Wer wissen will, warum ein SPD-Oberbürgermeister-Kandidat krachend im ersten Wahlgang scheitert und warum es eine schlechte Idee ist, am Sonntag den von der CDU aufgestellten Eckhard Scholz zu wählen, der musste am Donnerstag abend einfach mal im Bezirksrat Ricklingen vorbeischauen. Die ganz große Koalition von CDU, SPD und FDP – die AfD wurde mit einem Geschäftsordnungstrick wieder ausgeladen – will wirklich, dass die baustellenbedingte Verkehrsberuhigung in Oberricklingen abgebaut und die Nebenstraßen für den Durchgangsverkehr geöffnet werden. Über die Hintergründe und die Anwohnerdemonstration dagegen hatte ich gerade erst geschrieben.
Der ursprüngliche „Weg damit!”-Antrag wurde dabei ein wenig modifiziert – jetzt soll das erstmal bis Jahresende geändert und „Erkenntnisse gesammelt” werden, damit dann Anfang 2020 eine endgültige Entscheidung getroffen wird. Aber das ist alles so wachsweich und so unspezifisch, dass man es sich auch gut sparen kann – man brauchte den geänderten Antrag vor allem, damit man irgendwas „ohne AfD-Unterschrift” hat. Davor haben die Herrschaften Bezirksräte – wenn es jemand merkt – nämlich mehr Angst als davor, Schulwege bei winterlichem Schmuddelwetter mit überbordendem Autoverkehr zuzustopfen oder Radfahrern die gefahrlose Nutzung einer Fahrradstraße unmöglich zu machen.
Dabei hätten sie all dies wissen können. Sie hätte nur zuhören müssen, was ihnen unmittelbar vor der Abstimmung in der Einwohnerfragestunde sehr plastisch erzählt worden ist. Drohungen und Nötigungen gegen Radfahrer, Nutzung von Radwegen Am Sauerwinkel als Überhol- und Begegnungsfläche für Autoverkehr, Flucht der Radfahrer auf den Bürgersteig, ständige Lärmbelästigung auf den Straßenschwellen. Es war ihnen egal. Dass sie hier eine Fahrradstraße opfern, obwohl sie noch ein Jahr vorher genau dieser Fahrradstraße wegen eine solche Verkehrsberuhigung selbst wollten. Es war ihnen egal. Dass sie bereits mehrfach – auch heute wieder – Anträge zur Einrichtung von Fahrradvorzugsrouten beschließen, die genau durch diese Straße führen. Es war ihnen egal.
Stattdessen fragt Bezirksbürgermeister und Sitzungsleiter Markuth nach sechs sehr fundierten Redebeiträgen für die Sperren in der Einwohnerfragestunde plötzlich gezielt, ob Herr N. im Publikum sei. Der habe sich ja auf Facebook gegen die Sperren ausgesprochen. Und, oh Wunder, Herr N. ist da. Und darf dann vom „Frust der Wettberger” erzählen, und dass man ja einen Kompromiss wolle, aber niemand aus Oberricklingen gekommen sei. Und überhaupt.
Bezeichnend ist dabei, dass N., wie einige Sperren-Gegner, eine „Ihr gegen uns”-Erzählung betreibt. „Ein Keil wird zwischen Wettbergen und Oberricklingen getrieben.” – „Der Bezirk ist gespalten.” Solche Sätze sind häufiger zu hören. Das macht sie aber nicht weniger quatschig. Genauso bleibt in diesem wie in anderen Redebeiträgen völlig nebulös, worüber die Herrschaften denn so „frustriert” sind. Meine Vermutung ist ja, dass es wirklich nur ist, dass sie einige Minuten länger unterwegs sind und das doof finden aber gleichzeitig wissen, dass das so popelig klingt, dass sie da lieber gar nicht ins Detail gehen. Würde jedenfalls passen.
Was viele Leute aber zu Recht auf die Palme bringt ist die völlige Beliebigkeit des Bezirksratshandelns. Und zwar sowohl zeitlich als auch inhaltlich. Fahrradstraße ist wichtig. Ist nicht wichtig. Doch. Ein bisschen. Und das auch noch alles gleichzeitig. Wer soll das ernst nehmen?
