterflächen durchgängigen Scheiben gewichen. Das Goseriedebad hingegen ist schon seit über 20 Jahren kein Bad mehr, sondern beherbergt heute unter anderem Büros und Kunstausstellungen.
Bleibt der Gebäuderiegel rechts im Bild. Hier hat es ebenfalls einige Überarbeitungen an Fenster, Balkonbrüstungen und Fassaden gegeben, stukturell sind die Gebäude aber unverändert. Der Supermarkt im Eckgebäude, der 1976 offensichtlich schlicht nach seinem Inhaber benannt ist (Jens Schmidt? Jörg Schmidt? Ines Schmidt?), gehört heute mit der Marke „Penny” zur Rewe-Gruppe.