Go East – Warum ich zum Bundesparteitag der Piratenpartei in Chemnitz fahre 6


Ok, Mikro­fon­check: ‚One, two, one, two.’ Geht noch. *Hat­schi!* Oha, so ein Blog staubt ganz schön schnell zu, wenn man mal ein biss­chen Aus­zeit vom Schrei­ben nimmt. Aber schön, dass alles noch zu funk­tio­nie­ren scheint. Licht aus, Spot an…

Lan­ge habe ich mit mir gerun­gen. Nein, nicht nur ob ich hier mal wie­der was schrei­be. Son­dern, ob ich hin­fah­re. Nach Chem­nitz. Den Älte­ren unter uns viel­leicht noch als „Stadt mit den drei ‚O’ ” ein Begriff. Dort fin­det die­ses Wochen­en­de der 2. Bun­des­par­tei­tag der Pira­ten­par­tei in die­sem Jahr statt, ins­ge­samt müss­te es der sechs­te oder sieb­te der Par­tei­ge­schich­te sein.

Leicht fällt es mir nicht. Die Pira­ten haben es sich, mir und vie­len ande­ren in den letz­ten Mona­ten aber auch nicht leicht gemacht. Der Par­tei­tag in Bin­gen ist ergeb­nis­sei­tig höchst dünn aus­ge­fal­len. Ins­be­son­de­re, einen Tag mit Vor­stands­wah­len zu ver­plem­pern, bei denen am Ende genau die­sel­ben drei Amts­in­ha­ber gewählt wer­den, die vor­her schon die Jobs hat­ten – das ist irgend­wie unbe­frie­di­gend. Um die gro­ße Errun­gen­schaft die­ses Par­tei­ta­ges, Liquid Feed­back, hat es danach eine der­ar­tig üble Schlamm­schlacht gege­ben, dass nicht nur ich mich irgend­wann mit Grau­sen abge­wen­det habe. Recht­ha­be­rei und Beton­köp­fe auf allen Sei­ten, uner­träg­li­che Detail­dis­kus­sio­nen, geziel­te Nebel­ker­zen, absicht­li­ches Miss­ver­ste­hen – von „ande­rer Poli­tik” war nicht so rich­tig viel zu spü­ren. Über die­sem und ande­rem Hick­hack ist dem Vor­stand mal wie­der ein Mit­glied ver­lo­ren gegan­gen (womit „mein” 2008/2009er-Vor­stand wei­ter­hin der ein­zi­ge ist, der kei­nen Rück­tritt wäh­rend der Wahl­pe­ri­ode zu ver­zeich­nen hat­te) und in den zeit­lich aus jedem Ruder lau­fen­den Vor­stands­sit­zun­gen spie­len sich teil­wei­se unschö­ne Sze­nen ab – die Öffent­lich­keit ist per Tele­fon immer live dabei…

Auch die Vor­be­rei­tun­gen die­ses Par­tei­ta­ges sind kein Anlass zu rei­ner Freu­de: Als Pro­gramm­par­tei­tag geplant und gewollt gibt es plötz­lich doch wie­der irgend­wel­che Schlau­mei­er, die an der Sat­zung rum­schrau­ben wol­len. Bis zum Bun­des­schieds­ge­richt wird die Sache getra­gen und der Schieds­spruch führt zu Kaf­fee­satz­le­se­rei, man kön­ne in Chem­nitz ja viel­leicht gar nichts beschlie­ßen. Liquid Feed­back hat sich nicht als par­tei­weit akzep­tier­tes Tool zur Vor­be­rei­tung der Anträ­ge durch­ge­setzt, statt­des­sen kumu­lie­ren die Pro­gramm­an­trä­ge aus vier bis sechs ver­schie­de­nen Sam­mel­stel­len (LQFB, Wiki, Antrags­fa­brik, E‑Mails,…) zu einem momen­tan etwa 500 Sei­ten star­ken „Antrags­buch”, das man am bes­ten als Lose-Blatt-Samm­lung bereit hal­ten soll­te, weil über die Rei­hen­fol­ge der Abstim­mun­gen ja auch noch abge­stimmt wer­den muss. Die Mög­lich­keit, erprob­te Wahl­ver­fah­ren mit hohem Durch­satz anzu­wen­den, ließ der Bun­des­vor­stand ver­strei­chen.

Ich muss geste­hen, ich habe momen­tan ein biss­chen Angst um die Pira­ten. Wir schaf­fen es mit hoher Effi­zi­enz, uns in unnö­ti­ge und hoch­gra­dig unnüt­ze Dis­kus­sio­nen zu ver­stri­cken. Wir wol­len plötz­lich Posi­tio­nen zu allem und jedem haben. Wir haben viel­fach Freu­de dar­an gefun­den, uns mit uns selbst zu beschäf­ti­gen und der eine oder ande­re scheint Befrie­di­gung vor allem dar­in zu fin­den, die eige­nen Leu­te in die Pfan­ne zu hau­en. Die böse Stei­ge­rung „Freund, Feind, Par­tei­freund” fin­det ihren neu­en Höhe­punkt in der Bezeich­nung „…Pirat!”

