Am Samstag war ich unterwegs. Diesmal in Oberricklingen. So an die 250 Menschen haben sich dort versammelt, um für sicheren Radverkehr und Ruhe in den Wohnstraßen zu demonstrieren. Sicherheit und Ruhe, die es dort momentan gibt. Weil Baustellenumfahrungsverkehr mit einigen geschickt gesetzten Kfz-Durchfahrtsperren aus dem Wohnviertel weitestgehend rausgehalten wird.
Und genau diese Durchfahrtsperren will eine bemerkenswert große „Koalition” im Bezirksrat Ricklingen schleifen. Warum? Wissen sie selbst nicht so genau. Jedenfalls, wenn man sich den „Antrag” durchliest, der auf der nächsten Sitzung beschlossen werden soll. Ich zitiere mal vollständig:
Antrag: Die Verwaltung wird beauftragt, unverzüglich die Absperrsituation im Stadtteil Oberricklingen zu beseitigen und den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen.
Begründung: Die ergriffenen Maßnahmen führen für die Anliegerinnen und Anlieger zu größeren Belastungen, als durch Schleichverkehre zu erwarten sind.
Ich weiß nicht, was ich schlimmer finde: Die Ahnungslosigkeit oder die Ignoranz, die aus diesen Zeilen spricht. Oder die Tatsache, dass SPD, CDU und FDP sich hier mit dem AfD-Vertreter gemein machen und diesen „Antrag” gemeinsam einreichen. So zumindest geht es aus der tatsächlich unterschriebenen Version hervor, die Grundlage des Tagesordnungspunktes ist.
Hinweis, 2019-11-06, 16:20 Uhr: In einer früheren Version dieses Artikels war ich davon ausgegangen, dass die vorgesehenen Unterschriften auf dem zu dem Zeitpunkt veröffentlichten PDF-Dokument im eingereichten Original auch alle geleistet sind. Das ist aber mindestens für den Vertreter von Linke/Piraten nicht der Fall. Ich bitte den Fehler zu entschuldigen.
Hinweis, 2019-11-07, 13:30 Uhr: Mittlerweile habe ich die unterschriebene Version gesehen. Diese ist von den Vertretern von SPD, CDU, FDP und AfD gezeichnet, nicht jedoch von dem Vertreter von Linke/Piraten.
Worum geht es? Der Reihe nach: Schon im Januar 2018 geht der Antrag durch die Gremien, die Straße „In der Rehre” neu zu bauen. Hierzu ist eine Vollsperrung über Straße nötig – und zwar nach aktuellen Plänen mindestens bis ins Frühjahr 2021. Problem: Viele Autofahrer – vor allem aus Wettbergen – nutzen diese Straße, um in die Innenstadt oder auf das überörtliche Straßennetz zu gelangen. Deshalb gibt es seitens der Stadtverwaltung auch eine Umleitung über die Hauptstraßenzüge Göttinger Chaussee, Wallensteinstraße, Hamelner Chaussee und Bergfeldstraße. So weit, so gut.
Leider sind manche Autofahrer mit dieser Verkehrsführung überhaupt nicht einverstanden. Sie würden viel lieber direkt durch Oberricklingen über die Straße Am Grünen Hagen fahren. Problem bloß: Das ist (a) eine Anwohner- und (b) eine Fahrradstraße. Als bei einer früheren Bauphase der B3-Ortsumgehung Hemmingen „In der Rehre” schon einmal gesperrt war, waren die Folgen fatal: Am Grünen Hagen komplett zugestaut, Dauerlärm für die Anwohner und kein Durchkommen mehr für den Radverkehr – und das auf einer seiner Vorrangrouten im städtischen Verkehrsnetz.
Aus Erfahrung klug geworden, haben Verwaltung und Politik ein Sperrenkonzept für Oberricklingen umgesetzt: Drei clever gesetzt Sperren ermöglichen eigentlich, dass einerseits der Weg durchs Wohngebiet für den Durchgangsverkehr so unattraktiv wird, dass er auf der offiziellen Umleitungsstrecke bleibt, andererseits aber Anwohner immer noch überall hinkommen können, wenn sie denn meinen, mit dem Auto fahren zu müssen. Vor allem aber: Die Radverkehrstrasse Am Grünen Hagen bleibt voll funktionstüchtig und den Anwohnern wird nicht der letzte Nerv geraubt.
