Neben dem Gaschke-Artikel war in der gestrigen Zeit ein zweiter Artikel auf Seite 2, der unmittelbar mit den Piraten zu tun hat: Heinrich Wefing macht sich Gedanken über das ZensurZugangserschwernisgesetz. Untertitel: „Die Kritiker der Internetsperren wissen nicht, wovon sie sprechen”. Ich würde ergänzen: „Heinrich Wefing erst recht nicht.”
Der Gedankengang des Artikels ist kurz und bekannt: „Das Netz” sieht das Vorhaben der Internetsperren als Zensur und verhöhnt die arme Familienministerin. Was die Nichtmerker übersehen: Es geht natürlich gar nicht um Zensur, jedenfalls nicht um „echte”. Recht weitschweifig erläutert der Autor das Zensurverbot des Grundgesetzes und dass hier nur die „Vorzensur” gemeint ist, also eine Zensur vor Veröffentlichung. Da die besagten Webseiten ja nun aber mal veröffentlicht sind, kann so eine Sperre ja gar keine Zensur sein. Oder um es mit dem Artikel zu sagen:
Hier „Zensur” zu schreien ist entweder Ahnungslosigkeit. Oder Polemik. Auf das grundgesetzliche Verbot der Zensur jedenfalls kann sich nicht berufen, wer gegen die Internetsperren kämpft.
Nun, Herr Wefing, „Zensur” ist ja nun auch bei weitem nicht der einzige Einwurf der Gesetzesgegner. „Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien”, „Aufhebung der Gewaltenteilung” und „Intransparenz” wären so weitere unwesentliche – ich sag’ mal – „Schwächen” des Machwerks, das Innen- und Wirtschaftsministerium ausgeheckt haben und für das Frau von der Leyen nun ihr eher farbloses Köpfchen hinhält. Zu diesen Themen findet man auch so die eine oder andere Einlassung im Grundgesetz. Aber vielleicht fällt Ihnen da ja auch eine Begründung ein, warum das ausgerechnet in diesem Fall nicht gilt.
Wie schon beim Gaschke-Artikel ist der letzte Absatz der entscheidende:
Es gehört zum ideologischen Glutkern der Debatte um die Kinderporno-Sperren, dass deren Kritker den kategorialen Unterschied zwischen einem offenen System wie dem der Bundesrepublik und einer Diktatur wie in China oder Iran partout nicht zur Kenntnis nehmen wollen.
Yie-Ha. Es gehört zum ideologischen Glutkern der Sperrenbefürworter, dass sie nicht sehen, dass der „kategoriale Unterschied” zwischen Deutschland und Ländern wie China oder Iran keine unveränderliche Tatsache ist, sondern aus der gelebten Wirklichkeit des Staats- und Gemeinwesens herrührt. Wenn wir in Deutschland dasselbe machen wie die Iraner im Iran, dann ist es Essig mit irgendwelchen „kategorialen Unterschieden”. Dieser gesamte „kategoriale Unterschied” ist argumentativ letztlich nur „kapitaler Unsinn”.
Abgesehen davon ist es einigermaßen mutig, Iran ohne mit der Wimper zu zucken als „Diktatur” zu bezeichnen. Aber in das Thema will ich jetzt gar nicht einsteigen…
Die Sperrung von Internetseiten, die verbotene Kinderpornografie verbreiten, haben frei gewählte Abgeordnete eines freien Parlamentes beschlossen.
Ja, dieselben frei gewählten Abgeordneten in demselben frei gewählten Parlament, die gerade vom Verfassungsgericht zurückgepfiffen wurden, weil sie im Rahmen des Lissabonvertrages leichtfertig die demokratische Grundlage Deutschlands auf Spiel gesetzt haben. Dieselben frei gewählten Abgeordneten, die die verdachtsunabhängige Totalüberwachung der Bevölkerung durch die „Vorratsdatenspeicherung” beschlossen haben. Und ganz ähnliche frei gewählte Abgeordnete eines ganz ähnlichen frei gewählten Parlamentes, wie es 1933 das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich” verabschiedet hat.