All dies ist so unnö­tig! Auch wenn wir mitt­ler­wei­le groß und von den Par­tei­mit­glie­dern her sehr viel­fäl­tig gewor­den sind, soll­ten wir doch unse­re Wur­zeln nicht nur stets in Erin­ne­rung haben, son­dern sie auch hegen und pfle­gen. Sie sind weder über­flüs­sig noch unnö­tig gewor­den. Bloß weil der neue Bun­des­in­nen­mi­nis­ter etwas weni­ger Aus­set­zer als der alte hat, herrscht nicht plötz­lich eitel Son­nen­schein. Und statt einer irr­lich­tern­den Fami­li­en- haben wir heu­te eine Ver­brau­cher­min­s­te­rin, die mit Ver­ve und stets auf Öffent­lich­keit bedacht auf Goog­le Street View ein­haut, dabei aber einer Regie­rung ange­hört, die kei­ne Pro­ble­me damit hat, höchst­per­sön­li­che Daten von Bun­des­bür­gern in frem­de Staa­ten zu über­mit­teln.

In die­ser Welt, die durch ACTA, den „Drit­ten Korb” und nicht enden wol­len­de absur­de Patent­strei­tig­kei­ten auch nicht bes­ser wird, sind die Pira­ten nöti­ger denn je! Wir haben das Know-How, wir haben die Leu­te, vor allem aber haben wir den unbe­ding­ten Anspruch auf einen frei­heit­li­chen Staat, in dem Bür­ger­rech­te an ers­ter Stel­le ste­hen und nichts unter­ge­ord­net wer­den, weder Kli­en­telin­ter­es­sen noch tech­ni­schen Weiterentwicklungen.

Vor zwei Wochen wur­de mir in einer Dis­kus­si­on gesagt, die Pira­ten hät­ten ihren ers­ten gro­ßen poli­ti­schen Erfolg längst gehabt. Dass der Bun­des­tag heu­te eine Inter­net-Enquete­kom­mis­si­on hat, läge nur dar­an, dass irgend­wie alle Par­tei­en sehr ner­vös gewor­den sei­en, dass wir so viel Auf­merk­sam­keit und Zustim­mung bekom­men haben. Und heu­te? Heu­te fabu­liert der Vor­sit­zen­de die­ser Kom­mis­si­on von einem „Ver­mum­mungs­ver­bot im Inter­net”. Wenn es nicht so trau­rig wäre, man könn­te sich tot­la­chen. Die Pira­ten sind heu­te genau so wich­tig wie im Som­mer 2009 und vor allem ist wich­tig, dass sie sich wei­ter mit ihren Kern­the­men beschäf­ti­gen und dort nicht locker lassen.

Und des­halb fah­re ich nach Chem­nitz! Weil ich will, dass die­se Par­tei sich auf ihre Grund­wer­te besinnt. Dass sie als star­ke Bür­ger­rechts­par­tei arbei­tet. Dass sie sich laut­stark für ein moder­nes Urhe­ber- und Patent­recht ein­setzt. Dass sie es schafft, auf die­sen Fel­dern, die­sen ihr urei­ge­nen Berei­chen, die ande­ren wie­der vor sich her­zu­trei­ben. Dass sie auf­hört, sich mit sich selbst zu beschäf­ti­gen und sich selbst mög­lichst vie­le Stei­ne in den Weg zu legen. Die Fra­gen, die wir uns in Chem­nitz beant­wor­ten müs­sen, lau­ten nicht: „Wie dis­ku­tie­ren wir am bes­ten?” – son­dern: „Wie sind unse­re Stand­punk­te in den Berei­chen, für die wir Pira­ten wie kei­ne ande­re poli­ti­sche Par­tei ste­hen?” Das müs­sen wir schaf­fen – und die aller­meis­ten von uns wol­len das auch. Ich fah­re nach Chem­nitz um mei­nen Teil dazu bei­zu­tra­gen, dass wir als Par­tei hier einen gro­ßen Schritt vor­an­kom­men und uns end­lich wie­der gemein­sam und kon­struk­tiv mit Sach­fra­gen beschäftigen.

Ich hof­fe, dass ich in die­sem Blog in den nächs­ten Tagen noch eini­ges mehr in Sachen Par­tei­tag schrei­ben kann. Mor­gen gibt’s ja nun die fina­le Ver­si­on des „Antragshau­fensbuches”. Ich wer­de mal rein­schau­en und wenn ich etwas inter­es­san­tes fin­de, wer­de ich es hier kund­tun. Einst­wei­len blei­ben Licht und Mikro mal an…


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