Oracle ist gerade dabei, Sun zu kaufen. Damit käme dann auch MySQL unter ihre Fittiche. Das würde zu der durchaus delikaten Situation führen, dass Oracle auch Besitzer des wohl größten Konkurrenten ihres eigenen Hauptproduktes – nämlich der Oracle-Datenbank – ist.
Michael „Monty” Widenius, einer der ursprünglichen MySQL-Entwickler, betrachtet die Situation in seinem Blog. Einer der entscheidenden Punkte sei, so schreibt er, dass Oracle damit insbesondere das Copyright für MySQL bekommt. Das gibt Oracle einen sehr weitreichenden Einfluss auf das Produkt, sodass trotz der Open-Source-Lizenz, unter der MySQL steht, Oracle die Einstellung von MySQL beschließen oder Teile von MySQL unter einer Closed-Source-Lizenz stellen könnte.
Auch die EU-Kommission hat gewisse Zweifel, ob der Kauf dem Produkt MySQL langfristig so gut tun würde und deshalb zu einer Anhörung geladen, auf deren Grundlage sie entscheiden will, ob sie die Firmenfusion genehmigt oder nicht. In diesem Zusammenhang berichtet Monty nun von einer Kampagne, in der größere Kunden von Oracle zu einem Telefonat eingeladen und dann – nunja – zugetextet werden, sodass sie eine Eingabe in dieses Verfahren machen, in dem sie die EU-Kommission zur Genehmigung des Kaufs auffordern. Eine Darstellung dieses Vorgangs hat mich mittlerweile auch von einer weiteren Seite erreicht – mitsamt dem Einladungsschreiben zu einem solchen Telefonat.
Monty ruft nun in seinem Blog die Open-Source-Gemeinde auf, sich ebenso bei der EU-Kommission zu Wort zu melden. Hier sein Aufruf in deutscher Übersetzung:
„Da wir wollen, dass die EU-Kommission ein korrektes Bild der Situation bekommt, möchten wir, dass ihr den oberen Teil des folgenden E‑Mailvorschlags ausfüllt und dann denjenigen der vorgeschlagenen Texte auswählt, der eurer Sicht am besten entspricht. Fühlt euch frei, eigenen Text oder weitere Informationen hinzuzufügen, wenn ihr denkt, dass dies der EU-Kommission zu verstehen hilft, wie MySQL genutzt wird.
Sendet dann die E‑Mail an: comp-merger-registry@ec.europa.eu
Wenn ihr die Zeit investieren könnt, füllt das folgende aus, wenn nicht, geht einfach zum Haupttext weiter [Anm.: Hm, Monty widerspricht sich hier irgendwie selbst. So wie ich’s verstehe, sind die Firmenangaben also nicht unbedingt nötig.]
Name:
Titel:
Firma:
Firmengröße:
Anzahl der MySQL-Installationen:
Gesamtmenge der in MySQL gespeicherten Daten (in Megabyte):
Art der Anwendungen, für die MySQL benutzt wird:
Soll die EU-Kommission diese E‑Mail vertraulich behandeln: Ja/Nein
Nehmt dann einen der folgenden Texte als Grundlage für eure Antwort:
a)
Ich traue Oracle nicht zu, dass sie sich gut um MySQL kümmern werden. MySQL sollte aus dem Kauf ausgegliedert und an eine andere Firma oder Vereinigung übertragen werden, die von der Weiterentwicklung und Verbreitung von MySQL uneingeschränkt profitiert. Auch in Zukunft sollte es möglich sein, MySQL mit Closed-Source-Anwendungen zu kombinieren, entweder als Ausnahmeregelung, durch eine freizügigere Lizenz oder über eine Duallizenzierung zu fairen Bedingungen.
b)
Ich denke, dass Oracle eine gute Umgebung für MySQL sein kann, aber die EU-Kommission muss dafür von Oracle rechtlich bindende Garantien einfordern, dass:
- MySQL insgesamt auch in Zukunft vollständig Open-Source-/Freie Software bleibt (keine Closed-Source-Module)
- Die Weiterentwicklung auf Community-freundliche Weise geschieht
- Die Anleitungen unter einer freizügigen Lizenz verfügbar sind, sodass von ihnen auf dieselbe Weise unabhängige Eigenentwicklungen abgespalten werden können wie dies auch für den Datenbankserver der Fall ist
- MySQL selbst unter einer freizügigeren Lizenz veröffentlicht werden sollte, sodass sichergestellt ist, dass unabhängige Entwicklungen MySQL als Basis für einen echten Oracle-Konkurrenten verwenden können, für den Fall, dass Oracle sich doch nicht als eine so gute Heimat für MySQL herausstellt.
Alternativ:
- Es muss immer möglich sein, preisgünstige kommerzielle MySQL-Lizenzen zu kaufen.
Es sollte auch einen Mechanismus geben, der sicherstellt, dass von MySQL abgespaltene Projekte mit Oracle konkurrieren können, wenn Oracle sich anders als erwartet verhält.
c)
Ich vertraue Oracle und schlage vor, dass die EU-Kommission dem Vertrag ohne Vorbehalte zustimmt.”
