So, nun ist die Bundestagswahl vorbei. „Endlich,” werden viele sagen. Zugegeben: Ich auch. Die letzten Wochen waren anstrengend. Und die letzte Woche war dann auch noch mental aufreibend. Als Spitzenkandidat in Niedersachsen murmelte da häufiger mal diese leise Stimme im Hinterkopf: „Dirk, wenn das wider Erwarten doch über 5% geht für die Piratenpartei, dann sitzt du im Bundestag. Ahnst du eigentlich, was sich dann alles ändert?”
Nun, zumindest dieses Problem habe ich auf absehbare Zeit nicht. Wie von den Meinungsforschern – und auch von einigen von mir hochgeschätzten Menschen in meinem persönlichen Umfeld – vorhergesagt, haben wir die 5% nicht geschafft. 2% sind es geworden, und das ist bemerkenswert genug:
- Die Piratenpartei setzt ihre Achtungserfolge mit steigender Tendenz fort, wir haben das Ergebnise der sächsischen Landtagswahl halten und sogar leicht zulegen können.
- Bundesweit sind die Piraten die größte Partei, die nicht im Bundestag vertreten ist.
- In absoluten Zahlen haben fast 800.000 Menschen in Deutschland der Piratenpartei ihre Stimme gegeben.
- Durch Überspringen der 1%-Hürde sind wir auch auf Basis der Bundestagswahl in der Parteienfinanzierung.
Ich weiß, dass viele, insbesondere viele Piraten, mit einem besseren Ergebnis gerechnet hatten. Bei unserer Stammtischwette am Freitag haben wohl fast alle auf ein 5%-plus-x-Ergebnis gesetzt, ich übrigens auch (aber mal ehrlich: Ein Spitzenkandidat, der nicht auf den Einzug in den Bundestag setzt, ist ja irgendwie unglaubwürdig…). Das ist es nun nicht geworden, aber ich denke, wir haben keinen Grund, darüber traurig zu sein. Im Gegenteil hat die Piratenpartei bereits jetzt verdammt viel bewirkt:
- Ohne uns hätten im Wahlkampf die Internet- und Bürgerrechtsthemen erneut keine Rolle gespielt.
- Wir haben Menschen in die Politik gebracht, die dies vorher aus Frust über die übrigen Parteien abgelehnt hatten.
- Wir haben einen sehr engagierten, an Inhalten orientierten Wahlkampf geführt.
- Wir hatten bei unserer ganzen politischen Arbeit jede Menge Spaß – und konnten diesen auch nach außen vermitteln.
Ich bin mir sehr sicher, dass die FDP nicht so viele Stimmen bekommen hätte, wären wir nicht da gewesen und hätten einige der Themen wesentlich besser beackert, für die die FDP sich traditionell zuständig fühlt, insbesondere im Bereich Datenschutz und Bürgerrechte. Vielleicht gibt es seitens der allwissenden Wahlforscher ja mal eine Aufschlüsselung, welcher Anteil von FDP-Wählern sich eigentlich eher bei den Piraten heimisch gefühlt hat, aus irgendwelchen Gründen dann aber lieber doch FDP gewählt hat. Ich denke, das sind so einige.
Überhaupt, das Wahlergebnis außerhalb des Piratenergebnisses. Ja, da gibt es auch spannende Dinge. Zum Beispiel, dass FDP, Linke und Grüne alle zweistellige Prozentzahlen und zusammen deutlich mehr als 1/3 der Wählerstimmen bekommen haben. Das zweite Drittel geht an die CDU und den Rest teilen sich SPD und „die Anderen”. Zwar nicht zu gleichen Teilen, aber ich kann mich nicht erinnern, bei einer Bundestagswahl jemals von 11,3 Prozentpunkten Verlust für eine einzelne Partei gehört zu haben. Mit gerade noch etwas mehr als 1/5 der Wählerstimmen ist die SPD massiv beschnitten worden und ist von der Größe jetzt näher an der FDP als an der CDU. Das finde ich äußerst bemerkenswert.
