Von der Öffentlichkeit bislang weitgehend unbemerkt hat das „Aktionsbündnis Stadtverkehr” mal wieder zugeschlagen. Dieser Zusammenschluss von IHK, Handwerkskammer, Handelsverband, Hannoverscher Dehoga, Haus & Grund und der City-Gemeinschaft hat in einem Vierseiter seine Erwartungen an die Verkehrspolitik in Stadt und Region formuliert, auch im Hinblick auf die anstehende Neuwahl des Oberbürgermeisters.
Zusammenfassen lässt sich das Pamphlet so: Auto, Auto, Auto. Oh, und: Auto. Das Aktionsbündnis schwingt sich – nicht zum ersten Mal – zum Anwalt des „motorisierten Individualverkehrs” auf:
Ein Zurückdrängen des motorisierten Individualverkehrs in der Stadt Hannover ist erst dann denkbar, wenn echte verkehrliche Alternativen geschaffen worden sind.
[F]ür wesentliche Teile des Wirtschaftsverkehrs [bestehen] keine realistischen Alternativen zum motorisierten Individualverkehr[…].
Die hannoversche Wirtschaft sieht das ständige Rufen nach Verkehrseinschränkungen beim motorisierten Individualverkehr mit großer Besorgnis.
Der Text arbeitet mit zwei rhetorischen Figuren, die mir in der Diskussion um die Verkehrswende in letzter Zeit häufiger begegnet sind:
- Es wird – siehe das erste Zitat – eine Raumumnutzung zu Gunsten anderer Verkehrsträger als dem Pkw überhaupt erst dann als „möglich” angesehen, wenn eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllt sind.
- Es wird „Kooperation” gefordert, jedem Verkehrsträger soll „seine Rolle” zukommen. Oder wie das Aktionsbündnis schreibt: „Alle haben gleichermaßen hohen Investitionsbedarf.”
Beides ist – mit Verlaub – Quatsch! Hannover, und insbesondere die Innenstadt, hat das Problem, dass sie schlicht in Autos ersäuft. Und zwar jetzt, nicht in zehn oder zwanzig Jahren. Deshalb muss der Autoverkehr massiv verringert werden. Und das geht eben nicht, indem man „alle fördert”, sondern indem man Fuß‑, Rad- und öffentlichen Verkehr gezielt bevorzugt, und zwar zu Lasten des Autoverkehrs.
Insofern sind auch die Forderungen, was alles anders werden muss, irreführend: An neuen Logistikkonzepten, ÖPNV-Investitionen, Park-And-Ride-Angeboten, Vernetzung von Verkehrsträgern und „intelligenter” Verkehrslenkung wird samt und sonders schon gearbeitet. Seit Jahren. Teilweise seit Jahrzehnten. Eine grundlegende Verbesserung der Verkehrssituation – sprich: Mehr Platz für alle anderen als das Auto – von diesen Voraussetzungen abhängig zu machen, ist gleichbedeutend mit einer Totalverweigerung jeden Fortschritts.
Insgesamt ist der Text des Aktionsbündnisses mit „altbacken” und „aus der Zeit gefallen” noch freundlich umschrieben. „Bräsig und ignorant” trifft es meines Erachtens besser. Allein wie versucht wird, Radverkehr als unwichtige Randerscheinung abzukanzeln ist beachtlich. Als letzte von sechs Verbesserungsforderungen heißt es:
Auch der vieldiskutierte Ausbau der Fahrradinfrastruktur und die verstärkte Nutzung von Sharing-Modellen können Lösungsbausteine sein, sie bieten aber nicht die alleinige Lösung für alle verkehrspolitischen Herausforderungen.
