Nordring nach Wedding von der Badstraße aus gesehen, 2006

Der Nahverkehrs-Adventskalender (19): Berlin, Gesundbrunnen, 1994 – 2006


So lang­sam nähert sich die Advents­zeit ihrem Ende. Am heu­ti­gen vier­ten Advent gibt es noch­mal ein Spe­cial in mei­nem Bil­der­ka­len­der: Es geht nach Ber­lin und auf Zeit­rei­se am Bahn­hof Gesund­brun­nen.

Der Bahn­hof Gesund­brun­nen liegt im gleich­na­mi­gen Bezirk zwi­schen Wed­ding und Prenz­lau­er Berg an der Schnitt­stel­le der Bahn­stre­cken ins nörd­li­che Ber­li­ner Umland und der Ring­bahn. Die Zusam­men­fas­sung der Stre­cken an die­ser Stel­le fand bereits Ende des 19. Jahr­hun­derts statt, durch die grenz­na­he Lage und den Nie­der­gang der S‑Bahn in West-Ber­lin war der Bahn­hof Anfang der 1990er Jah­re aber äußerst reduziert.

Bahnhof Berlin Gesundbrunnen, März 1995

Bahn­hof Ber­lin Gesund­brun­nen, März 1995

Auf dem Foto aus dem Jahr 1995 sieht man den Bahn­steig­be­reich des „alten” Gesund­brun­nen-Bahn­ho­fes. Er besteht zu die­sem Zeit­punkt nur noch aus einem ein­zi­gen S‑Bahnsteig längs der Nord-Süd-S-Bahn. Sowohl der Bahn­steig als auch der Trep­pen­auf­gang in typi­scher Ber­li­ner „Gewächs­haus­ar­chi­tek­tur” sind noch weit­ge­hend Ori­gi­nal­bau­sub­stanz. Auf der Brach­flä­che im Bild­vor­der­grund befan­den sich die bei­den übri­gen Bahn­stei­ge des Bahn­ho­fes, und zwar direkt neben dem S‑Bahnsteig ein Fern­bahn­steig zum Stet­ti­ner Bahn­hof – die Bahn­glei­se lagen par­al­lel zur S‑Bahn Rich­tung Hum­boldt­hain – und dann der S‑Bahnsteig an der Ring­bahn. Dane­ben lagen dann noch die Fern- bzw. Güter­bahn­glei­se längs der Ringbahn.

Die Bahn­steig­rei­hen­fol­ge erklärt sich aus der Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Bahn­ho­fes: Zunächst lag hier nur die Ring­bahn, die Glei­se der Stet­ti­ner Bahn wur­den erst spä­ter hier­hin ver­legt, ursprüng­lich ver­lie­fen sie längs der Grün­ta­ler Stra­ße. Bei die­ser Umver­le­gung blie­ben die Glei­se der Ring­bahn an Ort und Stel­le, sodass der Umstei­ge­ver­kehr zwi­schen den S‑Bahnstrecken immer über die Distanz zwei­er Bahn­stei­ge erfol­gen muss­te. Das zeigt, dass man schon vor 100 Jah­ren im Zwei­fels­fall Bahn­bau­ten eher güns­tig als fahr­gast­freund­lich realisierte.

Der Stet­ti­ner Fern­bahn­hof wur­de bereits kurz nach 1950 still­ge­legt, die Fern­bahn am Ring wohl im Wesent­li­chen zum Mau­er­bau 1961. Die Ring-S-Bahn wur­de noch bis 1980 betrie­ben, aller­dings ende­te sie seit 1961 aus Wes­ten kom­mend hier. Ab 1980 war dann der hier zu sehen­de S‑Bahnsteig der letz­te betrie­be­ne Teil des Bahn­ho­fes. Als ich im März 1989 zum ers­ten Mal in Ber­lin war, exis­tier­te der alte Ring-S-Bahn­steig noch, war aber nicht mehr zugänglich.

Im Bild­hin­ter­grund ist die alte Bebau­ung des Are­als unmit­tel­bar nörd­lich des Bahn­ho­fes zu sehen. Hier befan­den sich vor allem Klein­be­trie­be und Klein­gär­ten. Auch der (ein­zi­ge) Bahn­hofs­aus­gang ende­te dort und nicht wie heu­te an der Bad­stra­ße, sodass das Umstei­gen zwi­schen S- und U‑Bahn eben­falls mit rela­tiv wei­ten Wegen ver­bun­den war. Der unter­ir­di­sche Ver­bin­dungs­gang war zu dem Zeit­punkt schon lan­ge wegen Bau­fäl­lig­keit gesperrt.

