Vor gut einer Woche waren die drei Kandidaten von SPD, CDU und Grünen für die Wahl zum Oberbürgermeister zu Gast im HAZ-Forum. Diese Woche hat die Zeitung nachgelegt: Immerhin sieben der neun „anderen” Kandidaten waren nun eingeladen, ihre Vorstellungen und ihr Wahlprogramm zum Oberbürgermeister bzw. zur Oberbürgermeisterin zu präsentieren.
Conrad von Meding, stellvertretender Leiter der Lokalredaktion, leitete die Runde und erläuterte zu Beginn, dass neben dem von den Freien Wählen nominierten Ronald Rüdiger – der wohl einfach nicht erschienen war – auch Julian Klippert nicht auf dem Podium war. Dem hatte die HAZ die Einladung verweigert, da sie das merkwürdige Zwitterspiel aus Einzelkandidatur und Kandidatur für die PARTEI nicht mitspielen wollte. Die lauten Buh-Rufe aus den Reihen der im Publikum anwesenden PARTEI-Gänger konterte von Meding souverän: „So ist es halt.”
Um es vorweg zu nehmen: Die Runde erreichte bei weitem nicht das Niveau des Schlagabtausches der Vorwoche. Bei sieben Menschen auf der Bühne hat jeder einzelne natürlich weniger Redezeit. Aber nicht immer wurde bei den Beiträgen auch völlig klar, was die einzelnen Kandidaten wollten.
Nehmen wir beispielsweise Catharina Gutwerk, nominierte Kandidaten der PARTEI. Die war offensichtlich angetreten, auch in dieser Runde die PARTEI-typische sartirische Überspitzung zu betreiben. Das kann witzig sein, aber hier geht es schief. Zur Verkehrspolitik kommen abgelesene Einlassungen über Kondome (Hö hö hö) und auf die Frage nach dem Grund für die Kandidatur mit Julian-Klippert-Maske auf dem Kopf: „Mehr Sandstrände für Hannover.”
Adam Wolf, von der Piratenpartei als Kandidat aufgestellt und Rats- und Regionsabgeordneter der Partei, sieht sich als Mann der neuen Lösungen, der den „von rot-grün in den Dreck” gefahrenen Karren wieder flott machen will. Sein Patentrezept: Runde Tische. Mobilitätskonzept? Runder Tisch. Wohnungen für Obdachlose? Runder Tisch. Verwaltungsstrukturen überarbeiten? Runder Tisch. Als langjähriges Piratenmitglied höre ich auch die feinen Piratismen, die bei ihm immer wieder durchkommen. Öffentlicher Verkehr ist nicht „kostenlos”, sondern „fahrscheinfrei”, denn: „Irgendwer muss es ja zahlen.” Das ist schon sehr spitzfindig.
Ein wenig als Paradiesvogel kommt die Einzelkandidatin Ruth Esther Gilmore daher. Sie ist Lyrikerin und als sie die Notwendigkeit von Frischluftkorridoren im Stadtbild beschreibt, wird sie geradezu poetisch. Leider ist sie nicht immer stringent in ihrer Argumentation: Da stellt sie fest, dass es in Hannover zu wenig Wohnungen und zu wenig Bautätigkeit gibt – nur um ab dem nächsten Satz aufzuzählen, wo man überall nicht bauen soll: Nicht in Kleingärten, nicht auf Grünflächen, nicht mit Hausbooten auf dem Wasser (dieser originelle Vorschlag kam vorher vom Piraten Wolf) und keinesfalls auf Gewerbeflächen – der Bodenbelastung wegen. Da fragt man sich schon: Wie geht das zusammen?
Erwähnen muss man die beiden Herren mit AfD-Bezug: Ex-Mitglied und mittlerweile unabhängiger Ratsherr Tobias Braune (von dem ich kein verlinkbares Profil zur OB-Wahl gefunden habe) und der ehemalige Drei-Sterne-General Joachim Wundrak, den die Partei aufgestellt hat. Beide haben einen ganz ähnlichen Fetisch für „Sicherheit”. Während Braune hier die emotionale Schiene fährt („Meine Tochter hat Angst!”), kommt Wundrak hochgestochen mit „staatlichen Kernaufgaben”, „Gewaltmonopol” und hochzurüstender Polizei. Beim Zuhören schwanke ich zwischen belustigt – Frage: „Wie machen Sie den ÖPNV attraktiver?”, Antwort: „Sicherer machen” – und kaum auszuhalten, wenn er raunt: „Ich habe mich mit Polizei und LKA unterhalten – es sieht nicht rosig aus.”
