Die Geibelstraße in Hannover, eine der Hauptverkehrsachsen in der dichtbesiedelten Südstadt, soll komplett umgestaltet werden. Der momentane Straßenquerschnitt stammt aus den 1970er und 1980er Jahren. Er ist sehr autolastig, Radverkehrsanlagen wurden erst nachträglich und äußerst sparsam eingerichtet. Die ganze Straße ist sanierungsbedürftig.
Der Prozess
Die Stadt Hannover im Form der Bauverwaltung hat sich für den hierfür anstehenden Prozess für einen geradezu revolutionären Weg der Bürgerbeteiligung entschlossen: Statt nach einer oder zwei „Informationsveranstaltungen” einen mehr oder weniger fertigen Plan vorzulegen, gibt es einen mehrstufigen Prozess, in dem aus den Ergebnissen eines ersten workshopartigen Bürgerforums mehrere Alternativplanungen erarbeitet wurden, die dann in einem zweiten Bürgerforum diskutiert werden. Erst aus den Ergebnissen dieses Workshops und den Rückmeldungen soll dann die Zielplanung entstehen, für deren Vorstellung und Diskussion dann sogar noch ein dritter Workshop angesetzt ist. Ich kritisiere die Verwaltung ja oft und gerne, wenn sie meines Erachtens Dinge besser machen könnte oder sollte, aber hier lobe ich gerne und ausdrücklich: Das war ein sehr gutes Format und lädt zur Beteiligung ein!
Die Veranstaltung stand auch noch aus einem anderen Grund unter einem guten Stern: Zur Jahreswende wurde in Hannover die „Straßenausbaubeitragssatzung” abgeschafft, die Anlieger an den Baukosten solcher Umbauten direkt beteiligt hatte. Beim ersten Bürgerforum im letzten Jahr war das noch nicht abzusehen gewesen und so hatte sich die Diskussion vor allem um diese finanziellen Aspekte und nicht um die eigentlichen Gestaltungsmöglichkeiten gedreht.
So konnte nun in einer wesentlich sachlicheren Atmosphäre mit den etwa 200 Teilnehmern über die Planalternativen diskutiert werden, die die Bauverwaltung aus den Ergebnissen des ersten Bürgerforums erarbeitet hatte. Und es sind tatsächlich deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Ansätzen.
Die Planungen
Im Vorfeld war bereits festgelegt worden, dass die Baumreihen in der Geibelstraße erhalten bleiben sollen. So drehen sich die drei Entwürfe letztlich um die vorhandenen Bäume. Alle drei Entwürfe beplanen die komplette Geibelstraße zwischen Rudolf-von-Bennigsen-Ufer und Tiestestraße einheitlich. Sie kosten auch alle etwa gleich viel – irgendwas zwischen 9 und 10 Millionen Euro nach aktuellem Stand – und sind ähnlich aufwändig: Wenn wie geplant um die Jahreswende 2019/2020 politische Beschlüsse zur dem Umbau erfolgen, würde wohl im Zeitraum 2021 bis 2025 die Straße umgebaut. Bei den drei Varianten kann man sich also tatsächlich voll und ganz auf die baulichen Unterschiede konzentrieren und muss nicht noch irgendwelche Seiteneffekte im Blick haben.
Variante A1: Eigene Radverkehrsanlagen und Senkrechtparken
In den A‑Varianten wird der Radverkehr gemeinsam mit dem Fußverkehr in der Seitenanlage geführt. Die Fahrbahn wird auf 6 Meter Gesamtbreite verschmälert, für Rad- und Fußverkehr bleibt so mehr Platz. Vor allem werden die Radwege auf 2 Meter verbreitert. Die Einmündungen der Seitenstraßen werden durchgängig aufgepflastert, sodass ein gleichmäßiges Fahren wesentlich besser möglich ist als bisher.
Parkplätze gibt es in dieser Variante quer zur Fahrbahn zwischen den Bäumen. Es werden etwas weniger als bisher (knapp 80%), insgesamt ändert sich an der Verteilung aber gar nicht so viel gegenüber dem heutigen Zustand.
