Am 22. August 2011 starb Vicco von Bülow, besser bekannt als Loriot. Von Bülows Einfluss auf die Populärkultur der Bundesrepublik Deutschland in den letzten 40 Jahren ist erheblich: Begriffe wie „Jodeldiplom” oder Redewendungen wie „Die Ente bleibt draußen!” sind in die deutsche Umgangssprache eingegangen und sein filmisches und literarisches Werk sind weiten Teilen der Bevölkerung geläufig.
Dieser Tage stirbt Loriot einen zweiten Tod. Abzusehen war dies bereits vor einigen Tagen, als Heise Online vermeldete, die Loriot-Erben hätten die Wikipedia wegen der Abbildung von Briefmarken mit typischen Loriot-Motiven verklagt. Nun hat die Linküberwachung meines Blog bei meinem Link auf eine Youtube-Veröffentlichung der „Weihnachten bei Hoppenstedts” zugeschlagen. Und in der Tat sieht der geneigte Betrachter nun nur noch dies:
Wir werden hier Zeuge der desaströsen Auswirkungen unseres aktuellen Urheberrechtsregimes auf die kulturelle Welt unseres Landes. Einzelne, am Entstehungsprozess weitgehend Unbeteiligte, entziehen der Gesellschaft Grundlagen ihres kulturellen Wissensschatzes – legal und unter Anwendung äußerst restriktiver juristischer Werkzeuge. Ich unterstelle mal, dass dies aus wirtschaftlichen Interessen geschieht. Und das macht die Sache völlig zur Farce. Denn: Dass ein wirtschaftliches Interesse an den inkriminierten Inhalten besteht, ist ja überhaupt nur ebendieser Gesellschaft zu verdanken, die sich dafür interessiert.
Schwierig zu verstehen? Ich versuche es nochmal anders herum: Ein Künstler schafft ein Werk. Er macht dies öffentlich, um Interesse zu wecken und – üblicherweise – einen wirtschaftlichen Wert zu schaffen. Dieser tritt ein, wenn es tatsächlich Menschen gibt, die sich für das Werk interessieren. Daraufhin ist es dem Künstler oder auch einem berechtigten Dritten möglich, der nunmehr interessierten Öffentlichkeit das Werk wieder zu entziehen und mit rigidesten Rechtsmitteln gegen die weitere Öffentlichkeit des Werkes vorzugehen. Und Loriot ist kein Einzelfall: Wer erinnert sich noch an das infantile „Schnappi”-Krokodil? Wie war das mit den Harry-Potter-Fans, die nach den sensationellen Verkaufserfolgen plötzlich juristischem Sperrfeuer ausgesetzt waren?
Fühlt sich hier noch wer für dumm verkauft?
Es mag vielen von uns nicht bewusst sein, aber die „westliche Welt” hat in den vergangenen 50 Jahren eines der repressivsten, öffentlichkeitsfeindlichsten und insgesamt kulturschädlichsten Urheberrechts- und Verwertungsregime der Menschheitsgeschichte installiert. Nur so sind Mechanismen wie die oben geschilderten durchsetzbar – zum Schaden aller Beteiligten. Kulturelle Werke können auf Zuruf der Öffentlichkeit entzogen werden, ein Interessensausgleich für eben diese Öffentlichkeit – die durch ihr Interesse ja überhaupt erst eine Grundlage für die Relevanz des Kulturguts geschaffen hat – findet nicht statt. Erstaunlich, dass derlei Treiben so unwidersprochen in Öffentlichkeit und Politik bleibt.