Von ganz anderem Format ist Jessica Kaußen, die von den Linken nominiert ist. Die Regions- und Laatzener Stadtratsabgeordnete kennt Verwaltungsabläufe – und das diffizile Hin und Her zwischen Stadt und Region. Als Kandidatin ihrer Partei vertritt sie linke Kernforderungen mit günstigem ÖPNV und genossenschaftlichen Modellen für den Wohnungsbau. Auf die Einstiegsfrage nach ihrem Hauptargument für ihre Kandidatur kommt aber nur, es wäre Zeit für eine Frau an der Verwaltungsspitze.
Und dann ist da noch Iyabo Kaczmarek. Die Einzelkandidatin hat schon sehr früh ihre Kandidatur veröffentlicht, reitet aber dankenswerterweise nicht auf dem Geschlechteraspekt herum. Als Kulturmanagerin in Hannover kennt sie die Stadt – und sie steht mit jeder ihrer Äußerungen für eine offene, lebendige Gesellschaft. Als Braune und Wundrak ihr Sicherheitstheater spielen, ist sie es, die leidenschaftlich beklagt, die Debatte werde „auf Bild-Niveau” geführt.
Inhaltlich spannt von Meding den Bogen ganz ähnlich wie Felix Harbart bei der Diskussion in der Vorwoche. Das Thema „Verkehr” ist an den Anfang gestellt und nimmt breiten Raum ein. Der gemeinsame Nenner aller Kandidaten ist der öffentliche Verkehr: Der soll besser werden. Und billiger. Vor allem für Kinder. Wundrak fällt – nicht zum letzten Mal am Abend – dadurch auf, dass er Dinge fordert, die schon umgesetzt werden („Stadtbahn nach Hemmingen”) oder gar nicht in den Einflussbereich der Stadt Hannover fallen („Stadtbahn nach Seelze”). Kaußen ist die einzige, die explizit von Förderung des Radverkehrs spricht, Wolf bekennt sich zur „autofreien Innenstadt” – auf Nachfrage allerdings nur für Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor.
Die Mehrzahl der Anwesenden fällt in das momentan beliebte Beschimpfen der noch neuen E‑Roller ein: Kaczmarek und Gilmore wollen sie verbieten, und Gilmore spannt dabei den ganz großen Bogen zu den „Kindern in Afrika”, die die Rohstoffe für die Batterien abbauen müssen, Braune setzt eher auf vergrämen mit Regulierung und Gebühren. Immerhin Wolf sieht auch Chancen innerhalb eines „neuen Mobilitätskonzepts”.
Auch das Thema „Wohnraum” ist aus der vorigen Veranstaltung bekannt. Wolf setzt auf bemerkenswert kreative Lösungen wie Containerdörfer („mobile Raumeinheiten”) auf Parkplätzen, Wohnboote auf den hannoverschen Gewässern und die Freigabe von Kleingärten. Viele andere Kandidaten haben vor allem aktuell leerstehende Gebäude jeglicher Ausrichtung im Blick, die sie wohnbebauen wollen. Oder Leerflächen. Aber die sind ja irgendwie auch wichtig. Wundrak glänzt ein weiteres Mal damit, jetzt, wo die Bebauung von Wasserstadt und der südlichem Kronsberg begonnen hat, die Bebauung von Wasserstadt und südlichem Kronsberg forcieren zu wollen.
Besonders perfide ist an dieser Stelle Wundraks Versuch, einen Eklat mit der unbelegten Behauptung zu provozieren, die Wohnungsknappheit läge auch an einer „Migration in die Sozialsysteme”. Er leitet das mit dem Hinweis ein, er werde ja immer wieder dafür kritisiert, so etwas zu sagen – und leider belohnen vor allem die PARTEI-Gänger im Publikum das plumpe Gezeter mit vernehmlichen Buh-Rufen.
Leider waren im Publikum auch viele Menschen, die dieses Gerede für bare Münze nehmen. Den – korrekten Hinweis von Wolf, die Flüchtlingszahlen seien seit 2015 kontinuierlich zurückgegangen, kommentieren sie mit hämischem Gelächter.
Nichts unerwartetes beim Thema „Genderstern”: Braune und Wundrak finden ihn doof, wobei Wundrak durchaus „junge gute Frauen” fördern will, die sich allerdings auch „zur Verfügung stellen” müssten. Alle anderen wollen ihn behalten.