Wir werden nun wohl also eine CDU-CSU-FDP-Regierung bekommen. Zuletzt hatten wir das, die älteren werden sich erinnern, 1998, in dem Jahr, als Gerhard Schröder Kanzler wurde. Aber diese Koalition wird anders sein als die damalige, das sieht man schon daran, dass die FDP stärker als die CSU ist, die in Bayern nunmehr nur noch 41% der Wählerstimmen bekommen hat. Das Ende der Ära der allgegenwärtigen CSU in Bayern geht weiter und man darf gespannt sein, wann für sie die 5%-Hürde bei bundesweiten Wahlen erstmals Thema wird.
Diesmal war es noch nicht so weit. Trotzdem ist diese „Mitte-Rechts”-Koalition meines Erachtens ein gutes Ergebnis. Das selbstherrliche, bürger- und faktenferne Rumwurschteln der großen Koalition gehört damit – hoffentlich – der Vergangenheit an. Und anders als die SPD hat die FDP sich im Wahlkampf ja durchaus zu Bürger‑, Freiheits- und Grundrechten bekannt. Es besteht also wenigestens ein bisschen Hoffnung, dass das verfassungsfeindliche Treiben eines Wolfgang Schäuble oder einer Ursula von der Leyen keine Fortsetzung finden kann. Brigitte Zypries wird sich nun auch ein neues Betätigungsfeld suchen müssen, noch eine gute Nachricht an diesem Abend. Immerhin war diese Softwarepatentagitatorin mir noch aus meiner politisch aktiven Vor-Piraten-Zeit in schlechter Erinnerung und ist eine der dienstältesten Ministerinnen in Deutschland überhaupt gewesen – sie hat soger den Regierungswechsel von 2005 überstanden…
Und wenn die FDP das mit den Bürgerrechten wieder vergisst, so wie aktuell in Sachsen, wo sie irgendwelchen Trojanerwanzen auf PCs zur Telefonüberwachung zustimmen will, dann werden wir sie an dieses Thema erinnern. Und zwar sehr deutlich. Was mich wieder zu den Piraten zurückbringt.
Hier in Hannover haben wir eine richtig schöne Wahlparty veranstaltet. So 70 – 80 Leute werden wohl da gewesen sein, das Zwischenzeit hat mit großem Engagement das Schmücken der Räume unterstützt und mit einer gelungenen Karte für das leibliche Wohl aller Anwesenden gesorgt. Mit einem Fernseher und zwei Computern mit Beamern und Internetanschluss waren wir zudem immer am Puls der eintrudelnden Wahlergebnisse, und nachdem wir die Seiten mit den Wahlergebnissen für Stadt und Umland von Hannover gefunden hatten, gab es auf Zuruf auch stets einen Blick auf den aktuellen Stand der Dinge.
In Hannover-Stadt haben die Piraten übrigens überdurchschnittliche 2,8% erreicht, dabei in Linden 5,2% und in der Nordstadt sogar 6,5%. Im Umland sind wir mit 1,9% genau im Schnitt. Und, mir persönlich eines der wichtigsten Resultate: Ursula von der Leyen hat ihr Direktmandat nicht bekommen, Hannover-Süd ging an die SPD. Insgesamt war die Stimmung so den ganzen Abend gut und der Grundgedanke, dass wir auf einem guten Weg sind und engagiert und mit Spaß Politik machen wollen. „Dieses Mal waren wir die größte der kleinen Parteien, nächstes Mal sind wir mindestens die kleinste der großen!”
Genau dieser Blick in die Zukunft beherrschte die Diskussion am späteren Abend. Das heutige Wahlergebnis ist kein Grund zur Trauer, wir haben es alle gemeinsam vielmehr als Ansporn für die Zukunft gesehen. Für Niedersachsen heißt diese Zukunft zunächst mal „Parteitag”, und der findet Ende November statt. Bis dahin wollen wir die Diskussion um die zukünftige Struktur unterhalb des Landesverbandes entscheidend voranbringen, damit endlich auch die organisatorische Basis dem fulminanten Mitgliederzuwachs folgt. Mir persönlich ist es zudem sehr wichtig, dass wir relativ zügig kleine hauptamtliche Strukturen für die grundlegensten administrativen Aufgaben wie Mitgliederverwaltung, Aktivenkoordination, Materialorganisation und Finanzverwaltung aufbauen.