Variante A2: Eigene Radverkehrsanlagen, Längsparken und viel Grün
Einen deutlich stärkeren Akzent auf mehr Grün setzt die Variante A2. Während der Radverkehr quasi genau so wie in Variante A1 geführt wird, verzichtet dieser Entwurf auf die Parkplätze zwischen den Bäumen. Stattdessen werden „klassische” Parkstreifen längs der Fahrbahn angeordnet, wobei das in weiten Teilen wegen der Baumpositionen nur einseitig möglich ist. Der Lohn: Fast doppelt so viele Grünflächen in der Straße wie bisher bei gleichzeitig deutlich vergrößertem Platz für den Fußverkehr, da die Radwege näher an die Baumreihen herangeführt werden können. Die Anzahl Parkplätze reduziert sich auf nur noch 37% der bisherigen Anzahl.
Variante B: „Schutzstreifen” für den Radverkehr und Senkrechtparken
Völlig anders der Ansatz für die Flächenverteilung in Variante B: Hier wird der Radverkehr in sogenannten „Schutzstreifen” auf der Fahrbahn geführt, die Parkplätze sind wie in A1 senkrecht unter den Bäumen eingerichtet. Die „Schutzstreifen” sind beiseitig jeweils 1,5 Meter breit, dazwischen ist eine 5 Meter breite Restfahrbahn für den Autoverkehr angeordnet.
Ablauf
Nach grundsätzlicher Vorstellung der Varianten wurde die Straße dann in fünf Abschnitte aufgeteilt:
- Rudolf-von-Bennigsen-Ufer bis Alte Döhrener Straße
- Alte Döhrener Straße bis Hildesheimer Straße
- Hildesheimer Straße bis Sallstraße ohne Stephansplatz
- Stephansplatz
- Sallstraße bis Tiestestraße
Zu jedem dieser Abschnitt gab es dann eine „Station”, an der an Stellwänden die Pläne für jede der Varianten und Platz für Anmerkungen vorhanden waren. Jeweils mindestens ein Mitarbeiter der Verwaltung und ein Moderator standen dann zur Diskussion bereit. Jeder Veranstaltungsteilnehmer hatte die Möglichkeit, zwei der fünf Stationen zu besuchen und mitzudiskutieren.
Meiner Ansicht nach hat gerade dieser Teil der Veranstaltung hervorragend funktioniert. In beiden Diskussionsrunden, an den ich teilgenommen habe, hat sich eine engagierte und sachliche Diskussion ergeben, in der aus den Reihen der Anwohner und Nutzer der Straße viele Anregungen kamen. Über Klebepunkte auf den daraus entstandenen Notizen konnte dann sofort auch noch eine Gewichtung der diskutierten Punkte festgehalten werden, sodass am Ende der Veranstaltung bereits erste Resutate der Diskussionen vorlagen.
Resultate der Veranstaltung
Wenn fünf Gruppen weitgehend unabhängig voneinander diskutieren sind Übereinstimmungen aller Gruppen immer besonders erwähnenswert. Hier dürfte das deutlichste Resultat sein: Variante B ist bei allen Gruppen komplett durchgefallen. Die Argumente ähneln sich zudem auch noch: Die „Schutzstreifen” für den Radverkehr sind zu schmal, es wird zu eng überholt, die senkrecht geparkten Autos, die im „Blindflug” ausparken, stellen eine völlig unkalkulierbare Gefahr da. Umso schwerer wiegt das, da es sich bei der Geibelstraße auch um eine Straße mit erheblichem Schülerverkehr, auch und gerade auf dem Fahrrad, handelt.
Insbesondere auf dem westlichen Abschnitt zwischen Maschsee und Hildesheimer Straße wurde angeregt, ob die Geibelstraße für den Autoverkehr nicht als Einbahnstraße ausgeführt werden könnte. Dann bliebe genug Platz fürs Parken und für breite Fuß- und Radwege. Hier wurde besonders problematisch die Situation zwischen Alter Döhrener und Hildesheimer Straße betrachtet. Beide A‑Varianten führen hier den Radverkehr in der Seitenanlage gemischt mit dem Fußverkehr. Zwar ist die Gesamtbreite der Seitenanlagen etwas größer als heute, trotzdem ist das alles relativ schmal.
Seitens der Stadt kam hier die Anmerkung, dass die Geibelstraße als Straße des „Vorbehaltsnetz” übergeordnete Verkehrsfunktionen hat und eine Umwandlung in eine Einbahnstraße grundsätzliche Neubewertungen des Verkehrsnetzes in der Südstadt nach sich zöge – irgendwo müsse der Verkehr in die andere Richtung ja bleiben. Immerhin: Eine Benutzungspflicht der Seitenanlagen soll es zukünftig auf ganzer Länge der Geibelstraße nicht mehr geben.