Als Pirat (in der 2. Bedeutung des Wortes) werde ich häufiger auf unsere Positionen zum Urheberrecht angesprochen. „Ihr wollt ja, dass alle alles kopieren können, wovon sollen die Künstler denn leben?” bekomme ich dann mit leicht vorwurfsvollem Tonfall zu hören. Ich antworte dann stets, dass Piratens eben nicht die völlige Abschaffung von Urheberrecht und Wertschöpfung fordern. Aber die Waage zwischen den verschiedenen Ansprüchen muss neu austariert werden. Der Gesellschaft sind im momentanen System alle Rechte an ihren eigenen kulturellen Wurzeln genommen. Das passiert deshalb, weil sogenannte Schutzrechte in völlig ausgeuferter Weise erteilt und durchgesetzt werden. Gerade vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung der letzten 20 Jahre muss es hier zu einer Korrektur zu Lasten der sogenannten Rechteinhaber zu Gunsten der Allgemeinheit kommen. Und das bedeutet:
- Massive Kürzung von Schutzfristen an kulturellen Werken
- Schutzzeitorientierung am Entstehungs- oder Veröffentlichkeitszeitpunkt des Werkes, nicht am Tod des Werkschaffenden
- Vorzeitiges Erlöschen von Schutzrechten mit dem Tod des Werkschaffenden
- Keine Ausweitung von Schutzrechtsansprüchen, zum Beispiel durch ein Leistungsschutzrecht für Verleger
- Unterscheidung von kommerzieller und nicht-kommerzieller Nutzung eines Werkes
- Abschaffung von Beweislastumkehrmechanismen wie der völlig überholten „GEMA-Vermutung”
- Allgemeine Förderung von alternativen Lizenzmodellen wie „Creative Commons” durch verstärkte Nutzung durch öffentliche Stellen
Loriot ist tot. Für ihn ist der Hick-Hack um sein Werk nicht mehr relevant. Wir als Gesellschaft sehen uns jetzt Verwerten seines Werkes gegenüber, denen es – so stellt es sich für mich dar – nicht um die Kultur, sondern um ihre Partikularinteressen geht. Das kann man ihnen, so fair muss man sein, gar nicht wirklich anlasten. Denn der Fehler liegt in einem System, das solches Vorgehen überhaupt erst ermöglicht.
Und das müssen wir ändern!
Erben ist und sind schlecht. Das betrifft neben geerbten „Rechten” auch alle Arten von Werten. Alles, was über ererbte 250.000 EUR (willkürliche Phantasiezahl als Diskussionsgrundlage) hinausgeht, sollte sich der Erbe durch eine Leistung verdienen. Sonst fördern wir die falschen Leute.
ihr versucht einfach nur jemanden zu bestehlen, der sich nicht bestehlen lassen will. wenn hier etwas zu verurteuilen ist, dann allenfalls eure maßlose gier und unverschämtheit im umgang mit andrer leute eigentum.
Das letzte Hemd hat keine Taschen. Loriot ist tot, was soll man dem noch stehlen? Und überhaupt, seit wann ist es stehlen, wenn ich mir was anschaue (auf Youtube)? Du meinst, weil es auf Youtube steht, kauft keiner die DVDs mit Loriot drauf, also stielt derjenige, der den Film auf Youtube stellt, die DVD? Wie, durch telepathische Annihilation aller Kopien der DVD im Auslieferungslager? Und: hast Du überhaupt begriffen, worum es beim Begriff Kulturgut geht?
hast du deinerseits denn überhaupt begriffen, worum es bei dem begriff „geistiges eigentum” geht?
ich versuch dir das mit dem geistigen eigentum mal zu erklären, damit du das auch verstehst: ich zum beispiel schreibe lustige kleine sachen für zeitschriften und zeitungen. verdiene mir damit meinen lebensunterhalt. für miete, essen, all das zeug. und irgendwann entwickelt dann ein typ aus dem weltnetz, offenbar ein großer fan von mir, die unschöne angewohnheit, meine sachen abzutippen und auf seine webseite zu stellen. einfach so. nun ist der diebstahl von texten, die ich hergestellt habe und von deren verkauf ich leben muss, nicht viel anderes, als würde man einem schuhmacher eine kiste schuhe aus der werkstatt klauen.
gut. also ich maile die knalltüte an, erst nett, dann weniger nett. er solle doch bitte meine sachen von seiner webseite nehmen.- nö, sieht er gar nicht ein. und ich solle mich mal nicht so haben. dann kündige ihm an, ihm eine honorarrechnung zu schicken. – er ist beleidigt. honorar? geld? wieso denn? ich solle doch froh sein, dass er meine sachen so mag.
als ich ihm dann mit einer abmahnung drohe, löscht er endlcih meinen kram von seiner seite. vermutlich hasst er mich noch heute. worauf ich hinauswill ist, dass das beste argument gegen „fans” die einen ohne jedes unrechtsbewusstsein bestehlen, immernoch ein guter anwalt ist. ich hoffe, du hast das jetzt verstanden, vor allem den teil mit dem schuster und der kiste schuhe.
„geistiges eigentum” ist eine Erfindung. Nirgends läßt sich das ableiten. Eine Krücke der erfunden wurde, Eigentumsrechte auf immaterielle Güter zu erweitern.
Selbst wenn es so etwas gebe so gilt dann auch das Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Das blenden die „geistigen Eigentümer” gerne aus.
Genau diese Fragen habe ich mir schon hundertmal gestellt und ich bin ebenfalls zum obigen Ergebnis gekommen. Hier handelt es sich nicht um vernünftige Verwaltung eines Nachlasses hier handelt es sich um reine Geldgier.