Fazit: Sicherlich, so ganz tief drin hätte ich mir natürlich ein besseres Ergebnis und die 5% gewünscht – trotz der gewaltigen Auswirkungen, die das auf mich persönlich und mein engeres Umfeld gehabt hätte. Aber bleiben wir realistisch: Die Piraten sind immer noch ganz am Anfang und haben einen Großteil der Bevölkerung noch gar nicht erreicht. Das muss sich ändern, und genau dafür haben wir mit dem heutigen Ergebnis beste Voraussetzungen geschaffen. Wenn ich jetzt gleich den wohlverdienten Schlaf suche (wie häufig ist dieser Artikel bereits vorgeschrieben und wird dann erst später automatisch veröffentlicht), werde ich wohl das erste Mal seit zwei Wochen wieder ganz ruhig einschlafen. Und ab morgen geht’s dann in die Zukunft der Piratenpartei. Dann heißt es wieder: Mit vielen engagierten, motivierten und unglaublich netten Menschen zusammen Politik gestalten.
Ich freu mich drauf.
Das mit von der Leyen freut mich besonders. Als in BW lebender Niedersachse schämte man sich ja schon zu sagen, wo man herkommt 😉 Jetzt müssen wir als Piraten auch bei der Generation 50 + an die Arbeit gehen. Die Jugendlichen zu erreichen ist gut, aber bei der Gen 50+ liegt ein großes Potential und man muss der Desinformation a la Leyen etwas entgegensetzen. Ich habe im Wahlkampf z.B. mit einem 67jährigen gesprochen, der sich sehr offen und interessiert für die Ziele und Inhalte der Piraten gezeigt hat. Wenn wir der älteren Generation mit Freundlichkeit und Bereitschaft zum Zuhören/Eingehen auf Ihre Fragen/Vorbehalte begegnen, lassen sich auch da sicherlich noch viele Piraten gewinnen. Auch die Tatsache, dass die Piraten die Netzthemen und das bedingungslose Grundeinkommen/Grundrente teilweise schon verbunden haben, hat mir gerade bei älteren Interessenten im Gespräch „Türen geöffnet”. An diesen Themen müssen wir weiterarbeiten. Dann klappts auch in 4 Jahren mit dem Entern des BT!
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Sich zu fragen welcher Anteil von FDP-??Wählern sich eigentlich eher bei den Piraten heimisch gefühlt hätte, aus irgendwelchen Gründen dann aber lieber doch FDP gewählt hat ist leicht vermessen. Realistischer wäre folgendes:
Welcher Anteil von FDP-??Wählern sympathisiert zwar prinzipiell mit den Zielen der Piraten, will aber sein Kreuz nur bei einer Partei machen die auch Konzepte in Wirtschafts‑, Aussen- und Bildungspolitik hat? Das dürften einige sein.
Kleine Nachbesserung:
Gemäß Bundeswahlleiter ( http://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_09/ergebnisse/bundesergebnisse/ ) haben die Piraten sogar 845.000 Zweitstimmen bekommen, und nochmal knapp 50.000 Erststimmen (Ich weiss, werden nur bei der Bayrischen Landtagswahl zusammengezaehlt).
Das sind schon eine ganze Menge Piraten, auch wenn 5% wirklich epic gewesen wären…
Ansonsten, gute Arbeit!
Eine ordentlich gestärkte CDU mit einer umfallerprobten FDP (siehe Bayern):
Warum die Zeit der Piraten angebrochen ist…
http://cymaphore.net/journal/entry/29/200909280909/Tag_Null
Wir werden nicht weichen!
Pingback: Piratenpartei-News (piratennews) 's status on Monday, 28-Sep-09 07:44:03 UTC - Identi.ca
Sehe ich genauso – 4 Jahre gehen so schnell vorbei!
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Für die Parteienfinanzierung hätten wir sogar nur 0,5% benötigt. http://www.bundestag.de/bundestag/aufgaben/weitereaufgaben/parteienfinanzierung/staatl_partei_finanz.pdf
Zitat:
„Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung haben gemäß § 18 Abs. 4 PartG grundsätzlich diejenigen Parteien, die nach dem endgültigen Wahlergebnis der jeweils letzten Europaoder Bundestagswahl mindestens 0,5 % oder bei einer der jeweils letzten Landtagswahlen 1 % der abgegebenen gültigen Stimmen für ihre Listen erreicht haben.”