Wie gesagt: Eigentlich. Denn leider gibt es ein lautstarkes Grüppchen von Autofahrern, das sein eigenes schnelles Durchkommen über alles stellen will und deshalb verlangt, dass die Sperren abgebaut und Am Grünen Hagen für den Durchgangsverkehr geöffnet wird. Mit irgendwelchen Unterschriftensammlungen wird versucht, den Eindruck zu erwecken, man sei „die Mehrheit”. Und deshalb habe man Recht. Oder so. Und leider sind große Teile des Bezirksrats drauf und dran, dem Gegreine auf den Leim zu gehen.
Das Ergebnis ist – unter anderem – der oben zitierte Antrag. Ihm fehlt jedwede Substanz. Lärm und Gefahren für die Anwohner sind „nicht so schlimm”. Vor allem ignoriert er völlig die große Rolle, die Am Grünen Hagen im Radverkehrsnetz Hannovers spielt: Mit Mühlenholzweg, Hahnensteg und Stammestraße ist Am Grünen Hagen Kernbereich der Radwegverbindung zwischen Innenstadt und Südstadt auf der einen und Wettbergen, Ronnenberg, Gehrden bis hin zum nordöstlichen Deisterrand auf der anderen Seite.
Es ist schlicht Wahnsinn, auf diese Straße ohne jede bauliche Trennung zwischen Rad- und Kfz-Verkehr Durchgangsverkehr leiten zu wollen. Die Antragsteller im Bezirksrat vertreiben hier aktiv den Radverkehr – und das, obwohl die Förderung desselben seit vielen Jahren erklärtes Ziel von Politik und Verwaltung ist und Hannover weit von den gewollten – und für eine lebenswerte Stadt bitter nötigen – 25% Radverkehrsanteil im Jahr 2025 entfernt ist.
Eine eher durchwachsene Rolle spielt auch die Verwaltung. Sicher, sie hat das Sperrenkonzept eingerichtet und umgesetzt. Aber: „Wenn der Bezirksrat die Aufhebung der Sperren beschließt, setzen wir das um”, wird Tiefbauamtsleiter Bode in der Presse zitiert. Dabei muss er das gar nicht! Die Verkehrslenkung in Oberricklingen erfolgt aus Überlegungen zur Verkehrssicherheit – und das ist klassisches laufendes Geschäft der Verwaltung. Da kann ein Bezirksrat gar nichts beschließen! Er kann natürlich die Verwaltung beauftragen zu prüfen, ob Änderungen möglich sind. Das letzte Wort hat aber – die Verwaltung. Ich halte es für problematisch, wenn eine Verwaltung sich – so wie das hier aussieht – bei einer fragwürdigen Revision einer als unpopulär empfundenen Regelungsmaßnahme hinter Bezirksräten zu verstecken versucht, die von der Materie bislang keine ausreichende Ahnung bewiesen haben.
Das ist jedenfalls die Ausgangslage, in der die Anwohner vor Ort und der ADFC am Samstag zur Demonstration aufgerufen haben. 250 Radfahrer – erst bei der Kundgebung, dann als Fahrraddemo mehrfach Am Grünen Hagen hoch- und runterfahrend. Die beeindruckende Fahrraddichte auf dem Bildern der Demonstration findet sich punktuell auch im alltäglichen Fahrradberufs- und ‑schülerverkehr. Die Bilder mit Autos zwischen den Radfahrern zeigen zudem die zu erwartenden Probleme plastisch: Es ist schlicht nicht genug Platz da.
Zwar haben sich die Autofahrer hier alle halbwegs zivilisiert verhalten, aber das war zum einen der großen Menge an Radfahrern zu verdanken – und zum anderen dem Umstand, dass es halt Anlieger- und kein Durchgangsverkehr ist. Auf einem freigegebenen Grünen Hagen gäbe es ganz schnell das übliche Hetzszenario an solchen Stellen, bei dem Radfahrer durch dichtes Auffahren, enges Überholen oder schlichtes Abdrängen permanent genötigt und in Lebensgefahr gebracht werden – von Autofahrern, die das für ihr selbstverständliches Recht halten.
Die Forderungen des ADFC an dieser Stelle sind klar, und ich habe sie auf der Demonstration auch so formuliert:
- Der Bezirksrat darf den Antrag zum Abbau der Sperren nicht fassen.