Bemerkenswert die Einlassungen vieler Anwesender zur Planvariante A2. Das viele Grün und der mit Abstand meiste Platz für Fuß- und Radverkehr seien „schon toll”, so hieß es mehrfach. Aber weil ja so viele Parkplätze wegfielen, sei das ja „illusorisch”, so selbst autolose Viel-Radfahrer und Verfechter einer Verkehrswende. Parksuchverkehr, erhöhter Parkdruck in umliegenden Straßen und natürlich immer wieder die üblichen „Ich brauche mein Auto aber und muss es abstellen können”-Einlassungen Einzelner.
Im Osten war ein weiterer Knackpunkt die Einmündung der Jordanstraße. Anders als der Kfz-Verkehr, dessen Hauptachse zwischen Geibel- und abknickender Jordanstraße liegt, ist für den Radverkehr die Weiterfahrt in die Geibelstraße mindestens genauso wichtig. Wie bisher ist diese in allen Plänen aber nur sehr umständlich möglich.
Die Ausgestaltung der Radwege in den A‑Varianten war weiteres Thema: Asphaltierte Wege würden hier einen deutlichen Komfortgewinn bedeuten und zudem den Unterschied zwischen Fuß- und Radweg betonen. Ein geeignet stark ausgeführter Unterbau könnte zudem verhindern, dass die Bauwurzeln den Weg allzu schnell aufwerfen.
Darüber hinaus gab es in jedem Abschnitt vielfache Anmerkungen. Durch die direkte Betroffenheit der Teilnehmer waren die bemerkenswert fundiert. Wenn sie in die weiteren Planungen einfließen ist dies eine große Chance, dass die Ergebnisse nochmal deutlich besser werden als der bisherige Stand.
Meine Meinung
Oben schrieb ich schon: Der Rahmen der Veranstaltungen und das ganze Verfahren sind ein echter Gewinn für solche Planungen. Bitte mehr davon und weiter so!
Auch inhaltlich haben sich durch die Diversität der vorgelegten Planungen interessante Erkenntnisse ergeben. Sehr erleichtert bin ich darüber, dass die „Schutzstreifen”-Variante so eindeutig abgelehnt wurde. 1,5 Meter breite Bettelstreifen, auf denen man viel zu eng überholt wird, jedes Mal mindestens einem „haltenden” Lieferwagen ausweichen muss und zudem ständig Gefahr läuft, von Parkverkehr in Lebensgefahr gebracht zu werden – unter den Teilnehmern hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass das kein attraktiver Radverkehr ist. Ich hoffe, dass die Verwaltung künftig komplett davon absieht, solche Planungen überhaupt nur ins Auge zu fassen. Viel sinnloser kann man seine Zeit nach den Ergebnissen des Abends in der Verkehrsplanung wohl nicht auf Planungen verwenden…
Trotz ihrer Unterschiedlichkeit zeigen alle drei Planungen dann aber doch eine Gemeinsamkeit. Alle drei sind offensichtlich „von der Fahrbahn aus” geplant: Erst kommt der fließende Kfz-Verkehr, dann der Parkverkehr und was dann übrig ist, bekommen Fuß- und Radverkehr. Nun ist das sicherlich das Verfahren, nach dem seit so ca. 70 Jahren in Hannover (und anderwo…) Straßen beplant werden, das führt aber genau dazu, dass an Engstellen wie zwischen Hildesheimer und Alter Döhrener Straße halt doch als erstes die Fahrbahn durchgeholzt wird und dann Fuß- und Radverkehr der viel zu geringe Platz versucht wird, irgendwie schön zu reden.
Man könnte stattdessen einfach mal anders herum vorgehen: Erst bekommen Fuß- und Radverkehr durchgehenden Platz zugewiesen, dann der fließende Autoverkehr und wenn dann noch Platz übrig ist, gibt es obendrauf noch Parkplätze. Selbst wenn man das nicht in Gänze durchzieht, hätte man doch auf die Idee kommen können, in dem besonders engen Bereich zwischen Hildesheimer und Alter Döhrener Straße nicht noch Parkplätze vorzusehen, sondern diesen Platz stattdessen einer unabhängigen Radverkehrsführung zuzuschlagen. Zwar ist die gemeinsame Führung mit dem Fußverkehr für den ganz überwiegenden Teil der Radfahrer immer noch besser als eine erzwungene hochgefährliche Fahrbahnführung auf „Schutzstreifen” – das Gelbe vom Ei sind sie aber auch nicht.