Was mich wieder zu Eckhard Scholz bringt. Zur „Fahrradhauptstadt” will er Hannover machen. Sagt er. Manchmal. (Beim ADAC beispielsweise eher nicht.) Selbst wenn man mal unterstellt, dass er das wirklich wollte – seine CDU-Buddys würden das schon zu verhindern wissen. Und zwar mit eben der Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass-Strategie wie hier in Ricklingen: Einerseits die tollsten Radverkehrskonzepte fordern, andererseits aber faktisch exakt gegenteilig handeln. In Ricklingen sind CDU und SPD die Erfinder von „Schrödingers Fahrradstraße” – sie wird gleichzeitig ausgebaut und kaputt gemacht.
Wie völlig unglaubwürdig das alles ist, wissen die Bezirksräte wohl insgeheim selbst. So engagiert die Beiträge der Bürger in der Fragestunde waren, so einsilbig verläuft die Debatte im Bezirksrat. SPD-Fraktionsvorsitzende Bergmann referiert den „Änderungsantrag”, den CDU, SPD und FDP sich geschnitzt haben und dass man ja „Informationen sammeln muss” (an dieser Stelle Grummeln im Publikum: „Wie viele Kinder müssen denn überfahren werden, damit man genug weiß?”). Dann könne man endlich fundiert entscheiden. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Winnicki profiliert sich mit Perlen wie: „Wir wollen keinen Schleichverkehr, Durchgangsverkehr muss aber gehen.” Und zwei Sätze weiter dann: „Der Radverkehr liegt uns am Herzen”. Man stelle sich hier einen besonders treuherzigen Blick vor… Der FDP-Vertreter zieht es vor zu schweigen und der AfD-Mann ist eingeschnappt, dass er „jetzt plötzlich” nicht mehr mit unterschreiben durfte.
Grünen-Vertreter Dette, neben dem Linken-Vertreter der einzige, der den Antrag nicht unterstützt, bringt den Irrsinn der geplanten Beschlussfassung nochmal auf den Punkt: Der von CDU/SPD/FDP gewünschte „Test” wird mitten in der dunklen Jahreszeit auf stark frequentierten Grundschulwegen und einer Fahrradstraße durchgeführt: „Das wird schlimm.”
Am Ende wird dieser völlig indiskutable Antrag mit 15 gegen 2 Stimmen (Grüne und Linke) angenommen. Mit betretenem Schweigen und starrem Blick beim Heben der Hand zur „Ja”-Stimme. „Augen zu und durch” – so versucht dieser Bezirksrat wirklich, Windschutzscheibenverkehrspolitik wie anno 1975 zu betreiben. Eine derartige Ignoranz gegen Fuß- und Radverkehr hat sich selbst mein Fast-Namensvetter Hillebrecht bei seiner „autogerechten Stadt” nicht erlaubt.
Und es ist ja eigentlich komplett substanzlos. Der Bezirksrat kann gar nicht über laufendes Geschäft der Verwaltung entscheiden. Und Maßnahmen zur Sicherstellung der Verkehrssicherheit sind nun mal solch ein laufendes Geschäft. Wie die Verwaltung mit solchen Anträgen aus Bezirksräten überlicherweise umgeht, kann man in Misburg-Anderten gerade sehen: „Dem Antrag kann nicht gefolgt werden.” Ende der Diskussion.
In Ricklingen kann man nur deshalb einen auf dicke Hose machen, weil Tiefbauamtsleiter Bode sagt: „Wenn der Bezirksrat das beschließt, werden wir das umsetzen.” Müssen muss er das nicht.
