Ein Bahnsteig an der Messe: Erinnerungen an den CeBIT-Verkehr 1997 (1) 3


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Heu­te gibt es den zwei­ten Bei­trag mei­ner klei­nen Blog­se­rie „Inter­es­san­te Ver­kehrs­bau­wer­ke”. Das heu­ti­ge Bau­werk ist wesent­lich unspek­ta­ku­lä­rer als die Brü­cke vom letz­ten Mal. Und es exis­tiert heu­te auch nicht mehr. Die Geschich­te dazu erzählt aber von einem span­nen­den han­no­ver­schen Verkehrskapitel.

Anläss­lich des anste­hen­den CeBIT-Beginns blen­den wir zurück in das Jahr 1997. Da habe ich kurz vor Beginn der CeBIT einen Bahn­steig fotografiert.

Behelfs­bahn­steig an der Mes­se­schlei­fe in Han­no­ver, 9. März 1997

Schon auf die­sem Foto lässt sich erah­nen, dass es sich hier um ein höchst pro­vi­so­ri­sches Bau­werk han­delt: Er ist ledig­lich von Holz­plan­ken umgrenzt, passt „gera­de noch so” zwi­schen das Kur­ven­en­de im Vor­der­grund und den Hoch­bahn­steig im Hin­ter­grund und liegt auch noch mit­ten in einem Wei­chen­be­reich. Der ein­zi­ge Zugang schließ­lich ist der Not­zu­gang zu besag­tem Hoch­bahn­steig im Hin­ter­grund rechts.

Wahr­lich eine inter­es­san­te Kon­struk­ti­on. Und eine – wie ich fin­de – inter­es­san­te Geschich­te dahin­ter. Die­ser Bahn­steig befand sich an der „Mes­se­schlei­fe” des Stadt­bahn­net­zes. Dies ist die süd­li­che End­sta­ti­on der Linie 8 und war bis zum Jahr 2000 die ein­zi­ge Stadt­bahn­sta­ti­on, die das Mes­se­ge­län­de erschloss. Die Sta­ti­on dürf­te die leis­tungs­fä­higs­te des gesam­ten Net­zes sein, sowohl was Durch­satz als auch was die Mög­lich­kei­ten zum kurz­fris­ti­gen Ein- und Aus­set­zen sowie Abstel­len von Zügen betrifft. Schau­en wir uns den – auch heu­te noch so vor­han­de­nen – Gleis­plan an:

Gleis­plan der Sta­ti­on Mes­se­ge­län­de (heu­te Messe/Nord) in Hannover

An der End­sta­ti­on gibt es drei Bahn­stei­ge. Der wich­tigs­te ist Bahn­steig B, weil er direkt gegen­über dem Ein­gang „Nord 1” des Mes­se­ge­län­des liegt. Zu Mes­se­zei­ten wird er ent­we­der zur Ankunft oder zur Abfahrt benutzt. So ergibt sich eine von der Haupt­las­trich­tung der Besu­cher­strö­me abhän­gi­ge Nut­zung der Gesamtanlage:

  • Im mor­gend­li­chen Anrei­se­ver­kehr fah­ren die Züge an Bahn­steig A durch und hal­ten zum Aus­stei­gen erst an Bahn­steig B. Ein­ge­stie­gen wird dann an Bahn­steig C.
  • Abends im Haupt­ab­rei­se­ver­kehr ändert sich die Abfer­ti­gung: Jetzt ist Aus­stieg am Bahn­steig A und ein­ge­stie­gen wird an Bahn­steig B. Bahn­steig C bleibt ungenutzt.

Haupt­zweck des getrenn­ten Ein- und Aus­stei­gens ist neben der Ent­zer­rung der Fahr­gast­strö­me vor allem, dass ange­kom­me­ne Bah­nen über die dop­pel­ten Gleis­ver­bin­dun­gen vor und hin­ter Bahn­steig B ein­fach auf die Innen­schlei­fe und in den Abstell­be­reich gezo­gen wer­den bzw. von dort ein­ge­setzt wer­den kön­nen. Mit einem gewis­sen Puf­fer an Zügen in den Ab- und Auf­stell­be­reich in der Schlei­fe lässt sich so sehr fle­xi­bel auf Besu­cher­spit­zen reagie­ren, Wagen kön­nen ange­kup­pelt oder ent­fernt, Züge direkt ins Depot geschickt oder von ein­ge­setzt werden.

Außer­halb der Mes­se­zei­ten wird eben­falls an Bahn­steig B ange­kom­men und dann an C abge­fah­ren, wobei die Züge direkt durchfahren.

Das erklärt aber noch kein Stück, was es mit dem Zusatz­bahn­steig auf sich hat. Dazu müs­sen wir uns die Gesamt­ver­kehrs­si­tua­ti­on zu Mes­se­zei­ten anschau­en: Bis in die 1990er Jah­re war die Stadt­bahn­stre­cke zur Mes­se der ein­zi­ge leis­tungs­fä­hi­ge ÖPNV-Anschluss des Mes­se­ge­län­des. Ent­spre­chend nahm sie einen Groß­teil des Ver­kehrs auf. Betrach­ten wir hier­zu eine Streckengrafik.