Schau ich mir den Fall Erich Kästner an, könnte ich heulen. Die Aussagekraft seiner Gedichte gelten heute noch genauso, wie damals. Und seine gierigen Nachfahren gehen sogar vor Gericht, wenn Erich Kästner in einem Text zitiert wird. Schlimmer gehts nimmer.
Da verschwinden Künstler, Musiker, Sänger in der Versenkung, weil die Nachkommen nur gegen bares am weiteren Vertrieb interessiert sind. Ja, dadurch wird uns ein wichtiger Teil unserer Kultur genommen.
Ich hoffe, dass es Kräfte hier in diesem Lande gibt, die bei der Neugestaltung des Urheberrechts nicht nur Dollarzeichen in den Augen haben.
hier ist eine andere Sichtweise auf verkürzte Schutzfristen:
http://rheker.wordpress.com/2011/11/26/die-gruenen-wollen-das-urheberrecht-abschaffen/
Gruß
Jürgen
in irgendeiner zeitung stand auch anlässlich seines todes, dass sich loriot in seinen letzten lebensjahren sehr darüber freute, dass die jugend seine werke auf youtube und auch auf dem handy ansieht.
Loriot ist sicher nicht ein zweites Mal gestorben. Ich weiß nicht mehr wie viele Jahre es her ist, aber es hat mal ein Absterben von Fanseiten gegeben, weil jemand auf Urheberrechte gepocht hat.
Deine ersten drei „Lösungspunkte” schwächen ganz sicher die Position der Kulturschaffenden bzw. der „so genannten Rechteinhaber”, wie du sie nennst. Sie stärken dafür die Position der Distributoren, da jeder mit den Werken nach Ablauf der verkürzten Schutzfristen Geld verdienen darf. Es kommt halt nur noch auf die Verpackung an, ob das gelingt.
Eine Lösung habe ich allerdings auch nicht. Ich wär schon glücklich, wenn die Leute, die Texte kopieren und woanders veröffentlichen, wenigstens einen Link zur Originalquelle setzten. Aber oft genug wird selbst der Autorenname einfach „vergessen”.
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Ich bin ja auch mal gespannt, wie lange es die Steinlaus noch geben wird.
Solange sich ‚Erben’ (wer ist das im Falle Loriot eigentlich GENAU?) hinter einer Wand aus Anonymität, sei es ein Anwalt oder irgendetwas anderes, verbergen können, wird sich daran nicht viel ändern. Ich hatte gern, dass sich ein ‚Erbe’ Loriots öffentlich vor eine Kamera stellt (stellen muss) um der Gesellschaft zu erklären, warum er denn nun den Zugang nach dem Tod des Erblassers reglementiert bzw. einschränkt.
Dem etwas langfristigeren Betracher wird eventuell aufgefallen sein, dass bei der Löschung von Loriot-Videos auf den gängigen Platformen (Youtube, MyVideo…) bereits soetwas wie eine „betriebliche Übung” besteht.
Denn zu Lebzeiten von Bülows hat es bereits (mindestens) zwei solche „Wellen” gegeben.
Im Gegenzug gab es dann jeweils irgendwelche 30 – 60s-Teaser, die mit einem klassichen Cliffhanger statt der Pointe eine Reklame für eine Kauf-DVD samt Bezugsquellen dem geneigten Betrachter zeigten.
Damals wurde bereits geunkt, dass von Bülow schwer erkrankt sei und nun ‑im Gegensatz zu seinen in früheren Jahren geäusserten Vorstellungen zur Allgemeinverfügbarkeit seiner Werke und deren weitestgehend freier Verfügbarkeit, vgl. z.B. Interview von 2005- ein aktuter Geldbedarf eingetreten sei, der nur über solche Aktionen zu decken ist.
Abgesehen davon beharre ich auf meiner Meinung, dass die Werke, die von Bülow als Auftragsproduktion für „Radio Bremen” (ARD-Anstalt des Landes Bremen) in den 1970ern geschaffen hat, dass diese Werke bereits durch den Fernsehgebührenzahler (GEZ…) abgegolten worden sind.
Die britische BBC stellt solche vom der Allgemeinheit bezahlten Werke (TV/Radio) unter freier Creative-Commons-Lizenz ins Netz.
