Meine Haushaltsrede zum Haushalt 2016


In der heu­ti­gen Sit­zung zum han­no­ver­schen Haus­halt 2016 habe ich fol­gen­de Rede gehalten:

Kuppel des Neuen Rathauses. Hier finden die Ratssitzungen statt.

Kup­pel des Neu­en Rat­hau­ses. Hier fin­den die Rats­sit­zun­gen statt.

Herr Vor­sit­zen­der,
Herr Oberbürgermeister,
sehr geehr­te Abgeordnete,
mei­ne Damen und Herren,
lie­be Anwesende,

ich habe so um 1981/1982 begon­nen, bewusst Nach­rich­ten zu schau­en. Einer der ers­ten Inhal­te, an die ich mich erin­nern kann, waren die Berich­te über Ver­hand­lun­gen zum Haus­halt. Es war die End­pha­se der dama­li­gen sozi­al-libe­ra­len Koali­ti­on und die­je­ni­gen von Ihnen, die das sei­ner­zeit auch schon mit­er­lebt haben, kön­nen sich viel­leicht erin­nern: Es ging hoch her zu jener Zeit.

Für mich, 9 Jah­re alt, gab es aber ein Ver­ständ­nis­pro­blem: Was mein­ten die mit die­sem „Haus­halt“? Für mich war das bis dahin ein Begriff, mit dem ich Staub sau­gen, Wäsche waschen und Essen kochen ver­band. Halt „die Ord­nung im Haus zu halten“.

Aber der Begriff ist schon pas­send, denn der „Haus­halt“ eines Lan­des oder einer Kom­mu­ne funk­tio­niert eigent­lich nicht viel anders. Auch wir wol­len „Ord­nung hal­ten“, Ein­nah­men gene­rie­ren, Aus­ga­ben pro­du­zie­ren und den Unter­schied zwi­schen bei­den im Griff behalten.

Nun soll die­ser Griff in den nächs­ten Jah­ren aber gewollt spür­bar locke­rer wer­den. Die Ver­wal­tung hat Plä­ne für ein „Inves­ti­ti­ons­pro­gramm“ von immer­hin 500 Mio. EUR prä­sen­tiert und des­sen ers­te Aus­wir­kun­gen fin­den sich auch im Haus­halt 2016. „Kre­dit­fi­nan­ziert“ wird das ein wenig nebu­lös genannt. „Wir neh­men neue Schul­den auf, die mit­samt Zin­sen spä­ter zurück­ge­zahlt wer­den müs­sen.“ So könn­te man das deut­li­cher sagen.

Nun gibt es Wirt­schafts­theo­rien, die ein sol­ches Vor­ge­hen durch­aus emp­feh­len. Und die Zin­sen, der Stadt­käm­me­rer hat das immer wie­der betont, sei­en his­to­risch nied­rig. Nichts­des­to­trotz bedeu­tet die Auf­nah­me neu­er Schul­den eine Bür­de für nach­fol­gen­de Gene­ra­tio­nen, die sehr gut abge­wo­gen sein will. Vor allem, mei­ne Damen und Her­ren, soll­te das, was mit die­sem Geld gemacht wird, mög­lichst weni­ge Risi­ken bergen.

2003 wur­de das Lon­do­ner U‑Bahnnetz „teil­pri­va­ti­siert“. Mit die­ser „öffent­lich-pri­va­ten Part­ner­schaft“, „public pri­va­te part­ner­ship“ oder kurz und kna­ckig „PPP“ soll­ten pri­va­te Unter­neh­men über Jahr­zehn­te in die U‑Bahn inves­tie­ren und sie betrei­ben und so die öffent­li­che Hand finan­zi­ell „ent­las­ten“. Fünf Jah­re spä­ter waren die pri­va­ten Part­ner plei­te und die öffent­li­che Hand muss­te mit vie­len Mil­lio­nen ein­sprin­gen. Ins­ge­samt hat die Abwick­lung die­ses Desas­ters über 5,5 Mrd. Pfund an öffent­li­chen Gel­dern gekos­tet – davon hät­te man das Netz auch ein­fach etwa zehn Jah­re lang betrei­ben kön­nen – ganz ohne die pri­va­ten Plei­tiers. So ist das Geld heu­te weg.

Aber wir müs­sen gar nicht so weit in die Fer­ne schau­en. Erset­zen Sie „2003“ durch „2006“ und „U‑Bahn“ durch „Mis­bur­ger Bad“ – und schon kön­nen Sie genau so eine Geschich­te auch aus unse­rer schö­nen Lan­des­haupt­stadt erzäh­len. Bloß dass der pri­va­te Betrei­ber heu­te nicht nur plei­te ist. Bloß dass nicht nur – wie so häu­fig bei PPP-Pro­jek­ten – die Erhal­tungs­in­ves­ti­tio­nen nicht im nöti­gen Maße vor­ge­nom­men wur­den. Nein, die öffent­li­che Hand wird hier noch Jah­re lang sanie­ren oder sogar neu bau­en müs­sen, weil das pri­vat betrie­be­ne Bad nur noch eine Rui­ne ist. Und auch hier kom­men zu den Repa­ra­tur- oder Neu­bau­kos­ten noch Zah­lungs­ver­pflich­tun­gen über vie­le Jah­re, die die Stadt zuguns­ten des pri­va­ten Betrei­bers ein­ge­gan­gen ist, den es schon längst nicht mehr gibt. Herr Förs­te hat das vor­hin schon schön zusam­men­ge­fasst. Wie lan­ge hät­te man das Mis­bur­ger Bad für die­ses Geld ein­fach betrei­ben kön­nen? Wie­vie­le ande­re Bäder könn­te man dafür sanieren?