Es ist halt eine Frage der Prioritäten: Können auf dem nur einmal vorhandenen Platz ein Dutzend Menschen ihre Blechkästen abstellen – oder können sich hier 2000 Radfahrer am Tag sicher, schnell und komfortabel fortbewegen. Besonders fortschrittlich ist die Planung hier in keiner der drei Alternativen.
Erstaunlich uninspiriert fand ich aber auch viele – quasi alle – Teilnehmer beim Thema Aufenthaltsqualität. Variante A2 drängt endlich mal das Auto als definierenden Faktor der Straßengestaltung nennenswert zurück. Es gibt mehr Platz für Fuß- und Radverkehr und viel mehr Straßengrün als bisher. Und was sagen selbst passionierte Fußgänger und Radfahrer: „Das gefällt mir, aber das ist ja unrealistisch.”
Leute, bitte! Das ist natürlich nicht „unrealistisch”. Wäre es „unrealistisch”, gäbe es keinen Plan, der zeigt, wie es realisiert werden kann. Es ist halt eine deutliche Änderung gegenüber bisherigen Straßen- und Verkehrsplanung, aber: Hey, wir wissen doch mittlerweile, dass sich etwas ändern muss – Stichwort „Klimakrise”, „Verkehrswende” und die Klimaziele der Stadt Hannover! Hier gibt es nun mal die Chance, wirklich eine Änderung der Straßenstruktur herbeizuführen. Was wenn nicht das ist gelebte Verkehrswende! Wenn man sich immer nur in ein „Ich find’s toll, aber es ist ja unrealistisch” einigelt, dann dauern all diese Änderungen einfach nur viel länger als es nötig ist.
Und mal davon abgesehen: An der Geibelstraße leben mehrere Tausend Menschen. Wenn da jetzt statt 480 nur noch 140 Parkplätze sind, dann ist das letztlich nur der Unterschied, ob jetzt 8% oder 5% der Anwohner ihr Auto „vor der Haustür” parken können. Und das ist dann ja doch ein eher kleiner Unterschied, oder?!
Fazit
So, viel Text, viele Ideen. Im Nachlauf der heutigen Veranstaltung wird es sicherlich noch viele Diskussionen und Input für die Verwaltung geben. Ich bin mir sehr sicher, dass die Umgestaltung der Geibelstraße wohl nicht in eine völlig falsche Richtung laufen wird – wie sie die Einrichtung von „Schutzstreifen” zweifelsohne wäre. An vielen Details gibt es aber noch deutliche Verbesserungsmöglichkeiten und meines Erachtens sollte man auch den „großen Wurf” mit Variante A2 noch nicht völlig abschreiben. Da geht noch was!
Hallo Dirk,
klingt für m7ch alles sehr frustrierend. Gerade im Bereich zw. Alte Döhrener und Maschsee gibt es ja nicht so viele direkte Anwohner wie bei den anderen Abschnitt. Also bitte weg mit den Parkplätzen…
Dass ich nicht verstehe, warum so viele Menschen in Spdstadt und List überhaupt ein Autobrauchen, ist eine ganz andere Geschichte. Verkehrswende werde ich wohl nicht mehr erleben …
Danke für die ausführliche und sachliche Zusammenfassung! („Sachlich“ heißt hier für mich: Trennung von Information und Meinung sowie Verzicht auf Polemik.)
Und inhaltlich: Schön, dass da erste Schritte in Richtung Förderung von Rad- und Fußverkehr gemacht werden. Aber gerade zwischen Hildesheimer und Alter Döhrener ist einfach nur Platz für maximal eine Seite Parkraum. Alles andere wäre eine Beleidigung aller Nicht-Autofahrer – mal abgesehen davon, dass die jetzige Situation auch für die Autofahrer eigentlich zu schmal ist.
Außerdem sehe ich weiterhin den Konflikt zwischen senkrechtem Parken und Radweg ungelöst – wo bisher etliche Autofahrer soweit in den Radweg fahren, wie es ihnen gerade gefällt. Diese Behinderung (oder auch Gefährdung) müsste in Zukunft verhindert werden. Gab es da Ansätze?
Zwischen senkrechtem Parken und Radweg soll die Bordsteinkante hin kommen. Entscheidend ist dann natürlich wie hoch diese ausfallen wird. Ich könnte mir aber hier auch zusätzliche Betonschwellen oder Poller vorstellen welche das Überfahren wirklich gänzlich verhindern.