John F. Kennedy, die Piratenpartei und Stilmittel der Politik 3


Ich beob­ach­te bei „mei­ner” Pira­ten­par­tei seit gerau­mer Zeit einen Trend, der mich sorgt: Das „Denk selbst”-Motto scheint für vie­le viel zu oft ins Hin­ter­tref­fen zu gera­ten, sobald sie mal in ein Amt oder Man­dat gewählt wur­den. Dann wer­den Ent­schei­dun­gen an „Beauf­trag­te”, „Exper­ten” oder „Die Basis” abge­tre­ten und statt fröh­li­chem Vor­an­ge­hen „orga­ni­sier­te Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit” zele­briert, bei der bloß nie eine Ent­schei­dung an einem selbst hän­gen­bleibt. Das ist mei­nes Erach­tens ein fata­ler Feh­ler. Ein Vor­stand wird gewählt, sei­nem Ver­band vor­zu­ste­hen. Und das bedeu­tet aktiv zu han­deln, auch bei den stra­te­gi­schen Rich­tungs­fra­gen. Ein Vor­stand ver­wal­tet nicht nur, er gestal­tet auch. Wenn er das nicht tut, ver­fällt der gan­ze Ver­band in poli­ti­sche Belie­big­keit – wie an all­zu­vie­len Stel­len der Pira­ten­par­tei momen­tan zu beob­ach­ten. Also: Nicht immer nur „Sche­ma F”, son­dern auch mal überraschen.

Klar, dass man mit Ent­schei­dun­gen und kla­ren Posi­tio­nie­run­gen auch anecken kann. Aber nur so ist eine wirk­lich umfas­sen­de poli­ti­sche Dis­kus­si­on mög­lich. Es ist kein Zei­chen poli­ti­scher Rei­fe, wenn sol­che Dis­kus­sio­nen in Beschimp­fungs­or­gi­en im Rah­men der berüch­tig­ten „Shit­s­torms” enden. Das ist viel­mehr ein Zei­chen poli­ti­schen Unver­mö­gens und zudem bedenk­li­cher Kurz­sich­tig­keit: Denn dann ver­fal­len die Ange­grif­fe­nen in genau die oben beschrie­be­ne pas­si­ve Rol­le: Bloß nichts machen, es könn­te ja jemand kom­men, der etwas dage­gen hat. Es liegt in sol­chen Fäl­len an uns allen, ent­spre­chen­de Angrei­fer ener­gisch in die Schran­ken zu ver­wei­sen und auf die­se Wei­se unred­lich Ange­grif­fe­ne zu unter­stüt­zen. Sonst ver­lie­ren wir am Ende alle, weil wir unse­re poli­ti­sche Hand­lungs­fä­hig­keit einbüßen.

Wie ich aus­ge­rech­net jetzt dar­auf kom­me? Nun, Spie­gel Online hat ges­tern in der „eines tages”-Rubrik einen Arti­kel über den Besuch von John F. Ken­ne­dy in Ber­lin 1963 gebracht. Dort heißt es:

Nach dem depri­mie­ren­den Ein­druck, den die Front­li­nie des Kal­ten Krie­ges auf Ken­ne­dy gemacht hat­te, wich er bei sei­ner Rede vom Manu­skript ab und spitz­te sie zu. „Ein Leben in Frei­heit ist nicht leicht, und die Demo­kra­tie ist nicht voll­kom­men”, sag­te der Prä­si­dent. „Aber wir hat­ten es nie nötig, eine Mau­er auf­zu­bau­en, um unse­re Leu­te bei uns zu behal­ten.” Und dann heiz­te er die Emo­tio­nen der West-Ber­li­ner rich­tig an, als er sag­te: „Die Mau­er ist die abscheu­lichs­te und stärks­te Demons­tra­ti­on für das Ver­sa­gen des kom­mu­nis­ti­schen Systems.”

Das Ende die­ser Rede ist zu einer poli­ti­schen Iko­ne des 20. Jahr­hun­derts geworden:

Ich bin ein Berliner
Die­ses Video auf You­Tube anse­hen.
Kli­cken auf das Video stellt eine Ver­bin­dung zu You­tube her/Clicking on the video con­nects to Youtube.

Die­ses Ende und der berühm­te Satz „Ich bin ein Ber­li­ner” waren lan­ge geplant und vor­be­rei­tet. Aber ent­schei­dend ver­stärkt wur­de ihre Wir­kung eben auch dadurch, dass Ken­ne­dy sich von der aktu­el­len Stim­mung und den Ein­drü­cken des Tages bei sei­ner zen­tra­len Rede hat inspi­rie­ren las­sen. Die Glaub­wür­dig­keit sei­ner Aus­sa­gen wur­de damit mas­siv ver­stärkt. Nun muss man all dies auch in sei­nem his­to­ri­schen Kon­text sehen – und mir fällt es ehr­lich gesagt schwer, mir vor­zu­stel­len, in einer frisch ein­ge­mau­er­ten Stadt zu leben und nicht genau zu wis­sen, ob nicht über­mor­gen die feind­li­che Über­nah­me ansteht – aber es zeigt, wie wich­tig bei poli­ti­schen Pro­zes­sen Per­sön­lich­kei­ten sind. Men­schen, die auch in einem Amt oder Man­dat nicht alles dem „Appa­rat” über­las­sen, son­dern an den ent­schei­den­den Stel­len selbst han­deln, ent­schei­den und Akzen­te set­zen. Und sei es, in einer bri­san­ten Rede die vor­her über­leg­ten Tex­te spon­tan aus­zu­tau­schen und so der aktu­el­len Situa­ti­on anzupassen.


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3 Gedanken zu “John F. Kennedy, die Piratenpartei und Stilmittel der Politik

  • schwarzbart

    Nu sol­len also die Amts- und Man­dats­trä­ger dei­ner Ansicht nach genau das machen, wofür sie sonst regel­mä­ßig Prü­gel gekriegt haben: Ihre Mei­nung sagen.
    Sag das dem que­ru­la­to­ri­schen Chor der Übli­chen Ver­däch­ti­gen, denen, die aus­ser „Amts­trä­ger anpis­sen” grund­sätz­lich nix auf die Ket­te kriegen.

  • Andreas Neugebauer

    Und Vor­stän­de die bereit sind, Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men wer­den abge­straft. Weil zur Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit auch noch das Miss­trau­en kommt. 

    Wir haben noch einen lan­gen Weg vor uns. Aber den wer­den wir gemein­sam meistern.

  • Markus Bloch

    Ein ech­tes Dilem­ma, in wel­chem die Amts- und Man­dats­trä­ger da ste­cken. Da beschwert man sich, weil die Leu­te Ent­schei­dun­gen dele­gie­ren. Tref­fen sie aber mal selbst ne Ent­schei­dung, geht der Shit­s­torm wegen Über­ge­hen der Basis los… 

    Kein Wun­der, dass kaum noch einer nen Amt über­neh­men will…