Mei­ne Damen und Her­ren, der­ar­ti­ge „PPP“-Projekte sind ein grund­sätz­li­cher Feh­ler. Die Risi­ken für die öffent­li­che Hand sind unkal­ku­lier­bar. Wenn wir also tat­säch­lich – wie vor­ge­se­hen – 500 Mio. EUR auf Pump inves­tie­ren wol­len, dann bit­te nicht auf die­se Wei­se! Öffent­li­ches Geld muss öffent­lich kon­trol­liert bleiben.

Aber nicht nur aus der Ver­wal­tung kom­men Ideen zum Geld­aus­ge­ben. Sei­tens der Mehr­heits­ko­ali­ti­on gibt es Anträ­ge zur „För­de­rung des Rad­ver­kehrs“. Das klingt erst­mal toll, aber bit­te, schau­en Sie doch mal auf die Gesamt­si­tua­ti­on. In Han­no­ver wird der Fahr­rad­ver­kehr in immer stär­ke­rem Maße von über­flüs­si­gen und unsin­ni­gen Rege­lun­gen und Weg­füh­run­gen erdrückt. Ver­kehrs­raum für den Rad­ver­kehr wird zurück­ge­baut. Statt­des­sen wer­den schön­fär­be­risch „Schutz­strei­fen“ genann­te Gefah­ren­zo­nen ein­ge­rich­tet. Und dafür jetzt noch­mal über eine Mil­li­on Euro? Als Rad­fah­rer wird mir Angst und Bange.

Mei­ne Damen und Her­ren, eine von den poli­ti­schen Gre­mi­en in die­ser Stadt beglei­te­te stadt­wei­te Netz­pla­nung für den Rad­ver­kehr fin­det nicht statt. Das ist aber das, was gro­ße Fahr­rad­städ­te wie Ams­ter­dam oder Kopen­ha­gen aus­zeich­net – so hieß es auch auf der Bike-Con­fe­rence, auf die die Grü­nen so stolz sind. Und in Han­no­ver? Das Fahr­rad­ver­kehrs­kon­zept für die nächs­ten 10 Jah­re wird von der Ver­wal­tung auf Ebe­ne der Bezirks­rä­te durch die poli­ti­schen Gre­mi­en gedrückt. Stadt­weit rele­van­te Fra­gen wer­den unter dem Radar gehal­ten. Dabei wären die­se drin­gend zu dis­ku­tie­ren: Wie ist die Durch­gän­gig­keit der Rad­ver­kehrs­füh­rung? Wie lässt sich der Rad­ver­kehr sach­ge­recht über Kno­ten­punk­te füh­ren? Wo gibt es Poten­ti­al für ech­te, stadt­wei­te, Magis­tra­len des Rad­ver­kehrs? Und dar­aus wären dann ziel­ge­rich­tet Inves­ti­tio­nen abzuleiten.

Vor die­sem Hin­ter­grund, mei­ne lie­ben Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen von der SPD und von den Grü­nen, reicht es eben nicht, Euros für ein paar Weg­sa­nie­run­gen locker zu machen. Zumin­dest nicht, wenn Sie die Aus­sa­gen im Mas­ter­plan Mobi­li­tät oder im Leit­bild Rad­ver­kehr ernst näh­men. Hier klaf­fen Anspruch und Wirk­lich­keit ekla­tant aus­ein­an­der und wenn sich dar­an nichts ändert, lau­fen wir Gefahr, dass der Rad­ver­kehrs­an­teil in Han­no­ver sta­gniert oder sogar abnimmt, weil das kon­zep­tio­nel­le und bau­li­che Flick­werk der han­no­ver­schen Rad­ver­kehrs­pla­nung kei­nen nach­hal­ti­gen Impuls zur Nut­zung bietet.

Und nun zu etwas völ­lig anderem.

Das höchst­wahr­schein­lich wich­tigs­te gesell­schaft­li­che The­ma unse­rer Zeit sind die momen­tan in unse­rem Land als Flücht­lin­ge ein­tref­fen­den Men­schen. Es ist für mich ein sehr ermu­ti­gen­des Zei­chen, dass Stadt­ge­sell­schaft, Poli­tik und Ver­wal­tung bei der Unter­brin­gung und Betreu­ung die­ser Men­schen an einem Strang zie­hen. Die finan­zi­el­len Aus­wir­kun­gen sind uns allen sehr wohl bekannt: Wir hat­ten in die­sem Jahr einen Nach­trags­haus­halt von 65 Mio. EUR und erheb­li­che Aus­ga­ben im uns vor­lie­gen­den Ent­wurf für 2016 für genau die­se Aufgaben.

