Ich hatte mich ja bereits viel, viel früher mal in diesem Blog mit „Wir sind Helden” beschäftigt. Damals gab es ein neues Album – und jetzt gibt es wieder ein neues Album. Mehr als drei Jahre liegen dazwischen, und die Tatsache, dass es mein Blog schon so lange (und sogar noch länger!) gibt, zeigt mir, dass da mal wieder einiges an Zeit vergangen ist. Für mich – und für die Helden.
Bei „Soundso” war ich seinerzeit ja eher gespalten. Das Album war gewiss nicht schlecht, aber an „Vor hier an blind” reichte es meiner Meinung nach nicht heran. Und das hat sich auch nach vielem Hören – Zeit war ja seither genug… – nicht geändert: „Soundso” war nett, „Von hier an blind” und „Die Reklamation” waren großartig.
Und nun also der nächste Streich. Ich hatte nur noch in Erinnerung, dass das Album „irgendwann Ende August” erscheinen sollte, surfe am 26.8. so auf die Wir-sind-Helden-Website und sehe da: Veröffentlichung am 27.8.! Und noch besser: Auf Myspace konnte man die Lieder schonmal vorhören. Das ganze Album? Das ganze! Zwar in deutlich reduzierter Soundqualität, aber man will sich ja nicht beschweren…
Schon dieses erste Reinhören hat mir ausnehmend gut gefallen. So gut, dass ich heute mittag zum örtlichen Planetenladen gelatscht bin (ja, ich weiß, ich hatte mal geschrieben, dass ich da nicht mehr hingehe…) und die „Limited Edition” erstanden habe: Studio-CD und dann nochmal alle Lieder in einer „Unplugged”-Version auf einer zweiten CD. Schnell die Lieder nach MP3 konvertiert (kein Problem, kein „Kopierschutz”) – und los!
Die CD selbst macht zunächst einen getragenen, stellenweise fast düsteren Eindruck – viel mehr als die vorangegangenen Alben. Die melancholische „Ballade von Wolfgang und Brigitte” beschreibt eindringlich, wie unerwiderte Liebe in Ausnutzung umschlagen kann, und obwohl Judith Holofernes in Interviews bereits gesagt hat, dass das Lied eher in der 1970er-Jahren angesiedelt ist, kann man seine Geschichte problemlos auch heute spielen lassen:
Dann zog Brigitte nach Ibiza und verkaufte Batiksachen,
Wolf kündigte, um bei ihr zu sein.
Nach ein paar Wochen sagte Gitte: „Ich wollte eigentlich einen Schnitt machen
und frei sein, du engst mich ein.”Für das Wahre, Schöne, Gute will jeder gerne bluten,
– aber Wolfgang hat Brigitte geliebt.
„Meine Freundin war im Koma und alles, was sie mir mitgebracht hat, war dieses lausige T‑Shirt”, so heißt das Lied wirklich, obwohl diese Zeile in dieser Form im Text gar nicht vorkommt, setzt sich eindringlich mit dem (Nah-)Tod auseinander.
Auch ich wollte ein Souvenir vom Tunnelende,
aber ich weiß, das weiße Licht rinnt einem immer durch die HändeSo wie du auch, du auch, du auch, du auch – auch du.
Und was mir das titelgebende Stück „Bring mich nach Hause” sagen will, habe ich noch nicht ganz durchdrungen. Dort heißt es zu langsamen Moll-Akkorden auf dem Klavier
Ich brauche tiefste schwarze Nacht hinter meinen Lidern,
ein Gift gegen den Schmerz in meinen Gliedern.
[…] Und dort erst auf der Schwelle will ich verbluten,
wenn ich still bin, soll der Regen jede Zelle fluten.
Solche Töne hätte ich bislang eher bei Unheilig oder Schandmaul, nicht aber bei den Helden vermutet.
Aber es geht auch anders: „23.55: Alles auf Anfang” hat wieder diesen frechen „Die Helden gegen den Rest der Welt”-Grundton, der in der „Reklamation” und „Von hier an blind” herrschte:
Du nennst es Weltschmerz, ich nenn’ es Attitüde
Es ist erst fünf vor zwölf und du bist schon so müde.Ihr sagt: Kein Ende in Sicht
Wir sagen: Fünf vor zwölf, alles auf Anfang!
„Was uns beiden gehört” ist – zu schwungvollem Samba – eine raffinierte Allegorie, in der Tag und Nacht das „mein”, „dein” und „unser” in einer Beziehung ausdiskutieren:
Er sagte:
Mir gehört der Tag und das gleißende Leuchten […] Mein ist das Helle, das Heitere, Wahre […]Sie sagte:
Mir gehört die Nacht mit all ihren Schatten […] Mir allein folgen der Mond und die Sterne […]Uns beiden gehört das Abendlicht
Das Flackern der Lichter in unseren Gesichtern
Mehr nicht.
Und mein aktuelles Lieblingsstück „Dramatiker” nimmt mit der unvergleichlichen Holofernes’schen Lust am Fabulieren die Oberflächlichkeit in der Gesellschaft auf’s Korn:
Und die Mädchen an den Tischen singen:
„Und dann ich so und dann er so und dann…
der muss doch einfach manchmal meine…
und dann ich so und dann er so und dann…”Drama! Drama!
Drama-dramatiker!Deine Weste ist zu weiß, wart’ ich frag’ einen Batiker.
Das Album „Bring mich nach Hause” fügt sich nahtlos in die Musikgeschichte der Helden ein. Es ist – insgesamt – wohl das bisher reifeste Album der Helden, man merkt die sieben Jahre, die seit der „Reklamation” vergangen sind, halt doch. Für mich ist es – nach „Von hier an blind” – das zweitbeste Heldenalbum, und wer weiß, was beim weiteren Hören noch so passiert… Wer „Wir sind Helden” bis jetzt schon gemocht hat, wird den Kauf dieses Albums nicht bereuen. Und wer die Helden bislang noch nicht kannte, aber ein Faible für intelligente deutsche Musik hat, der sollte unbedingt reinhören. Da dürfte es momentan wenig Besseres geben…
1.9.2010 Google-Suche nach „Bring mich nach Hause” -> 1. Treffer: „http://blog.hillbrecht.de/2010/08/28/bring-mich-nach-hause-das-vierte-studioalbum-von-wir-sind-helden/”
Herzlichen Glühstrumpf!
Ich schließe mich deiner Meinung voll an 🙂
ich tolles Album 🙂
Obwohl mir soundso auch sehr gefallen hat