üstra-Lini­en zum CeBIT-Ver­kehr 1997

Grund­la­ge des Mes­se­ver­kehrs ist die Stadt­bahn­li­nie 8, die als Durch­mes­ser­li­nie aus dem Nor­den Han­no­vers kommt und am Mes­se­ge­län­de endet. Ab Haupt­bahn­hof wird sie durch Ver­stär­kungs­zü­ge ergänzt, die die Lini­en­be­zeich­nun­gen „18” oder „E” tra­gen. Mit die­sen drei Lini­en wur­de der Haupt­teil des Ver­kehrs aus der Innen­stadt bewältigt.

Da sei­ner­zeit der Fern­bahn­hof Han­no­ver Messe/Laatzen noch nicht exis­tier­te und es auch noch kei­ne S‑Bahn gab, kam auch ein Groß­teil der Zug­rei­sen­den zur Mes­se am Haupt­bahn­hof an und muss­te dort in die Stadt­bahn umstei­gen. Infol­ge­des­sen waren die Züge gera­de in der mor­gend­li­chen Haupt­stoß­zeit schon bei der Abfahrt am Haupt­bahn­hof so voll, dass am Kröp­cke, spä­tes­tens aber am Aegi­di­en­tor­platz, nicht mehr alle War­ten­den zustei­gen konn­ten. Des­halb gab es eine zwei­te Ver­stär­kungs­li­nie, die eben­falls mit „E” bezeich­net wur­de und die am Königs­wor­t­her Platz ein­setz­te. Die­se Bah­nen hiel­ten am Kröp­cke und am Aegi auf ande­ren Glei­sen als die Bah­nen aus Rich­tung Haupt­bahn­hof und konn­ten so den Ver­kehr entzerren.

Trotz­dem blieb die Lage beim mor­gend­li­chen Anrei­se­ver­kehr ange­spannt: Neben dem Mes­se­ver­kehr gibt es auch die Stadt­bahn­li­ni­en 1 und 2 auf der Stre­cke zwi­schen Haupt­bahn­hof und Both­mer­stra­ße. Zudem wol­len nicht alle Fahr­gäs­te zur Mes­se: Die Stre­cke führt durch die dicht besie­del­te Süd­stadt und hat eine wich­ti­ge Rol­le im Schü­ler­ver­kehr für eine gan­ze Rei­he von Schu­len rund um die Sta­ti­on Alten­be­ke­ner Damm. Schließ­lich setzt das recht unfle­xi­ble han­no­ver­sche Signal­sys­tem enge Gren­zen für die Stre­cken­ka­pa­zi­tät nörd­lich des Döh­re­ner Turms.

Das führ­te zu einer gan­zen Rei­he durch­aus ein­falls­rei­cher Betriebs­kon­zep­te für die Stre­cke. So hiel­ten die „E”-Züge in eini­gen Jah­ren an kei­ner der Sta­tio­nen zwi­schen Aegi­di­en­tor­platz und Both­mer­stra­ße, teil­wei­se sogar bis Mes­se­ge­län­de. Ein ande­res Kon­zept war das „alter­nie­ren­de Hal­ten”, das es so sonst wohl nur auf eini­ge hoch­be­las­te­ten Abschnit­ten der New Yor­ker U‑Bahn gibt: Zwi­schen Aegi­di­en­tor­platz und Both­mer­stra­ße hiel­ten alle Züge zum Mes­se­ge­län­de alter­nie­rend nur an jeder zwei­ten Station.

All dies änder­te aber nichts dar­an, dass sämt­li­che Züge zur Mes­se mor­gens spä­tes­tens am Pei­ner Stra­ße so prop­pen­voll waren, dass süd­lich davon das Zustei­gen zum puren Glücks­spiel wur­de. Was ein Pro­blem war, denn zum einen nah­men vie­le Aus­stel­ler und Besu­cher gern in Döh­ren oder Mit­tel­feld und damit mes­senah Quar­tier und zum ande­ren war (und ist) Both­mer­stra­ße ein wich­ti­ger Umstei­ge­punkt aus Rich­tung Laat­zen und Rethen.

Drei­wa­gen­zug TW6000 im CeBIT-Ver­kehr 1997 zwi­schen Seel­horst und Bothmerstraße

Des­halb gab es noch eine fünf­te Linie zum Mes­se­ge­län­de. Die­se wur­de vom Betriebs­hof Döh­ren an der Pei­ner Stra­ße aus ein­ge­setzt und fuhr dann ledig­lich die rela­tiv kur­ze Rest­stre­cke bis zum Mes­se­ge­län­de. Damit wur­de genau der kri­tischs­te süd­li­che Abschnitt abge­deckt. Beschil­dert war auch die­se Linie als „8” oder „E”, üstra-intern sprach man bei die­sen Bah­nen gern von den „U‑Booten”: Die Linie erreich­te nicht den Tun­nel in der Innen­stadt, es gab auch kei­nen ech­ten „Fahr­plan”, statt­des­sen wur­den die Züge sozu­sa­gen auf Zuruf zwi­schen den übri­gen Kur­sen ein­ge­setzt – wie U‑Boote halt.