Bahnhof Berlin Gesundbrunnen, November 2001

Bahn­hof Ber­lin Gesund­brun­nen, Novem­ber 2001

Zeit­wech­sel. Die­ses Foto ent­stand etwa an der­sel­ben Stel­le sechs­ein­halb Jah­re Spä­ter. Im Hin­ter­grund steht mitt­ler­wei­le das Ein­kaufs­zen­trum „Gesund­brun­nen-Cen­ter”. Direkt davor befin­den sich die bei­den neu­en S‑Bahnsteige, an denen Ring- und Vor­ort-S-Bahn künf­tig gemein­sam im Rich­tungs­be­trieb hal­ten wer­den. Und im Vor­der­grund des Bil­des sind die Roh­bau­ten der neu­en Fern­bahn­an­la­gen zu sehen.

2001 war einer der letz­ten Zeit­punk­te, die­sen Bereich noch­mal aus die­ser Per­spek­ti­ve zu foto­gra­fie­ren. Heu­te geht der Bahn­hofs­be­reich direkt in die Bad­stra­ßen­brü­cke über, sodass man hier heu­te nicht mehr am Brü­cken­ge­län­der, son­dern mit­ten auf dem Bahn­hofs­vor­platz steht. Wobei die­ser „Vor­platz” auch gleich der Bahn­hof ist, weil man aus ver­schie­de­nen Grün­den auf die Errich­tung eines Emp­fangs­ge­bäu­des ver­zich­tet hat. So ent­steht die para­do­xe Situa­ti­on, dass die ein­zi­gen wet­ter­ge­schütz­ten Mög­lich­kei­ten zum Bahn­steig­wech­sel ent­we­der der unter­ir­di­sche Ver­bin­dungs­gang oder die Gale­rie im hin­te­ren Bild­be­reich ist: Dort wur­de auch ein neu­er Zugang aus Rich­tung Osten für den Bahn­hof angelegt.

Nordring nach Wedding von der Badstraße aus gesehen, 1994

Nord­ring nach Wed­ding von der Bad­stra­ße aus gese­hen, 1994

Wir wech­seln jetzt auf die ande­re Sei­te der Bad­stra­ßen­brü­cke und dabei gleich­zei­tig zurück in das Jahr 1994. Wir sehen die west­li­che Bahn­hofs­ein­fahrt nach Gesund­brun­nen. Links im Bild ist der bewal­de­te Hang des Hum­boldt­hains zu sehen. Dane­ben führt ein wohl nicht mehr betrie­be­nes Güter­gleis in Rich­tung des alten Stet­ti­ner Fern­bahn­ho­fes, von dem heu­te nur noch der unter­ir­di­sche S‑Bahnteil als „Nord­bahn­hof” in Betrieb ist.

Das Gleis führt vor­bei an einem mar­kan­ten Zie­gel­stein­bau im Bild­hin­ter­grund. Dies ist das ers­te „Unter­werk” für die elek­trisch betrie­be­ne Ber­li­ner S‑Bahn gewe­sen und inso­fern von einer gewis­sen bau­his­to­ri­schen Bedeu­tung. Des­halb fin­det man es auch noch bis heu­te an genau die­ser Stelle.

Neben dem ver­mu­te­ten Güter­gleis, von dem meh­re­re blin­de Wei­chen abge­hen, führt schnur­ge­ra­de ein wei­te­res Gleis durchs Bild. Und nicht nur das: Es ist sogar augen­schein­lich noch betrie­ben, jeden­falls sind die Pro­fi­le nicht ange­ros­tet. Die­ses Gleis liegt auf der Fern­bahn­tras­se der Ring­bahn und es führ­te in der Tat noch bis 1994 über den Nord­ring zum his­to­ri­schen „Nord­bahn­hof”, dem ursprüng­li­chen End­bahn­hof der Stre­cke nach Stral­sund vom Ende des 19. Jahr­hun­derts, des­sen Gelän­de zwi­schen Graun- und Schwed­ter Stra­ße bis zur Ber­nau­er Stra­ße reich­te. Zu Zei­ten der Tei­lung Ber­lins fuh­ren hier regel­mä­ßig Züge der fran­zö­si­schen Besat­zungs­macht gen Wes­ten. 1994 war ich zum ers­ten Mal in Sachen „Bahn” in Ber­lin unter­wegs und ich kann mich erin­nern, dass sowohl ich als auch die bei­den Kom­mi­li­to­nen, mit denen ich unter­wegs war, sehr erstaunt über die Exis­tenz die­ses Glei­ses waren. Auf dem 1995er-Foto vom Anfang die­ses Arti­kels ist das Gleis bereits verschwunden.

Im Bild­hin­ter­grund kann man noch die alten Brü­cken sehen, mit denen die Ring­bahn die Tras­sen zum Stet­ti­ner Bahn­hof über­quer­te. Auf den bei­den rech­ten Brü­cken lagen frü­her die S‑Bahngleise längs des Rin­ges. Die­se sind 1994 bereits voll­stän­dig abge­baut und es wird noch fast ein Jahr­zehnt ver­ge­hen, bis auf die­ser Rela­ti­on wie­der Züge fahren.