Mei­ne Damen und Her­ren, ich hal­te jeden Euro, der auf die­se Wei­se aus­ge­ge­ben wird, für aus­ge­spro­chen gut inves­tier­tes Geld. Ich habe mich bereits sehr früh in die­ser Sache geäu­ßert: Ich sehe die in die­ses Land kom­men­den Men­schen als eine groß­ar­ti­ge Chan­ce für die Gesell­schaft – für uns alle. In der öffent­li­chen Dis­kus­si­on wird momen­tan der Fokus viel zu sehr auf ver­meint­li­che Risi­ken gelegt; auf vor­geb­li­che „Ängs­te in der Bevöl­ke­rung“, auf angeb­li­che Gefah­ren. Mei­ne Damen und Her­ren, ich hal­te das für äußerst pro­ble­ma­tisch. Denn damit wird völ­lig ver­deckt, dass jeder ein­zel­ne von uns einen enor­men Nut­zen aus der aktu­el­len Situa­ti­on zie­hen kann. Wir ver­ste­hen uns als eine frei­heit­li­che Bür­ger­ge­sell­schaft. Die­se muss offen blei­ben für neue Ein­drü­cke und für gesell­schaft­li­che Ver­än­de­run­gen. Mei­ne Damen und Her­ren, es war wohl nie ein­fa­cher, unmit­tel­ba­re Ein­drü­cke aus Regio­nen in der Welt zu bekom­men, die wohl nur die aller­we­nigs­ten von uns mit eige­nen Augen sehen wer­den. Reden wir ein­fach mit den Men­schen, die von dort hier­her gekom­men sind. Mit­ein­an­der reden ist übri­gens auch der bes­te Weg, Vor­ur­tei­le loszuwerden.

Mei­ne Damen und Her­ren, die Initia­ti­ven zur Flücht­lings­hil­fe sind eine der größ­ten zivil­ge­sell­schaft­li­chen Bewe­gun­gen der Bun­des­re­pu­blik. Nach allem was ich weiß, funk­tio­niert die Zusam­men­ar­beit die­ser Frei­wil­li­gen und der offi­zi­el­len Stel­len hier in Han­no­ver gut und ich den­ke, das muss unbe­dingt so blei­ben. Wir soll­ten hier den ein­ge­schla­ge­nen Weg fort­set­zen und ich hof­fe, dass ich die Mei­nung der ganz gro­ßen Mehr­heit hier im Saal ausspreche.

Ich bin nun seit etwas über vier Jah­ren Abge­ord­ne­ter hier im Rat der Stadt Han­no­ver. Die poli­ti­sche Bewe­gung, für die ich hier ste­he, hat – vor­sich­tig for­mu­liert – mit erheb­li­chen Pro­ble­men zu kämp­fen. Aus­druck des­sen ist, dass ich seit zwei Jah­ren ohne den Rück­halt einer Frak­ti­on oder haupt­amt­li­cher Mit­ar­bei­ter aus­kom­men muss. Ich habe mitt­ler­wei­le auch sehr mas­si­ve Zwei­fel dar­an, dass das Poli­tik­mo­dell die­ser Pira­ten­par­tei jemals wie­der funk­tio­nie­ren kann oder dass es – rück­bli­ckend betrach­tet – jemals nach­hal­tig funk­tio­niert hat. Dar­aus sind zu geei­ge­ne­tem Zeit­punkt Schlüs­se zu zie­hen und das wer­de ich tun.

Das ändert aber nichts dar­an, mei­ne Damen und Her­ren, dass ich als ein zutiefst libe­ral und frei­heit­lich-bür­ger­lich den­ken­der Mensch mei­ne Grund­ein­stel­lun­gen in der Poli­tik ver­tre­ten wis­sen will. Momen­tan sieht es damit in der poli­ti­schen Tages­dis­kus­si­on eher schlecht aus, da wird nach „Sicher­heit“ geru­fen, da wird „Über­wa­chung“ gefor­dert, da wer­den grund­le­gen­de Frei­heits­rech­te in Fra­ge gestellt – und mei­ne Befürch­tung ist, dass das noch eine Wei­le so wei­ter geht. Frei­heit, mei­ne Damen und Her­ren, ist anstren­gend, sie for­dert von jedem Ein­zel­nen Enga­ge­ment und Sor­ge, min­des­tens für sich selbst, aber auch für die Gesell­schaft ins­ge­samt. Es erscheint man­chem erleich­ternd, ein wenig die­ser Sor­ge abzu­ge­ben – aber das bedeu­tet immer auch, dass ein Stück per­sön­li­cher Frei­heit ver­schwin­det. Und lei­der mer­ken vie­le erst, dass sie sich in ein Gefäng­nis ein­ge­mau­ert haben, wenn die letz­te Wand geschlos­sen wur­de. Las­sen Sie uns hier sehr wach­sam bleiben

Ich dan­ke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

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