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der fehler liegt zur hälfte im momentanen urheberrechts-system, da hast du selbstverständlich völlig recht.
er liegt zur anderen hälfte aber auch im industriellen system der masse und wie es unsere gesellschaft noch auf jahrzehnte im voraus durchprogrammiert hat. ich habe einige jahre lang versucht, mit-musikern, befreundeten bands oder auch kleinen labels solche dinge wie cc-lizenzen, „das internet” u.ä. überhaupt ins blickfeld zu rücken. das echo bestand oft aus einer kruden mischung aus arroganz, ignoranz und desinteresse. es ist kaum zu fassen, wie viele da draußen immer noch der mär vom „groß rauskommen” anhängen – und das trifft genauso auf autoren, künstler, regisseure etc wie auf musiker zu. dieses „groß rauskommen” basiert aber genau auf dem kruden fundament aus künstlicher verknappung durch vertriebskontrolle, dass auch die loriot-erben gerade exerzieren. solange auch nachwuchs-künstler lieber exklusiv-verträge unterschreiben, weil man das eben früher immer so gemacht hat und ein chance von 1:1 mil auf massenerfolg garantiert, solange wird alles so bleiben wie es ist.
meine frage ist: wieso kann man frei handelnden individuen ihre „partikularinteressen” nicht vorwerfen?! und wieso nennst du es überhaupt „partikularinteresse” anstatt einfach „gier”, wenn du doch selbst von von finanziellen interessen ausgehst? das trifft auf die kleine band von nebenan genauso zu wie auf die loriot-erben.
Du triffst für mich den Nagel/die Nägel auf den Kopf! Es ist diese widerwärtige Suppe aus Ignoranz (also i.S.v. Nichtwissen, das – wie ich immer wieder beobachten muss – einfach der Faulheit entspringt, die Informationen sind allesamt da und frei abrufbar!) und Konvenienz, also Gewohnheits„recht”. Und die Werkschaffenden, also Künstler, würde ich da als erste Adresse benennen, die diese Mischung aus rigidem Verwertungssystem und verzerrter Wahrnehmung seitens der Konsumenten weiter antreiben! Solange sich Künstler ihrer Rechte und auch Pflichten nicht bewußt sind, können sie sie weder wahrnehmen und durchsetzen, geschweige denn ändern!
Als ich 2008 wieder Musik zu machen begann, mit bescheidenen Mitteln und komplett im „Home Studio”, also ohne Zeit‑, Budget- oder einfach „Wichtigmacherdruck” war ich im siebten Himmel in Bezug auf meinen kreativen Ausdruck! Keiner, der mir sagt, was ich wie und wann zu machen hätte! Vollständige Freiheit, auch bei der Wahl der Platzierung meines bisher bescheidenen Outputs von vier Singles. Als ich parallel dazu begann, mich zu Musikrecht, Copyrights etc. zu informieren, wollte ich auch einen Diskurs unter meinen Fans und online-Freunden anregen. Fehlanzeige! Totalsausfall! Schlimmer noch: „Wo kann man Deine CD kaufen?” Wieso CD?!!! Produktionskosten, Vertriebskosten, Verteilungslogistik…
Zurück zu Loriot: Den BBC-Ansatz finde ich sehr gut. Im Moment schrauben aber gerade die USA ja wieder dran, diesen Verwertungschutz auf Lebenszeit Autor + 70 Jahre (ursprünglich Lebenszeit + 50) auszudehnen. Also, dass sichergestellt ist, dass die Werke eines Künstlers nach seinem Dahinscheiden noch mindestens eine weitere Generation lang exklusiv verhökert werden können! Ich sag nur: Michael Jackson… das war kein Unfall… Informationsverteilung und recht laut schreien, solang, bis sich auch im langsamsten Kopf was bewegt hat… das wird wohl bis auf Weiteres die einzige Maßnahme sein können… Insofern danke für diesen Blogeintrag!
> Lebenszeit Autor + 70 Jahre (ursprünglich Lebenszeit + 50) … noch mindestens eine weitere Generation
Beim Alter der Frauen die in unserer Zeit zum 1. Mal Mutter werden, sind 70 Jahre mindestens 2 Generationen. Und das ist eindeutig zu lang. Ich finde den BCC-Ansatz auch anstrebenswert und bin der Meinung, dass nach dem Tod des Künstlers dessen Erben keine weiteren Rechte erhalten, außer dem, ein Teil der Einnahmen aus der Verwertung zu bekommen. Kunst sehe ich immer als Teil der Gesellschaft, die Gesellschaft sollte nach dem Tod des Künstlers bestimmen können, was mit dieser Kunst geschieht.
Im heise-Forum hat zu diesem Thema jemand ein sehr gutes Gedicht verpasst: http://www.heise.de/newsticker/foren/S‑Es-blaut-die-Nacht/forum-216006/msg-21072215/read/?from-mobi=1