Bei Wundrak sind mir noch zwei Dinge bemerkenswert unangenehm aufgefallen: Ob er sich von den rechtsextremen Teilnehmern der AfD-Demo vom vergangenen Wochenende distanziert, will ein Leser wissen. Die Antwort ist ein einziges Herumwinden: Die Demo sei genehmigt gewesen, offen für alle und überhaupt habe er ja nicht erkennen können, wer da mit welcher Gesinnung teilgenommen habe. Distanzierung klingt anders; „Niveaulos” und „unfassbar” sind Zwischenrufe, die aus dem Publikum fallen. Und zur Kulturhauptstadt befragt muss er bekennen, sich da noch nicht mit beschäftigt zu haben („Das wird aber in den nächsten Tagen passieren.”). So kann er dann nur etwas davon erzählen, „echte Kultur” haben zu wollen, „nicht nur Buntes”, sondern ein „breites kulturelles Ereignis”. Die an Beliebigkeit kaum zu überbietenden Einlassungen gipfeln darin, die Kultur dürfe „nicht beliebig” sein.
Es sind vor allem Kaczmarek und Wolf, die die Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2025 hochhalten. Kaczmarek mit ihrem berufsbedingten tiefen Einblick in die Kulturszene und die Chancen, die sich ihr bieten und Wolf mit dem Hinweis, dass selbst der Bewerbungsprozess selbst schon positive Auswirkungen auf die hannoversche Kulturszene hat. Kaußen hingegen merkt korrekterweise an, dass as Thema auch noch breiter hätte aufgestellt werden können und dass der Bewerbungsprozess relativ wenig transparent ist.
Fazit nach 90 Minuten: Ich würde jede Wette eingehen, dass wir den zukünftigen Oberbürgermeister (mensch) von Hannover an diesem Abend nicht auf der Bühne gesehen haben. Zu wenig pointiert sind die Kandidaten dieser Veranstaltung. Zum „Favorit” hat niemand von ihnen das Zeug und als „Underdog” unterscheiden sie sich samt und sonders zu wenig von den „großen Drei”. Die Einzelkandidaten haben mit der zusätzlichen Schwierigkeit zu kämpfen, dass sie keinerlei Apparat haben um den Parteikandidaten organisatorisch „auf Augenhöhe” entgegenzutreten.
Kaußen und Kaczmarek haben bei mir den meisten Eindruck hinterlassen. Die eine auf politischer Ebene aktiv, die andere durch ihre Arbeit im Kulturbereich. Das sind die beiden Kandidatinnen, die am ehesten tatsächlich ein gewisses Vorwissen darüber zu erkennen gegeben haben, wie eine Verwaltung „tickt”, wie die Zusammenhänge zwischen Stadt, Region und Land sind und was ihre Rolle als Oberbürgermeisterin in der Stadt sein könnte.
Mit Abstrichen gilt das auch für Wolf – bloß dass da schon wieder das Profil verschwimmt. Ein netter Mensch, der den Wohnraummangel mit Hausbooten vermindern will und die Verwaltung am Runden Tisch umstrukturiert. Das überzeugt mich nicht.
Gilmore und Gutwerk bleiben für mich blass. Letztere, weil von ihr nur wenige Redebeiträge und kaum eine belastbare Aussage kommt. Zudem ist der PARTEI-Klamauk an diesem Abend sichtlich fehl am Platze. Erstere ist sicherlich ein integerer Mensch, aber ich erkenne überhaupt keine übergeordnete Idee hinter ihrer Kandidatur.
Bleiben Braune und Wundrak. Die erfüllen an diesem Abend relativ zielsicher alle wichtigen Klischees zu ihren Personen. Braune als „unabhängiger Geist”, der aber immer erahnen lässt, was ihn wohl damals zu seiner Ex-Partei getrieben hat. Und Wundrak als um Seriosität bemühtes AfD-Aushängeschild, der gleichzeitig seine Klientel mit den Sprüchen von überbordender Kriminalität und Migration bedient. Für eine offene Gesellschaft oder Stadt steht keiner von beiden.
Schauen wir, welche Impulse die Kandidatenriege in den nächsten Wochen noch setzen kann. Ich wünsche mir einen spannenden, erkenntnisreichen Wahlkampf!
Hier geht’s zu meinem Artikel über das 1. HAZ-Forum zur OB-Wahl mit Marc Hansmann, Belit Onay und Eckhard Scholz am 2019-08-20.