Auf unserer adventlichen Rundreise durch den Nahverkehr machen wir heute Station in meiner Heimatstadt Hannover. Und weil Sonntag ist, gibt’s heute mal mehr als ein Foto und eine Geschichte, die sich über zweieinhalb Jahre spannt.
Auf dem Foto sehen wir den Ricklinger Stadtweg am nördlichen Ende an der Grenze des Stadtteiles Ricklingen. Es ist sozusagen ein Bild meiner Kindheit und Jugend: Ich bin ich Ricklingen aufgewachsen und bin unter dieser Brücke etliche Tausend Male mit allen möglichen Verkehrsmitteln auf dem Weg in die Innenstadt, zur Schule oder zu Freunden hergefahren. Hier kreuzt die Eisenbahnstrecke Hannover-Altenbeken sowie die Güterumgehungsbahn die Straße auf einer gemeinsamen Brücke. Unten verläuft die Stadtbahnstrecke Richtung Wettbergen. Im Jahr 2004 steht hier noch eine Brücke aus den 1920er Jahren, die zwei Nachteile hat: Zum einen ist die Spannbreite viel zu klein für den heute wesentlich breiteren Ricklinger Stadtweg: Bahn und Autos müssen sich die Fahrbahn teilen und für die Fußgänger bleibt nur ein sehr schmaler Streifen. Zum anderen erlaubt das Bauwerk keine Verknüpfung der Bahnstrecke oben mit der Stadtbahn unten. Und das ist vor allem deshalb schade, weil hier mittlerweile eine moderne S‑Bahn in die südwestlichen Stadtteile, das Naherholungsgebiet Deister, nach Hameln und sogar bis nach Paderborn fährt. Diese böte sich außerordentlich gut an, mit der Stadtbahn verknüpft zu werden. Historisch bedingt liegt der dazu nötige Bahnhof aber leider ein ganzes Stück abseits (und warum das so ist, darüber ließe sich eine ganz eigene Artikelserie schreiben…). Die Situation schreit also nach Veränderung – und genau das passiert.
In den folgenden zweieinhalb Jahren wird an der hier abgebildeten Überführung der moderne Verknüpfungsbahnhof „Hannover-Linden/Fischerhof” von S‑Bahn und Stadtbahn errichtet: Die gesamte Brücke wird dafür völlig neu gebaut. Oben ist auf dem neuen Bauwerk der S‑Bahnsteig, unten direkt unter der Brücke ein breiter Stadtbahnsteig. Beide sind über Treppe und Fahrstuhl direkt miteinander verbunden.
Besonders nachhaltig hat sich dieser Bereich dadurch verändert, dass die neue Brücke viel breiter als die alte ist. Stellvertretend für die zweieinhalbjährige Bauphase sei hier ein Foto vom August 2005 gezeigt. An diesem Wochenende wurde die wohl spektakulärste Einzelbaumaßnahme durchgeführt: Die alte, zuletzt bereits arg gerupfte, Brücke wurde vollständig entfernt und die neue Brücke an ihre Stelle geschoben. Auf dem Bild steht dies kurz bevor. Gerade werden noch die alten Brückenwiderlager mit dem großen Bohrhammer entfernt. Man sieht sehr schön, dass das neue Brückenwiderlager wesentlich weiter außen liegt. Auf der anderen Seite der Brücke ist die Situation ähnlich.
