In Niedersachsen sind die Piraten gerade schwer im Wahlkampf. Am 11. September sind Kommunalwahlen. Und am 3. September werden wir in Hannover ein großes Piratenfest mit Spiel, Spaß und Politik veranstalten.
In Berlin sind die Piraten gerade schwer im Wahlkampf. Am 18. September sind Abgeordnetenhauswahlen. Und am 18. August gab es eine große Wahlauftaktveranstaltung mit Politik und Party.
„Das ist die Gelegenheit für ein bisschen Know-How-Transfer”, habe ich mir gedacht und bin dann mal nach Berlin gefahren. Wäre mal spannend zu sehen, wie die Berliner so ticken. Sind bundesweit unter den Piraten ja als ein wenig „special” bekannt.
Die Auftaktveranstaltung ist für mich extrem verkehrsgünstig gelegen, nämlich in unmittelbarer Nähe des Ostbahnhofes neben der „Maria am Ostbahnhof” im Club „Chez Jacki” direkt an der Spree. Das Ambiente ist – nunja – rustikal: Eine ehemalige Industrieanlage mit verrammelten Fenstern, viel nacktem Beton, einer Bar und einer rötlichen Lichtinstallation unter der Decke.
Um 18 Uhr ist Start angesagt. Als ich um 19 Uhr ankomme, geht’s dann auch los. Zu Beginn der Veranstaltung gibt es eine Begrüßung von Christopher Lauer, die ein wenig länger ausfällt, weil der erste Redner, Landesvorsitzender Gerhard Anger, noch in einem Interview festhängt. Dann geht’s mit seinem Vortrag „Warum machen wir den Scheiß eigentlich?” los. Wie bei allen Vorträge haben sich die Berliner Piraten für das „Pecha Kucha”-Vortragsformat entschieden. Das legt die Folienzahl pro Vortrag etwas willkürlich auf maximal 20 fest, die jeweils 20 Sekunden lang gezeigt werden. Damit dauert ein Vortrag maximal sechseinhalb Minuten, was zu einer gewissen Prägnanz führt, vom Vortragenden allerdings gutes Timing verlangt. Im Großen und Ganzen klappt das auch gut, auf jeden Fall begrenzt es die Gesamtzeit für die fünf Vorträge auf eine gute halbe Stunde, was den etwa 100 anwesenden Zuhörern in dem stickigen und heißen Saal gerade noch zuzumuten ist.
Nach Gerhard redet Heide Hagen über die Suchtpolitik der Piraten, die als Kernpunkt eine größtmögliche Legalisierung von Rauschmittelkonsum hat und dies mit Aufklärung und Prävention begleiten möchte. Simon Weiß referiert über „Demokratie 2.0” und die Vorteile, die Tools wie „Liquid Feedback” für die permanente politische Einflussnahme des einzelnen Bürgers auf die demokratischen Entscheidungsprozesse haben. Julia Schramm stellt die Positionen der Piraten zur Stadtentwicklung vor, die sich gegen Gentrifizierung wendet und Infrastruktur in kommunaler Hand sehen will. Zum Abschluss beschreibt Christopher Lauer das „ReSET”, die Idee eines „Rechtes auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe” – nicht ohne dabei einen Seitenhieb gegen Helmut Schmidt zu setzen: Dessen launiger Spruch „Wer Visionen hat, der soll zum Arzt gehen” habe, so Lauer, „viel kaputt gemacht”. Visionär ist der gesellschaftspolitische Ansatz der Piraten an dieser Stelle sicherlich, geht das ReSET doch sehr stark in die Richtung der Ideen von einem „bedingungslosen Grundeinkommen”, in dessen Nähe auch schon die Beschlüsse zu einer „Grundsicherung” vom Chemitzer Parteitag 2010 liegen.
Nach den Reden, die alle mit viel Applaus bedacht werden, kommt es noch zur Premiere des Wahlwerbespots. Und das gleich zweimal: Offensichtlich konnte sich das Team nicht über die richtige Art der Musikuntermalung einig werden und hat deshalb zwei Spots mit jeweils unterschiedlichem Hintergrundtrack erstellt. Über die stimmt nun das Publikum ab – und entscheidet sich sehr eindeutig für die Version mit der ruhigeren Hintergrundmusik. Der Spot selbst ist höchst gelungen und zeigt nochmals zentrale Aspekte der politischen Forderungen der Berliner Piraten in eingängigen Bildern.
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Nach diesem „offiziellen Teil” beginnt das, was für mich mit der wichtigste Grund war, nach Berlin zu fahren: Andere Piraten treffen und gegenseitiger Austausch. Ich kann mich an diesem Abend mit diversen Piraten aus Berlin und aus dem Rest von Deutschland unterhalten und merke mal wieder: So im direkten Gespräch sind die eigentlich alle total nett und umgänglich. Die Stimmung wird nochmal besser, als sich am Abend eine dpa-Meldung verbreitet, der zu Folge die Piraten in den Umfragen jetzt bei 4,5% Wählerstimmen liegen und damit mit einem Fuß in der Nähe der Schwelle zum Abgeordnetenhaus stehen.
Als ich mich um halb ein Uhr nachts verabschiede, ist die Feier immer noch in vollem Gange. Mit bleibt die Erkenntnis: Pecha-Kucha-Vorträge sind cool, die Piraten Berlin sind auch cool, aber unser Küchengartenplatz wird eine wesentlich freundlicheres Ambiente bieten als diese Gruft am Spreeufer. Aber das gehört wohl auch irgendwie zu Berlin.
Ich habe übrigens auch an der Wahllos-Aktion der Berliner Piraten teilgenommen: 999 Lose mit allen Prozentzahlen von 0,1% bis 100% werden unters Volk gebracht. Gewonnen hat, wessen Los das Wahlergebnis am 18. September enthält. Ich bin mir sehr sicher, dass ich nicht gewinnen werde, freue mich aber dennoch über mein „Losglück”…
Hi,
darf ich das zweite Bild von oben auf meinem Facebook-Profil verwenden?
LG Emilio
Hallo Dirk
Vielen Dank für den schönen Artikel. Zwei Fehler haben sich aber eingeschlichen.
1. Gerhard Anger ist Vorsitzender des Landesverbandes Berlin und nicht Spitzenkandidat.
2. Der von Heide Hagen vorgetragene Programmteil heißt „Suchtpolitik”. Das ist wichtig, da – wie sie in ihrem Vortrag auch anwies – es eben nicht um Rauschmittel sondern viel mehr, nähmlich Süchte im Allgemeinen ‚geht.
Schön das du da warst und berichten konntest.
orangene Grüße
Hi, Danke. Des Landesvorsitzende ist schon korrigiert. Bei der Suchtpolitik hatte ich nur noch im Kopf, dass der unerwünschte Begriff „Drogenpolitik” war. Ich hatte ja gestern abend keine Notizen gemacht und musste jetzt alles aus dem Kopf zusammenschreiben.