Ich muss gestehen, dass ich mit der Bewerbung zur „Kulturhauptstadt Europas” im Jahr 2025 bislang nicht so wahnsinnig viel anfangen konnte. Trotzdem bin ich gestern mittag ins Rathaus gegangen, wo ein wichtiger Zwischenschritt des Wahlprozesses live aus Berlin als „Public Viewing” übertragen wurde: Die Bekanntgabe der Bewerberauswahl, die es in die zweite Runde auf die so genannte „Shortlist” geschafft haben.
Ich habe gelernt, dass es acht Bewerber gegeben hat, von denen dann fünf in diese zweite Runde kommen. Diese fünf Bewerber müssen ihre Selbstdarstellung nochmal wesentlich erweitern und bekommen Besuch von der Jury. Im Herbst 2020 wird der Gewinner gekürt. Diese Stadt ist dann 2025 die deutsche „Kulturhauptstadt Europas”.
Bemerkenswerterweise hat das alles nicht nur mich interessiert, sondern auch viele, viele andere Hannoveraner, die sich um kurz nach 13 Uhr im Rathaus eingefunden hatten. Darunter viele Kulturschaffende, etliche Ratsmitglieder und viele Stadtangestellte, die ja nun sowieso im Rathaus arbeiten und „nur mal kurz auf den Flur” treten mussten, um mitten im Getümmel zu stehen.
Auch dabei: Oberbürgermeister Belit Onay, der ganz vorn vor der Freitreppe mitten im Publikum stand und unter stetiger Beobachtung des Dutzends Film- und Fotoreporter war, die von dem Ereignis berichteten. Ich hatte, man sieht es an diesem Beitrag, auch meine Ausrüstung dabei, habe mich aber erstmal auf die Empore verzogen um das Geschehen von oben zu betrachten.
Und dafür blieb genug Zeit. Die Übertragung aus Berlin zog sich etwas in die Länge. All die Honoratioren und Juryteilnehmer wissen natürlich, dass sich niemand mehr groß für die Übertragung interessiert, wenn das Ergebnis erstmal genannt ist. Also erzählen sie alles, was sie für erzählenswert halten, vorher. Und sie haben viel für erzählenswert gehalten.
Erst um exakt 14 Uhr wurde es spannend: Der Umschlag mit dem ersten der fünf weitergekommenen Kandidaten wurde geöffnet. Volle Aufmerksamkeit und massive Anspannung in Hannover – es war Magdeburg. Gelegenheit in Berlin, weitere Minuten mit Statements der Magdeburger Vertreter vor Ort zu füllen. Nur geringfügige Unruhe im hannoverschen Publikum vor der Leinwand.
Und dann hatte wer-auch-immer ein Einsehen: Um 14:03 Uhr wurde der zweite Umschlag in Berlin geöffnet – und in ihm stand „Hannover” als Teilnehmer der zweiten Bewerbungsrunde. Erwartungsgemäß großer, sehr großer Jubel im Rathaus. Ich fand das natürlich toll, aber die vielen Menschen, die an dem ganzen Prozess beteiligt sind, die haben sich richtig, richtig gefreut. Die drei anderen Mitbewerber – Nürnberg, Chemnitz und Hildesheim – wurden registriert, aber in Hannover war man in dem Moment einfach sehr happy.
Ich habe dann noch – mittlerweile wieder im Erdgeschoss – mit vielen Menschen gesprochen. Mein Eindruck hat sich verfestigt: Man sollte diese „Kulturhauptstadt”-Geschichte nicht unterschätzen. Der Begriff „Kultur” ist weit gefasst, es geht letztlich um die Stadtgesellschaft und Stadtentwicklung insgesamt.
Nicht umsonst enthalten die hannoverschen Bewerbungsunterlagen beispielsweise Ideen wie eine Umnutzung von momentan vom Kfz-Verkehr vereinnahmtem Stadtraum. So werden plötzlich Themen wie die Verkehrswende prominenter Teil des „Kulturhauptstadt”-Prozesses, der insgesamt auf eine nachhaltige Entwicklung Wert legt: Es geht nicht darum, im Jahr 2025 eine große Sause zu feiern, sondern nachhaltige Veränderungen auf den Weg zu bringen.
Zudem haben die Menschen, die die Bewerbung in Hannover gestalten, offensichtlich den richtigen Ton bei der Jury getroffen. Die Bewerbungsbroschüre, das sogenannte „Bid-Book”, war abseits aller Normen und Vorgaben geschrieben und das Team war so gut aufgestellt, dass selbst der Rücktritt von Oberbürgermeister und zuständigem Dezernenten, die darauffolgende monatelange Vakanz an der Stadtspitze und die OB-Neuwahl kein Hindernis waren. Ich finde das beeindruckend und ziehe meinen Hut vor den Menschen, die sich für den Bewerbungsprozess denselbigen aufgesetzt haben!
Um halb drei habe ich das Rathaus dann verlassen. Vom Buffet habe ich nichts mehr abbekommen. Aber bei der Kulturhauptstadt-Bewerbung bin ich mir sicher, dass sie in den kommenden Monaten kein „Orchideen-Thema” einer kleinen Gruppe Interessierter ist, sondern die politische Diskussion massiv beeinflusst. Und da angesichts der aktuellen Gesamtsituation mit Klimakrise, hohen Mieten, Verkehrswende und der neuen Stadtspitze sowieso gerade viele große Themen diskutiert werden und früher oder später Entscheidungen anstehen, ist das auf jeden Fall eine gute Sache!