Was für ein Argument, Herr Wefing!
Und unabhängige Gerichte werden die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes innerhalb kurzer Zeit überprüfen.
Es ist wohl nicht zu viel verlangt, dass ein dem Grundgesetz verpflichtetes Parlament sich vor Verabschiedung eines Gesetzes über dessen Verfassungsmäßigkeit Gedanken macht.
Alles in allem taugt der Artikel eigentlich nur als gute Zusammenfassung der häufigsten Plattitüden zum Schönreden eines Gesetzes, das den Einstieg in den Ausstieg aus Meinungs- und Redefreiheit in Deutschland bedeutet. Tolle Leistung!
Der 1933-Vergleich ist albern und plump. Das Parlament war damals *nicht* frei – die KPD-Abgeordneten saßen bereits im KZ, die anderen waren entsprechend eingeschüchtert: http://de.wikipedia.org/wiki/Ermächtigungsgesetz#Abstimmung
Im Übrigen: in solchen Diskussionen lieber an Mike Godwin denken als an Adolf Hitler. 😉
Ich fand es ganz passend, dass der „Zensur”-Artikel in der ZEIT direkt neben einem ähnlich nichtssagenden Artikel über die Piratenpartei zu finden war. Links werden belanglose bzw. schon fast falsche Oberflächlichkeiten über die Piraten ausgekippt; rechts darf man sich anhören, dass alle, die Angst vor einer Zensur haben … letztendlich ja eigentlich nur Deppen sind, weil sie zu dumm sind um das Rechtsverständnis des Herrn Wefing zu teilen.
Mit Verlaub – wenn schon die „beste” Zeitung Deutschlands es nicht mehr für notwendig erachtet, nach dem WARUM zu fragen (warum sind die ganzen jungen Männer in der Piratenpartei, warum stehen 99% der Netzgemeinde skeptisch bis ablehnend vor dem „Sperrgesetz”) … warum zum Teufel wundern die sich dann noch, wenn unsereins nur noch wütend den Kopf schüttelt? Ich versuche ja wirklich, diese Menschen zu verstehen; auch mal ihre Sicht einzunehmen; aber irgendwie scheitere ich schon daran, dass ich nie nie nie erkennen kann, dass „die” sich auch nur einen feuchten Kehrricht darum kümmern, was „wir” so denken – und warum wir für das Einstehen … wofür wir eben einstehen.
Und was her Wefing nicht klar zu sein scheint: Es steht im Grundgesetz nicht „Eine Vorzensur findet nicht statt.” sondern „Eine Zensur findet nicht statt.”
Das hiermit die Vorzensur gemeint ist, ist Definitionssache und es gibt durchaus Rechtswissenschaftler die als Zensur alle Maßnahmen definieren die in der Lage sind kulturelle Ausdrucksformen durch eine Aura der Angst zu behindern.
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In Anbetracht der letzten Tage bin ich mir nicht sicher ob es so schlau ist, hier die 1933-Analogie anzuführen. Per se zwar gültig, verlieren viele hier zu Lande bei gewissen Themen anscheinend einfach die Fähigkeit, klar zu denken.
Was haben wir zu dem? Politischer Architekturkritiker. Zensurbefürworter („Wider die Ideologen des Internets!”), und das nicht erst seit gestern, und fast schon idealistisch in seinem Staatsvertrauen. Auch interessant: Offener Unterstützer von Pro-Reli.
Insgesamt ein Charakter, der Gesetze lieber wörtlich interpretiert als ihren Sinn zu verfolgen. Mach dir nix draus, er kann wahrscheinlich nichts dafür.
Hierzu sag ich mal: selbst Schuld. Wenn man Zensur schreit, wo es eine Verletzung der Gewaltenteilung ist, dann muss man mit solchen Artikeln leben.