Die Bretter, die in Hannover zur Verkehrswende gebohrt werden müssen, sind dick. Sehr dick. Wie dick, wurde am Montag abend mal wieder deutlich. Da fand in der Christuskirche die öffentliche Präsentation des Siegerentwurfs zur Umgestaltung des Steintorplatzes statt.
Gut 250 Menschen waren anwesend, als die Architekten von Grieger Harzer zusammen mit der Künstlerin Ina Weise ihren Entwurf ausgiebig präsentierten: In die Mitte des Platzes eine hohe Stele, darum Brunnen, Sitzgelegenheiten, einen Spielplatz, ein öffentliches WC. Was man halt in einer modernen Platzarchitektur momentan so unterbringt.
Leider völlig untergegangen ist in dem Entwurf eine der Hauptaufgaben des Platzes: Er ist ein hochfrequentierter Verkehrsknoten im Fuß- und Radverkehr. Und genau darauf geht der Entwurf überhaupt nicht ein! Der Radverkehr aus der Langen Laube soll halt „irgendwie” über den Platz. Um die Stele auf der Platzmitte herum, eingerahmt von Wasserspiel und Fontänen. Zu Beginn der Präsentation fällt wirklich die Bemerkung, Rad- und Fußverkehr sollten eher „subtil voneinander getrennt” werden.
Aber immerhin: Auf der Vorzugsachse eines zukünftigen Radschnellwegs ist noch irgendwie Radverkehr vorgesehen. Nach Norden gibt es einfach überhaupt keine Fahrradrouten. Der Verkehr aus Richtung Engelbosteler Damm soll auf der Westseite der Goseriede, also am Anzeigerhochhaus vorbei, auf den Steintorplatz zufahren und dann in einer Linksabbiegekonstruktion geführt werden, die schlicht absurd ist. Und zum Engelbosteler Damm hin kommt man gar nicht. Also, so, irgendwie kann man da sicher abbiegen, aber auf den Wegen jetzt – nein, da gibt es nichts in den Plänen.
Auch für den Fall, dass der Platz bei Veranstaltungen gesperrt ist – und das ist ja gar nicht so selten – gibt es keinerlei ernsthafte Routenplanung. Als ich nach der Veranstaltung einen der Architekten danach frage, improvisiert er mit dem projizierten Plan und einem Laserpointer: So von der Langen Laube rechts herum in die Münzstraße und dann hinter dem Stadtbahnsteig über den Überweg. Dass das ein reiner Fußgängerüberweg ist, auf den man gar nicht vernünftig draufkommt, dass auf der Münzstraße eine der übelsten Radverkehrsschikanen der jüngeren Vergangenheit gebaut wurde, dass das ein Umweg ist, der keinem Radfahrer, zumal auf einer Haupt- und Vorzugsroute, ansatzweise einleuchtet, dass auch das nur in eine Richtung gedacht ist – wen interessiert’s?!
Dasselbe Trauerspiel am anderen Ende des beplanten Bereiches, auf der Georgstraße beim Bratwurstglöcke und Schillerdenkmal. Der City-Rad-Ring kommt im Entwurf schlicht nicht vor. Für den Radverkehr zwischen Schmiede- und Schillerstraße gibt es keinerlei fixierte Wegführung. Stattdessen soll sich der Radverkehr auf der Südseite der Georgstraße den Platz mit Taxis teilen. Denn die dürfen da erst ab 20 Uhr rein und um die Zeit „wird der Radverkehr ja eh weniger”.
Nun ist nicht so, dass ich hier völlig neues Geheimwissen hätte. Die Verkehrsbeziehungen für den Radverkehr sind in der „Steintor-DNA” ausführlich erläutert. Den City-Rad-Ring gibt es seit über fünf Jahren. Die Lange Laube ist heute schon Fahrradstraße. Die Trasse zur Christuskirche wurde schon vor über zehn Jahren zu einer leistungsfähigen Fahrradmagistrale ausgebaut. Das ist alles heute schon da. Man muss nur mal hinschauen!
Es mag ja durchaus sein, dass ein Architekturbüro aus Berlin nicht alle Einzelheiten der hannoverschen Verkehrsnetze kennt. Aber ist es denn zu viel verlangt, dass man sich ein bisschen mit dem Umfeld des Stadtraums beschäftigt, den man da beplant? Zehn Minuten Google Earth hätten gereicht um zu verstehen, dass der Radverkehr von Norden über den Gänselieselplatz auf der Ostseite der Goseriede ans Steintor herangeführt wird – und eben nicht auf der Westseite. Und es ist ja schön, dass die Radspur auf der Georgstraße zwischen Steintorstraße und Schmiedestraße acht Meter breit ist (solange dort keine Taxis stehen…), aber was nutzt es denn, wenn man sich auf den Platz zwischen irgendwelchen Wasserspielen durchschlängeln soll, auf dass man „subtil” vom Fußverkehr getrennt ist. Und – ja: Wenn der Platz durch eine Veranstaltung blockiert ist, muss der Radverkehr anders fahren. Aber zu einem vollständigen Konzept gehört, dass es auch hierfür einen Plan gibt. Und keine Improvisation auf Nachfrage am Rande eine Diskussionsverstaltung.