Rechts außen im Bild sieht man die S‑Bahn Rich­tung Hum­boldt­hain und Nord­bahn­hof. Links dane­ben, von der Böschung der Ring­bahn etwas ver­deckt, kann man auch noch die Fern­bahn­tras­se zum Stet­ti­ner Bahn­hof erah­nen, die aber zum Zeit­punkt die­ser Auf­nah­me bereits seit lan­ger Zeit nicht mehr genutzt wird und gleis­los ist.

1994 war das Pilz­kon­zept zur Ent­wick­lung der Ber­li­ner Eisen­bahn­an­la­gen bereits seit zwei Jah­ren beschlos­sen und die neue Rol­le des Bahn­ho­fes Gesund­brun­nen somit fest­ge­legt. Die Bau­tä­tig­keit auf dem Bahn­hofs­ge­län­de setz­te aber erst gegen 1997 wirk­lich ein. Inso­fern zeigt die­ses Bild zwar einen hoch­gra­dig his­to­ri­schen Zustand, der letzt­lich aber nur eine Über­gangs­si­tua­ti­on war.

Nordring nach Wedding von der Badstraße aus gesehen, 2006

Nord­ring nach Wed­ding von der Bad­stra­ße aus gese­hen, 2006

Zwölf Jah­re spä­ter. Am 27. Mai 2006 geht der neue Bahn­hof Gesund­brun­nen in Betrieb und die­ses Bild zeigt, wie die­sel­be Stel­le zu jenem Zeit­punkt aus­sah. Der Bahn­hof hat wie­der einen umfang­rei­chen Fern­bahn­be­reich, der aller­dings im Wes­ten nur noch auf die Ring­bahn führt. Der Stet­ti­ner bzw. Nord­bahn­hof wur­de nicht wie­der auf­ge­baut, statt­des­sen gibt es jetzt eini­ge hun­dert Meter wei­ter west­lich eine Zufahrt in den eben­falls an die­sem Tag eröff­ne­ten Tier­gar­ten­tun­nel für die unter­ir­di­sche Nord-Süd-Fern­bahn­tras­se. Das Gleis links des Regio­nal­zu­ges dürf­te etwa an der­sel­ben Stel­le wie das „Fran­zo­sen­g­leis” auf dem Foto von 1994 lie­gen. Im Hin­ter­grund sieht man auch immer noch den alten Brademann’schen Umspann­werk­bau, mitt­ler­wei­le viel­fach mit Graf­fi­ti versehen.

Die Über­wer­fung zwi­schen Ring- und Nord-Süd-S-Bahn ist nicht mehr mit­tels einer Brü­cke gelöst. Statt­des­sen lau­fen die S‑Bahngleise jetzt in zwei ein­zel­nen Tun­neln unter dem Rest des Gleis­fel­des her. Die Glei­se der Ring-S-Bahn wer­den im neu­en Bahn­hof zwi­schen den Glei­sen der Nord-Süd-S-Bahn geführt, was die Umstei­ge­si­tua­ti­on gegen­über dem his­to­ri­schen Bau­werk erheb­lich verbessert.

Gesund­brun­nen ist heu­te wie­der ein wich­ti­ger Fern­bahn­hof im Ber­li­ner Stadt­ge­biet. Sämt­li­che Züge nach Nor­den hal­ten hier als letz­tem Bahn­hof vor bzw. ers­tem Bahn­hof nach dem Haupt­bahn­hof. Im Wes­ten sind die Zulauf­stre­cken längs des Rin­ges und zum Haupt­bahn­hof seit der Eröff­nung fer­tig, auf der ande­ren Sei­te klaf­fen aber auch heu­te noch Lücken ver­glei­chen mit dem geplan­ten End­zu­stand. So ist bis heu­te die Direkt­ver­bin­dung zwi­schen Born­hol­mer Stra­ße und Bir­ken­wer­der („Nord­bahn”) nicht wie­der auf­ge­baut, sodass die Fern­zü­ge nach Ros­tock den Umweg über Karower Kreuz und Außen­ring neh­men müs­sen. Auch im Bereich des Ost­kreu­zes gibt es noch Lücken, die im Rah­men des Neu­baus des dor­ti­gen Bahn­ho­fes (mit dem man wohl inhalt­lich allein einen Advents­ka­len­der bestrei­ten könn­te…) geschlos­sen wer­den. Ins­ge­samt wirkt der Bahn­hof Gesund­brun­nen gera­de im Fern­bahn­be­reich an eini­gen Stel­len etwas über­di­men­sio­niert. Anders her­um heißt das aber auch, dass für eine Ver­kehrs­zu­nah­me noch genü­gend Luft nach oben ist. Und das ist für einen gera­de vier Jah­re alten Neu­bau ja nie ganz verkehrt.

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