Diesem Aufruf von Monty schließe ich mich an! Nehmt entweder das englischsprachige Original oder die deutsche Übersetzung von oben und schickt den Brief als E‑Mail bis spätestens 2009-12-19 an die angegebene E‑Mailadresse. Auch wenn Monty es nicht explizit schreibt, so wird aus seinem Blogbeitrag recht deutlich, dass er die Zukunftsperspektiven für MySQL unter Oracles Fittichen eher kritisch sieht. Er fasst zusammen, wie Oracle sich bislang so geäußert hat:
Oracle hat (soweit ich weiß und jedenfalls definitiv nicht rechtlich bindend) nicht zugesagt, dass:
- MySQL (komplett) unter einer Open-Source-Lizenz bleibt
- sie keine Closed-Source-Teile, ‑Module oder notwendige Werkzeuge hinzufügen
- sie die MySQL-Lizenz- oder ‑Supportpreise nicht erhöhen
- regelmäßig neue MySQL-Version veröffentlicht werden
- sie die Doppellizenzierungsstrategie fortsetzen und auch weiterhin preislich attraktive kommerzielle MySQL-Lizenzen für diejenigen anbieten, die sie benötigen (Speicher- und Anwendungsentwickler) oder alternativ MySQL unter eine weniger einschränkende Lizenz stellen
- MySQL als Open-Source-Projekt weiterentwickelt wird
- sie aktiv mit der Community zusammenarbeiten
- eingereichte Patches zügig integriert werden
- keine Patches zurückgewiesen werden, die MySQL zu einem stärkeren Konkurrenten für Oracles andere Produkte machen
- sie sicherstellen, dass MySQL auch in solchen Formen weiterentwickelt wird, die es zu einem noch besseren Ersatz für Oracles Hauptprodukt machen.
Nun könnte man sagen, dass all diese Punkte bei Sun auch nicht immer optimal gelaufen sind (und wie das noch früher bei MySQL A.B. war, entzieht sich komplett meiner Kenntnis), aber es gibt zwei wichtige Unterschiede:
- Anders als Sun hat Oracle ein mit MySQL direkt im Wettbewerb stehendes Produkt – nämlich die Oracle-Datenbank. Und das ist nicht nur irgendein Produkt, sondern der Hauptgeldbringer.
- Oracle ist bereits im MySQL-Umfeld aktiv geworden, indem sie die Herstellerfirma der „InnoDB”-Storageengine aufgekauft haben.
„InnoDB” ist wohl der wichtigste Baustein, der MySQL von einem schnellen schlanken Web-Datenbanksystem zu einer allgemein einsetzbaren leistungsfähigen Datenbank in professionellen und Hochverfügbarkeitsumgebungen gemacht hat. Auch hier fasst Monty zusammen, wie sich die Situation nach dem Oracle-Aufkauf darstellt:
Die Art und Weise wie Oracle mit dem InnoDB-Aufkauf umgegangen ist, lässt mich nicht hoffen, dass Oracle irgendetwas von dem oben Geschriebenen macht, wenn sie nicht dazu verpflichtet werden.
Bei InnoDB sieht es so aus:
- Es gibt Bugfixes (aber hier gab es auch eine vertragliche Verpflichtung)
- Neue Funktionen, wie zum Beispiel die vor dem Aufkauf angekündigte Kompression, haben drei Jahre für die Umsetzung gebraucht
- Es gibt keine Zeitpläne und keinen Einblick in die Entwicklung
- Die Community konnte nicht an der Entwicklung mitarbeiten
- Von Benutzern (z.B. Google) eingebrachte Patches, die die Performance gesteigert hätten, wurden erst implementiert/veröffentlicht, nachdem Oracle den Kauf von Sun bekanntgegeben hatte
- Oracle hat die Entwicklung von „InnoDB+” begonnen, einer verbesserten Closed-Source-Version von InnoDB
- Letztlich musste Sun eine eigene InnoDB-Version abspalten, nur um die Geschwindigkeit des Codes zu verbessern.
Monty schreibt nicht ganz zu unrecht, dass es jetzt darauf ankommt, ein Gegengewicht zu den von Oracle animierten Eingaben an die EU-Kommission zu schaffen. 2003 bis 2005 war ich sehr aktiv in der Bewegung gegen die Softwarepatentdirektive der EU. Dort führte der massive Protest letztlich zum Erfolg. Also: Verbreitet diese Nachricht weiter und wendet euch auf die oben beschriebene Weise an die EU-Kommission.
http://blog.koehntopp.de/archives/2708-Monty-vs.-mysql-gpl.html
http://developers.slashdot.org/story/09/12/13/1530211/Widenius-Warns-Against-MySQL-Falling-Into-Oracles-Hands (hier Kommentare beachten!)
Das liest sich eher so als ob Monty da eine eigene Agenda hat und für sich selbst unterwegs ist.
MySQL ist GPL. JEDER kann es sich nehmen und weiterentwickeln, muss es aber danach wieder veröffentlichen. Es kann sich aber auch niemand (wie bei BSD oder Apache-Lizenz) nehmen und als proprietäre Software vermarkten.
Wenn ich hier unter der Prämisse GPL beigetragen hätte würde ich jedenfalls nicht wollen das jemand später die Lizenz so ändert das mein Beitrag teil eines closed-source-Business case würde.
Wieso?
Es gibt immer Alternativen. Technisch besser und mit freierer Lizenz.
Auf die Art verstehen es vielleicht auch irgendwelche Manager, die sich in technische Entscheidungen einmischen.