Ein Gastbeitrag von Jan Krüger
Gut 100 Menschen waren zum Symposium „Gute Fahrt auf guten Wegen” ins Haus der Region in Hannover gekommen, die meisten aus der Verwaltung aus Städten und Gemeinden in ganz Deutschland, manche als Preisträger der im Anschluss stattfindenden Verleihung vom STADTRADELN. Einige Verbandsvertreter und Radfahrer hatten sich daruntergemischt.
Die Anmoderation der Journalistin Andrea Reidl begrüßte den Verkehrsdezernenten der Region, Ulf-Birger Franz mit der Frage nach dem Ziel des neu gewählten Bürgermeisters Belit Onay, der den Radverkehrsanteil bis 2025 auf 30% steigern will. Nun müsse man bei der Radverkehrsförderung doch endlich „Gas geben” (sic!).
Mit Franz’ Antwort, in Wahlkämpfen werde ja viel erzählt und das Ziel für 2025 sei bekanntlich 25%, ging der Tag gut los. Quasi im ersten gesprochenen Satz. Tusch, Vorhang. Dankeschön.
Ein erster Lichtblick war dann der Beitrag von Torsten von Einem, dem Radverkehrsbeauftragten der Stadt Potsdam. Er stellte zwei Möglichkeiten der Asphaltdecke vor, die sie in der Unesco-Weltkulturerbe-Landschaft verbaut haben. Ein hell gefärber Asphalt inmitten einer Lindenallee, die zwei Universitätsstandorte verbindet. Und ein – für die Optik – in Epoxidharz gesandeter Asphalt, der entlang des Flusses einen Radweg befestigt. Hier wurden wassergebundene Decken (oder was von ihnen übrig war) abgelöst. Mit Wurzelvorhang gegen Aufbrüche geschützt.
Fazit: Wo ein Wille ist, ist auch ein asphaltierter Weg. Natur- und Denkmalschutz sind wichtig aber nicht allein ausschlaggebend, schließlich ist auch Radverkehrsförderung praktizierter Naturschutz. Eine automatische Zählstelle zeigt eindrucksvoll eine Verdoppelung des Radverkehrs auf dem asphaltierten Weg. Sogar im Winter. Denn im Gegensatz zur wassergebundenen Decke erlaubt die Asphaltdecke einen Winterdienst: Der Weg wird nach der Räumung mit Salzlösung besprüht und bleibt so sicher befahrbar.
Aus dem Auditorium wurde ergänzt, dass man in Uelzen Radwege schon länger mit guten Erfahrungen aus Beton baut und wenig Probleme mit Wurzelaufbrüchen hat.
Das nachfolgende Podiumsgespräch mit einer Regionsvertreterin brachte die Erkenntnis, dass man auch bei der Region verstanden hat, dass die wassergebundene Decke zu wartungsintensiv ist, um sie so in Stand halten zu können, wie es eigentlich nötig wäre. Der Weg vom Erkennen zum Handeln ist aber wohl noch weit.
Nächster Redner war Stefan Bendiks vom Planungsbüro Artgineering in Brüssel, ein Deutscher, der lange in den Niederlanden gearbeitet hat und jetzt in Belgien Stadtplanung betreibt. Seine Präsentation ein Feuerwerk niederländischer Radwegebaukunst gemischt mit Beispielen aus anderen Ländern. Schwebende Kreisel, rekordhaltende Fahrradparkhäuser, Rundumgrün, das volle Programm.
Fazit: Bevor man lange überlegt, simuliert, normt, plant und diskutiert, einfach mal im „Reallabor” ein paar Kübel aufstellen und Linien markieren und sehen was passiert. Häufig lassen sich damit auch Akzeptanzprobleme überwinden, denn in der Praxis funktionieren viele Lösungen besser als sich mancher Anwohner das ausmalt. Sogar zurückgebaute Parkplätze können dazu führen, dass Autos „verdampfen”, weil z.B. der eine oder andere seine Garage entrümpelt, damit das Auto wieder reinpasst.
Nach dem Mittagssnack erläuterte Thimo Weitemeier, Stadtbaurat im grenznahen Nordhorn, sein Radverkehrskonzept, mit dem die Stadt bereits 40% Radverkehrsanteil erreicht hat. Schlüssel zum Erfolg ist ein (an Kreuzungen bevorrechtigtes) Radwegenetz abseits der Straßen, entlang eines die Stadt durchziehenden Kanalsystems sowie eine autofreie Innenstadt. Dadurch und durch weitere Maßnahmen ist Radfahren schneller und bequemer als Autonutzung. Er sieht den Schutzstreifen, den sie im Außenbereich der Stadt einsetzen, als Hinweis für den Autofahrer, dass der Radverkehr hier auf der Fahrbahn fahren darf. Was – flankiert von Aufklärungskampagnen – nach einiger Zeit auch funktioniert. Safety in numbers dürfte bei dem hohen Radverkehrsanteil eine Rolle spielen.
Fazit: Kanäle haben wir in Hannover nicht, alles andere ist machbar.
Thiemo Graf vom i.n.s Institut für innovative Städte erklärt in seiner Präsentation die Bedeutung guter und intuitiv erkennbarer Radverkehrsinfrastruktur mit einem Bilderbogen schlechter Beispiele. Allseits beifälliges Nicken. Solche Fotos können alle vor der eigenen Haustür auch machen.