Noch unverständlicher ist für mich aber, wie dieser Prozess offensichtlich begleitet wurde. Die Bauverwaltung weiß ja eigentlich nicht nur, wo City-Rad-Ring, Lange Laube und Klagesmarkt liegen und wie da die Radverkehrsströme sind. Sie plant selbst gerade ein Netz von Vorzugsrouten für den Radverkehr – mit einem der zentralen Verteilungsknoten auf dem Steintor. Und sie kennt die Radschnellwegplanungen, bei denen der Radschnellweg nach Garbsen über den Steintorplatz führt.
Trotzdem lässt sie es zu, dass eine Planung in den Wettbewerb kommt, bei der all dies – freundlich vormuliert – irgendwie vergessen worden ist. Und nicht nur das: Die Jury wählt ausgerechnet diesen Entwurf, bei dem die Belange des Radverkehrs – weniger freundlich formuliert – komplett ignoriert wurden, auch noch auf Platz 1. Und es ist ja nicht so, dass es nicht Altenativen gegeben hätte. Andere Entwürfe haben jeweils ein komplettes, sachgerecht strukturiertes und aus den Verkehrsströmen hergeleitetes Radwegenetz in den beplanten Bereich integriert.
Das Büro lad diekmann aus Hannover beispielsweise führt in dem zweitplatzierten Entwurf den Radweg breit und gut sichtbar gradlinig über den Platz und bietet sogar eine Lösung für die Anbindung nach Norden, auch wenn die sicher noch nicht perfekt ist.
Und der drittplatzierte Entwurf von West 8 Urban aus Rotterdam schafft endlich klare Verhältnisse auf dem City-Rad-Ring – wenn auch um den Preis, dass das Schillerdenkmal versetzt würde. Kein anderer Entwurf bindet die Schmiedestraße aber so gut an wie dieser.
Es geht also.
Wir haben das Jahr 2020. Hannover erstickt im Autoverkehr. Der Radverkehrsanteil soll bis 2025 auf 25% steigen, stagniert aber seit mittlerweile sieben Jahren bei 19%. Ein zentraler Platz der Innenstadt und des Radwegenetzes wird in einem mehrjährigen aufwändigst gestalteten Prozess unter massiver Beteiligung von Öffentlichkeit, etlichen Workshops und in einem umfangreichen Architektenwettbewerb komplett neu beplant.
Und das ist das Ergebnis?
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder weinen soll, wenn Baudezernent Bodemann im Schlusswort sagt, die „Hinweise aus dem verkehrlichen Bereich haben weitergeholfen”. Dazu muss man wissen, dass in der Veranstaltung etwa zwei Drittel der Wortmeldungen aus dem Publikum die völlig verkorkste Radverkehrsführung zum Thema hatten und mannigfache Kritik übten. Allein: Wozu hat es denn Planer, Architekten und Baudezernenten, wenn die im Rahmen eines solchen Prozesses nicht selbst auf solche fundamentalen Zusammenhänge achten?
Immerhin: Dass das so nicht geht, wurde zumindest allenthalben von den Beteiligten bekundet. Es sei ja auch nur der erste Aufschlag. Jetzt gehe es in die Details. Natürlich werde man das nochmal überplanen.
Ich sag’s mal so: Das ist auch das allermindeste! Trotzdem ist das Kind ein Stück weit in den Brunnen gefallen. Anstatt dass die Planung die verkehrlichen Aspekte von vornherein berücksichtigt und im Gesamtplan gleichberechtigt integriert, haben wir jetzt einen Entwurf, der den Platz – landschaftsarchitektonisch sicherlich anspruchsvoll – mit Bänken, Bäumen, Wasserfontänen und einer zentralen 25-Meter-Stele mit schicker LED-Illumination zustellt. Da muss man eine leistungsfähige, nutzerfreundliche Radverkehrsinfrastruktur erstmal dazwischengebaut bekommen. Ich bezweifle, dass das so gelingt, wie es für den Radverkehr in Hannover nötig ist!
Es gibt vielfach Beispiele dafür, wie man eine hochfrequentierte Radverkehrsroute über belebte Plätze führen kann. In Norrebro in Kopenhagen gibt es beispielsweise die Stadtteilplätze Mimersparken und Den Roede Plats, wo man sich sowas anschauen kann. Hier sind Verkehrsräume klar gekennzeichnet, trotzdem leicht überwindbar und man ist als Fußgänger und als Radfahrer zügig, sicher und komfortabel unterwegs.
In Karlsruhe wird der Radverkehr auf einer Fahrradstraße auf einer breiten Paralleltrasse zur Haupteinkaufsstraße durch die Innenstadt geführt.
Aber auf dem Steintor ist bislang die beste Idee für den Radverkehr, ihn mit Wasserfontänen einzunebeln. Kann man sich nicht ausdenken.
Nun denn. Wir haben ja bereits vom ADFC aus im Vorfeld deutliche Kritik an den Plänen geübt. Seitens der Stadtverwaltung hat es das Angebot gegeben, mit uns im weiteren Prozess zu reden. Das nehmen wir natürlich gern an. Denn wenn es sein muss, artikuliere ich mein Missfallen in Artikeln wie diesem hier. Viel lieber würde ich aber darüber schreiben, wie gut man durch ganz Hannover auf dem tollen Radwegenetz fahren kann. Und daran, dass wir so ein tolles Radwegenetz bekommen, arbeite ich gern und konstruktiv mit!