- Falls ein solcher Beschluss gefasst würde, darf die Verwaltung ihn nicht umsetzen. Sie muss vielmehr an ihrer Einschätzung festhalten, dass die Sicherheit für den Radverkehr ohne Sperren nicht in ausreichendem Maße gegeben ist.
- Ansonsten muss die Politik auf städtischer Ebene einschreiten und dafür sorgen, dass der Radverkehr auch in Oberricklingen weiterhin adäquat gefördert wird.
Und sollte das alles nicht fruchten, wird man die Lage auf Am Grünen Hagen verwaltungsgerichtlich prüfen lassen müssen. In der Kleefelder Straße hat das Verwaltungsgericht Hannover erst kürzlich festgestellt, dass eine Fahrradstraße auch faktisch dem Radverkehr Vorrang einräumen muss – sonst ist es keine Fahrradstraße. Wie eine Anwohnerstraße mit starkem stadtteilübergreifenden Durchgangsverkehr diese Anforderung erfüllen soll – das muss die Stadtverwaltung dann gegebenenfalls nochmal erklären.
Nächster Akt: Donnerstag im Bezirksrat (Tagesordnung).
Würden die Anwohner auf Ihren Grundstücken, oder den dafür vorgesehenen Parkbuchten parken, wäre es für die Radfahrer einfacher und besser. Ergo es ist ein hausgemachtes Problem der Anwohner selbst.
Wenn Anwohner aber ihre Anhänger halb auf dem Bürgersteig parken ist das alles OK. Aber die bösen fremden Autofahrer.
Ich möchte denjenigen pflegebedürftigen sehen, der nicht bedient werden kann weil die tägliche Arbeitszeit um ist.
Oder den Menschen mit Herzinfarkt oder Schaganfall, wo es um jede Sekunde geht, der auf den Krankenwagen wartet. Auch die müssen die Umleitungen fahren oder erst die Metallbarken umlegen, wobei wertvolle Zeit vergeht. Spätestens wenn hier der erste Fall auftritt ist das Gejammere groß.
Ihre Welt besteht offenbar nur aus Autofahrern und Kranken oder Pflegebedürftigen, die auf Autofahrer warten. Wo bleiben die Fußgänger und Radfahrer?
1.: Sie müssen hier nicht anderen Leuten vorschreiben, wie sie innerhalb der offenbar eingehaltenen Regeln zu parken haben.
2.: Es ist doch Unsinn, dass die Ursache des ganzen Übels, nämlich die Sperrung der Rehre (welche im Übrigen auch keine Durchgangsstraße ist) und der daraus resultierende Umwegverkehr ein hausgemachtes Problem der Anwohner des Grünen Hagens ist.
3.: Dass Pflegebedürftige oder Infarktpatienten im Quartier ohne die Sperren besser versorgt werden könnten, gehört ebenfalls ins Reich der Fabel. Wie sollten denn Pflegedienste oder RTW dorthin kommen, wenn der Grüne Hagen und umliegende Straßen im Stau versinken? Es geht ja wie Sie korrekt konstatieren um Sekunden und Rettungsgassen könnten Sie in Oberricklingen nicht bilden. Wenn dann was passiert, wäre das Gejammere aber so richtig groß.
Zum einen ist es keine Anwohnerstrasse,
Zum anderen gibt es diese Dichte an Radfahrern dort nicht.ob zu Rush hour noch irgendwann. Man begegnet beim Fahren auf dem grünen Hagen evtl. Mal 3 oder 5 Fahrradfahrern aber nicht den auf den Bildern angegebenen Personenzahlen.Also bitte bei den Fakten bleiben.
Die Straße ist eine Fahrradstraße. Ich kann ja verstehen, dass manchen Autofahrern eine Verkehrswende nicht schmeckt, wenn dann das Auto nicht mehr im Mittelpunkt allen Verkehrsgeschehens steht. Die klügeren unter den Autofahrern schauen sich nach Alternativen um und entdecken das Fahrrad und den ÖPNV neu. Ihr Arzt wird es ihnen danken. Und diejenigen Anwohner, Fußgänger und Radfahrer, die schon länger kapiert haben, dass es kein „Weiter so” geben darf beim autogerechten Stadtausbau, sowieso.
Weitere Infos über Fahrradstraßen auch auf dem radverkehrsforum.de https://radverkehrsforum.de/forum/thread/917-fahrradstra%C3%9Fen/?pageNo=4