Das anschließende Podiums-Gespräch mit Ulf-Birger Franz (Region), Andreas Bode (Leiter Tiefbauamt Hannover) und Thiemo Graf dann auch ohne Höhepunkte. Überschrift: „Aufbruch zu einem regionsweiten Standard für Radverkehrsanlagen?” Für ein Auditorium mit Teilnehmern aus ganz Deutschland ist diese Frage vermutlich auch nicht so wichtig.
Frank Otte, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Fahrradfreundlicher Kommunen Niedersachsen/Bremen e.V. und einer der Gastgeber der Veranstaltung fasst den Tag in einem launigen Beitrag zusammen:
Die Farbe des Radwegs sei wohl ein zentral wichtiger Diskussionspunkt und er empfiehlt pink mit mintgrünen Fahrradsymbolen. Erstaunlich sei doch, dass wir beim Radweg immer noch Themen diskutieren, die im Autostraßennetz längst selbstverständlich sind: Durchgängige Wegenetze, Fahrbahnqualität, Markierungen, usw. Dass man keine Einbahnstraßen baut, die in Sackgassen münden, sei beim Autoverkehr längst nicht mehr diskussionswürdig.
Der geneigte Zuhörer muss unweigerlich an den illustren Plattenradweg vorm Glaspalast der Nord/LB denken, am Veranstaltungsort um die Ecke. Sicherlich dem Gestaltungswillen geschuldet, der dann unmittelbar dort aufhört, wo Kraftfahrzeuge ins Spiel kommen – am Parkstreifen.
Otte zieht eine Parallele zwischen dem Einzelhandel und der Politik: Der Einzelhandel habe immer gelaubt, der Kunde komme mit dem Auto; so langsam begreife er aber, dass das gar nicht stimmt. Auf solchen Veranstaltungen wie dieser seien sich sowieso immer alle einig, nur die Politik glaube immer noch, der Wähler komme mit dem Auto.
Fazit: Die nächste Kommunalwahl kommt bestimmt.
Als Überleitung zur Preisverleihung STADTRADELN stellen André Muno vom Klimabündnis und Sven Lißner und Dr. Thomas Springer von der TU Dresden die Datenerhebung vor, die im Rahmen des Wettbewerbs mithilfe einer App von den Teilnehmern durchgeführt wurde. Bereinigt von personenidentifizierbaren Merkmalen stehen die Verkehrsdaten in einem Geoinformationssystem zur Radverkehrsplanung bereit. In der Demo waren bereits die Fahrradströme von Hannover gut zu erkennen. Häufigkeit der Nutzung, Geschwindigkeit, Tageszeit, Start- und Zielpunkt, Pendelströme, usw. Die Daten stehen den Kommunen am Ende des Projektes kostenlos zur Verfügung. Die Repräsentativität der Stichprobe lässt sich kalibrieren und sie hat sogar den Vorteil, dass hier Menschen teilnehmen, die sonst nicht Rad fahren, sondern nur im Rahmen der Kampagne für 3 Wochen mitmachen.
Fazit: Wer ein sternförmiges Radroutennetz plant, sollte erstmal nachschauen, ob es überhaupt gebraucht wird.
Der Tag zeichnete sich durch einen guten Themenmix aus, auch wenn die Beiträge oft durch Gesprächsrunden ohne zusätzlichen Nutzen in die Länge gezogen wurden. Das Spannungsfeld zwischen politischem Willen und verwalterischer Lieferfähigkeit (beides ist nur begrenzt vorhanden) wurde hier und da deutlich. Am Ende – wie so oft – dürfte es eine Frage der Prioritäten sein, ob sich im Radverkehr etwas bewegt. An guten Ideen und Konzepten mangelt es jedenfalls nicht.
Die Foliensätze befinden sich hier
https://www.agfk-niedersachsen.de/archiv/meldungen/symposium-standards.html
Ich möchte den Bericht mit einem wesentlichen Aspekt ergänzen:
Stadtplaner Stefan Bendiks aus Brüssel hat in seinem Beitrag mehrfach betont, für wie wichtig er einen baulich getrennten Radweg hält. „Ganz große Zielgruppen” würden danach fragen. Sonst „wird es nicht zu hohen Radverkehrsanteilen kommen”.
Eine Einschätzung, die ich vollständig teile. Hat sich aber leider in Hannover noch nicht durchgesetzt…
Ein Fahrradparkhaus, das als einzige Abstellmöglichkeit Felgenklemmer aufweist, sollte meines Erachtens in einem Fahrradblog nicht auftauchen. Ich jedenfalls stelle mein Fahrrad in solchen Dingern nicht ab, weil ich hinterher mein Vorderrad weiterverwenden möchte.
Hannover kann das auch: Im neu gebauten Fahrradkeller der Volkshochschule sind auch ausschließlich Felgenklemmer als Abstellanlagen vorgesehen. Wer hat das nur geplant?
Doch, doch, Kanäle gibts in Hannover auch, speziell einen ganz großen, an dessen Rad auch Rad-weg!-e geführt sind – natürlich ganz umweltfreundlich mit holperiger „wassergebundener Decke”, die bei Regen schnell zu einer Wasserlandschaft wird (Siehe Bild im Text)
Für mich ist der Punkt, dass da in einem Einkaufszentrum überhaupt ein großer Fahrradparkplatz ist – mit Werkzeug und Lastenradbereich. Der VHS-Fahrradkeller ist aber in der Tat ein Beispiel, wie man es nicht macht.