Und das ist der Punkt, an dem ich denke, dass hier das letzte Wort noch lange nicht gesprochen ist. Die Gefahren auf den momentan durch die Sperren beruhigten Straßen werden so groß – ich halte das für schlicht nicht hinnehmbar. Zudem wäre bei einer entsprechenden Änderung der Status von Am Grünen Hagen als Fahrradstraße massiv in Gefahr – nach der heutigen Gerichtsentscheidung gegen den Eilantrag in Sachen Kleefelder Straße ist das umso klarer. Das wäre aber ein derart fatales verkehrspolitisches Signal, dass das niemand wollen kann. Übrigens nicht mal Verfechter des Autoverkehrs, denn jedes Sinken des Radverkehrsanteils wird die Straßen noch weiter und noch schneller mit Autos verstopfen.
Ich habe mich gestern auch in der Einwohnerfragestunde zu Wort gemeldet. Meine Notizen, an die ich mich relativ eng gehalten habe, sahen so aus:
Im Antrag wollen Sie Sperren in Oberricklingen aufheben. Auslöser für diese Sperren war unter anderem Ihr eigener Antrag 15 – 2982/2018, einstimmig angenommen am 2018-12-06, in dem Sie „Schleichverkehr” auf Am Grünen Hagen feststellen, und dass „diese Straße als Fahrradstraße ausgewiesen” und „nicht für derartigen Verkehr ausgelegt ist”.
Wie Recht Sie mit dieser Einschätzung von vor etwa einem Jahr hatten, sehen Sie unter anderem daran, dass am vergangenen Samstag Mittag 250 Menschen auf Am Grünen Hagen demonstriert und sich damit hinter ihren Antrag vom letzten Jahr gestellt haben. Das sind übrigens deutlich mehr Menschen, als allein in Am Grünen Hagen überhaupt wohnen. Am Grünen Hagen ist für den Radverkehr weit über Oberricklingen hinaus von Bedeutung. Auch dies können Sie an Ihren eigenen Anträgen sehen: Im Antrag 15 – 2711/2018, hier im Gremium am 2019-02-07 einstimmig angenommen, fordern Sie die Einrichtung einer Radwegroute Wettbergen-Zentrum über diese Straße. Und in der heutigen Sitzung, im TOP 7.6.5, haben Sie einen weiteren Antrag, diesmal für einem Radschnellweg und wieder mit besonderem Blick auf genau diese Route.
Sie haben hier eine Straße, auf der man tatsächlich sicher, zügig und bequem Rad fahren kann. Opfern wollen Sie dies dafür, dass eine andere, ungleich raumgreifendere Gruppe von Verkehrsteilnehmern, nämlich Autofahrer, sich schneller fortbewegen können. Wohlbemerkt: Es geht ja nicht darum, dass irgendwelche jetzt unmöglichen Wege erst durch den Antrag möglich werden. Es geht nur ein paar Minuten Zeitersparnis, weil die vorhandenen leistungsfähigen Alternativwege für die gesperrte In der Rehre einigen Autofahrern nicht gefallen.
Ich halte diese Abwägung für falsch. Hannover will den Radverkehrsanteil steigern und generell muss in Großstädten dem Radverkehr mehr Raum eingeräumt werden, damit der Verkehr insgesamt nicht vollends zusammenbricht. Der Antrag weist da in die völlig falsche Richtung. Sie fördern hier Autoverkehr auf Kosten anderer. Sie erweisen einer lautstarken Minderheit eine Gefälligkeit auf dem Rücken von Hunderten Anwohnern sowie besonders schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmern, nämlich Radfahrern und darunter vielen Schulkindern. Diese bringen Sie in erhebliche Gefahr. Ich bitte Sie deshalb dringend, den Antrag zur Prüfung des Abbaus der Sperren in Oberricklingen nicht zu beschließen und den jetzigen Zustand zu erhalten.
Die große Mehrheit im Bezirkrat Ricklingen hat sich gestern Abend von einer verantwortungsbewussten, zukunftsorientierten Verkehrspolitik erstmal verabschiedet. Es bleiben Ratspolitik und Verwaltung. Letztere wird ab nächster Woche das erste Mal seit vielen Monaten wieder einen handlungsfähigen Chef haben. Auch an ihm wird es liegen, in Oberricklingen eine Katastrophe mit Ansage zu verhindern.
? Besser kann man das nicht ausdrücken.