Noch viel mehr wenns und abers waren in dem Absatz nicht unterzubringen. Etwas weiter unten geht es dann um den Wirtschaftsverkehr und die Alternativlosigkeit des „motorisierten Individualverkehrs”. Denn:
Dies gilt auch vor dem Hintergrund der Vielzahl von Konzepten mit Lastenfahrrädern, die aber sowohl räumlich, wie auch mengenmäßig nur kleinere Teile der Warenströme abdecken können.
Wer schreibt solche Zeilen? Wer schreibt so etwas in einer Zeit, in der – ich möchte fast sagen: sogar in Hannover – über Logistikkonzepte mit Lastenrädern nachgedacht und diese in anderen Städten sogar schon genutzt werden? Wieso wird hier eigentlich „motorisierter Individualverkehr” und verschiedenste Logistikverkehre ständig in einen Topf geworfen, obwohl das alles ganz unterschiedliche Dinge sind?
Gerade die Citygemeinschaft, die Vereinigung der Einzelhändler in der hannoverschen Innenstadt, fürchtet ja immer wieder sinkende Besucherzahlen. Damit einher geht stets die Forderung nach einer „attraktiven Innenstadt”. Endlose Lawinen von Blechkisten – egal ob stinkend oder nicht – sind nicht attraktiv. Trotzdem wird ihnen von ebendiesen Einzelhändlern wieder und wieder das Wort geredet.
Dabei kommt die Mehrheit der Innenstadtbesucher gar nicht mit dem Auto! Ich habe da vor fast zwei Jahren schon umfänglich drüber geschrieben und an den Zahlen hat sich seither nichts Wesentliches geändert: Zwei Drittel der Innenstadtbesucher kommen mit öffentlichen Verkehrsmitteln und das restliche Drittel teilt sich zu etwa gleichen Teilen in Autofahrer auf der einen und Radfahrer und Fußgänger auf der anderen Seite.
Wenn man die hannoversche Innenstadt morgen komplett für den „motorisierten Individualverkehr” sperren würde (was übrigens nie jemand gefordert hat), würden das nicht mal 20% der potentiellen Besucher merken! Für die anderen 80% änderte sich schlicht – nichts! Außer dass sie von jetzt auf gleich eine deutlich höhere Aufenthaltsqualität in der City hätten. Vor diesem Hintergrund ist die Behauptung, Autoausschluss würde zur Massenabwanderung von Käufern ins Internet führen, schlicht Blödsinn!
Vergangenen Freitag haben über 30.000 Menschen in Hannover für Maßnahmen gegen die Klimakrise protestiert. Auch vor diesem Hintergrund ist das „Aktionsbündnis” weltfremd und gestrig. Es wird dieser Tage mehr und mehr Menschen klar, dass viele Dinge in unserer Gesellschaft nicht so weitergehen können wie bisher. Der gesamte Verkehrssektor mit der jahrzehntelangen Vorherrschaft des Autoverkehrs gehört da dazu. IHK, Handwerkskammer, City-Gemeinschaft und wie sie alle heißen sind ja gesellschaftlich durchaus relevante Kräfte. Ich finde es einigermaßen beschämend, dass diese Organisationen sich mit einem plumpen „bloß nicht anders!” aus diesem Diskurs zurückziehen. Ich frage mich, ob das wohl den Mitgliedern dieser Organisationen gefällt. Ich würde mir wünschen, dass hier auch eine Diskussion von innen einsetzt, ob man denn mit derart unreflektierten „Weiter so”-Parolen im Jahr 2019 wirklich noch Politik machen will.
Ich für meinen Teil würde das nicht wollen.
Lieber Dirk, die Innenstadt in Hanno er ersäuft nicht im Autoverkehr. Hannover ist im Vergleich zu vielen anderen Städten noch gut dran. In Stuttgart, Köln, Essen, Hamburg ist es im viel schlimmer. Da kann man sehen wie es in ein paar Jahren in Hannover aussehen wird wenn sich nichts an der Verteilung der Flächen ändert. Verkehrswende braucht Differenzierung und eine klare Vision, keine Schattenkämpfe.