Jetzt müs­sen wir auf ein ande­res Detail der Situa­ti­on der üstra im Jahr 1997 schau­en: Den Fuhr­park. Sei­ner­zeit wur­den alle Stadt­bahn­li­ni­en aus­schließ­lich mit den grü­nen Bah­nen der Bau­rei­he TW6000 betrie­ben. 260 Fahr­zeu­ge gab es, die letz­te Serie von 10 Wagen war erst 1993 aus­ge­lie­fert wor­den. Trotz­dem war es knapp: Der CeBIT-Ver­kehr benö­tig­te so vie­le Fahr­zeu­ge, dass eigent­lich alle 260 Trieb­wa­gen gebraucht wur­den. Lei­der stan­den die­se nicht zur Ver­fü­gung: Durch meh­re­re Unfäl­le Ende 1996 und Anfang 1997 waren ins­ge­samt vier Fahr­zeu­ge schad­haft abge­stellt. Und damit wur­de es eng: Ich erin­ne­re mich, dass ich am ers­ten Mes­se­tag am Bahn­steig mei­ner Haus­sta­ti­on „Sedan­stra­ße” stand und mit­ten im mor­gend­li­chen Berufs­ver­kehr mein Zug der Linie 3 als (völ­lig über­füll­ter) Ein­zel­wa­gen fuhr. Die­ses Schick­sal teil­ten auch ande­re Lini­en – nicht wirk­lich zur Freu­de der Fahr­gäs­te. Bei die­sem knap­pen Fuhr­park war die Devi­se klar: Es muss­ten so vie­le TW6000 wie mög­lich ein­ge­spart werden.

Und da boten genau die beschrie­be­nen U‑Bootverkehre eine Mög­lich­keit: Im Sep­tem­ber 1996 war die letz­te „ech­te” Stra­ßen­bahn­li­nie in Han­no­ver ein­ge­stellt wor­den: Die 16 fuhr vom Kla­ges­markt über Stein­tor, Ernst-August-Platz, König­stra­ße und Zoo zum Nacken­berg. Seit Inbe­trieb­nah­me der U‑Bahn unter dem Engel­bos­te­ler Damm 1993 wur­de die­se Linie wie­der durch­gän­gig mit den letz­ten „alten” Stra­ßen­bahn­wa­gen der Bau­rei­he TW500, den soge­nann­ten „Gelenk­trieb­wa­gen” befah­ren. Nach der Ein­stel­lung der Linie wur­den drei Wagen zunächst betriebs­fä­hig gehal­ten, um näm­lich genau mit die­sen besag­ten U‑Bootverkehr wäh­rend der CeBIT durchzuführen.

TW503 auf der Linie 16 in der ehe­ma­li­gen Kehr­schlei­fe Nacken­berg, 25. Sep­tem­ber 1996

Anders als die Stadt­bahn­wa­gen, die mit ihren Klapp­tritt­stu­fen sowohl an Hoch- als auch an Nied­rig­bahn­stei­gen hal­ten kön­nen, sind die alten Stra­ßen­bahn­wa­gen mit ihren fest ein­ge­bau­ten Tritt­stu­fen auf nied­ri­ge Bahn­stei­ge ange­wie­sen. Die­se gab es 1997 noch an allen für den U‑Bootverkehr rele­van­ten Hal­te­stel­len – mit einer Aus­nah­me: Mes­se­ge­län­de. Dort war als letz­ter der Bahn­steig A im Som­mer 1996 als Hoch­bahn­steig umge­baut worden.

Und damit fügt die Geschich­te sich end­lich zusam­men: Um mit den wegen des TW6000-Man­gels als U‑Boote ein­ge­setz­ten alten TW500-Stra­ßen­bahn­wa­gen am Mes­se­ge­län­de hal­ten zu kön­nen, bedurf­te es dort eines pro­vi­so­ri­schen nied­ri­gen Bahn­steigs. Und genau den bau­te man kurz vor der CeBIT direkt süd­lich des Bahn­steigs B.

Damit endet Teil 1 die­ser Geschich­te rund um den CeBIT-Ver­kehr ver­gan­ge­ner Tage. Teil 2 folgt.


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3 Gedanken zu “Ein Bahnsteig an der Messe: Erinnerungen an den CeBIT-Verkehr 1997 (1)

  • Wolf

    Klas­se, Dirk! Wirk­lich inter­es­sant, auch wenn man vor der Lek­tü­re nicht von sich behaup­tet hät­te, sich dafür zu inter­es­sie­ren. Und schön geschrie­ben im Übri­gen auch.

  • GPS

    Inter­es­san­te Geschich­te, die spit­zen­mä­ßig recher­chiert wur­de! Ich freu mich auf wei­te­re Geschich­ten aus Hannover.