Auf dem Bild fährt gerade eine S‑Bahn entlang, obwohl die Bauarbeiten an der frisch eingeschobenen Brücke noch gar nicht abgeschlossen sind. Das liegt daran, dass die neue Überführung über den Ricklinger Stadtweg eigentlich aus zwei Brücken besteht: Das nördliche S‑Bahngleis kommt wegen des neuen Bahnsteiges deutlich weiter außen zu liegen. Für dieses Gleis konnte deshalb in einem früheren Bauabschnitt die neue endgültige Brücke bereits separat errichtet werden. Während dann die alte Brücke durch ihren Nachfolger ersetzt wurde, war es möglich, über dieses vierte Gleis die beiden Eisenbahnstrecken weiter zu betreiben – zwar mit erheblich verringerter Kapazität, aber immerhin. Dieser „Trick” wurde während der Bauarbeiten häufiger angewendet. Der Ricklinger Stadtweg war während der Bauarbeiten an dieser Stelle Einbahnstraße Richtung Norden und an mehreren Wochenenden voll für Autos und die Stadtbahn gesperrt. Das Wochenende der Brückenverschiebung war jedoch die einzige zweitägige Komplettsperrung auch für Fußgänger und Radfahrer. Ein mehrere hundert Meter langer Umweg über die Stammestraße war aber ausgeschildert. Dort verkehrte auch der Schienenersatzverkehr.
Ein Dreivierteljahr später sind die Bauarbeiten abgeschlossen. Auf diesem Bild, das an etwa der gleichen Stelle wie das erste Bild aufgenommen wurde, sieht man die komplette neue Brücke mit dem Mittelhochbahnsteig für die Stadtbahn und einem gerade aus Richtung Hauptbahnhof einfahrenden S‑Bahnzug. Die S‑Bahn hat durch die neue Position des Bahnhofes enorm gewonnen, da sie sich jetzt mitten in der umliegenden Bebauung befindet – und nicht mehr abseits. Und die Stadtbahn hält nun nicht nur einen Hochbahnsteig; dadurch, dass die zwei bisherigen Haltestellen jeweils 100 Meter vor und nach der Brücke zu einer Haltestelle zusammengelegt wurden, verkürzt sich auch die Fahrzeit auf der Linie. Der neue Bahnhof ist nicht ganz zufällig im Mai 2006 in Betrieb gegangen: Er liegt fußläufig zum Hannoverschen Fußballstadion, in dem einen halben Monat später einige Spiele der Fußballweltmeisterschaft stattfanden.
Mit Inbetriebnahme der neuen Station an dieser Stelle sind auch die silbernen TW2000-Stadtbahnwagen erstmals auf die Stadtbahntrasse A in Hannover im Planbetrieb gekommen. Heute können zwei der drei hier verkehrenden Linien mit diesen modernen Zügen, teilweise in 75 Meter langer Dreifachtraktion, gefahren werden. In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird aller Voraussicht nach ein Stadtbahnzweig nach Hemmingen und Arnum weiter südlich von dieser Strecke abzweigen und damit die Bedeutung des Bahnhofes „Linden/Fischerhof” als Umsteigeknoten im südwestlichen Hannover weiter steigern.
Ähnliche Situationen gibt es in Hannover auch an der Hildesheimer Straße im nördlichen Döhren und am Braunschweiger Platz. Im Gegensatz zu Linden wurden die dortigen Straßenüberführungen aber noch nicht umgebaut und mit S‑Bahnhaltepunkten versehen.
Danke, Dirk,
für diesen schönen Bericht! Nun, im engeren Bereich dieser Brücke spielte sich auch meine Jugend zwischen 1964 und 1980 ab. In Sichtweite der Unterführung gab es damals noch die Stadtteilbibliothek, die ich Nachmittag für Nachmittag frequentierte, denn damals galt bürgernahe Bildung noch etwas!
Nach Döhren „ausgewandert”, würde ich mich über eine Umsteigeanlage Stadtbahn/ S‑Bahn sehr freuen; allerdings dürften noch geschätzte 10 Jahre ins Land gehen..;)
Und wenn die ÜSTRA irgendwann merkt, dass Kundenzufriedenheit nicht erzwungen werden kann, und sich den zahlenden Mitfahrern freundlich zuwenden würde, vielleicht sogar mit Fahrkartenautomaten in der Bahn selbst, dann könnte ich von einem gelungenen, gesamtheitlichen Straßenbahnfahrbetrieb sprechen. So sind Strecken, Bahnen und Technik besser in Schuß als der Anbieter, der selbigen oft nicht gehört zu haben scheint..)
Frohen 2. Advent, sonnige Grüße, Bernhard Gehrmann