Es hatte sich schon angedeutet, dass auch beim Parteitag in Osnabrück wieder §2.2 der Satzung für besonders viel Diskussionsstoff sorgen würde: Dort geht es um Auskunftspflichten von Kandidaten für Ämter und Mandate bezüglich früherer politischer Engagements und Parteizugehörigkeiten. Beim vorangegangenen Landesparteitag in Langenhagen waren diese Bestimmungen erheblich verschärft worden, was zu viel Unmut, erregten Diskussionen und sehr viel verlorener Zeit geführt hatte.
In der schriftlichen Abstimmung zu diesem Punkt hatte zunächst keiner der vielen Änderungsanträge eine Mehrheit gefunden: Von Abschaffung bis zu einer nochmaligen Verschärfung der Bestimmungen reichten die Optionen. Mit einem neuen Satzungsänderungsantrag – in Niedersachsen können diese ohne Fristen gestellt werden – wurde das Thema nun nocheinmal diskutiert. Wie schon die letzten Male war die Diskussion intensiv, mit langen Rednerlisten, einer ganzen Reihe von Anträgen zur Geschäftsordnung und grundverschiedenen Ansichten, die aufeinanderprallten.
Zum Schluss kamen zwei Anträge zur Abstimmung: Mit dem ersten wurde die „Muss”-Bestimmung zur Auskunft in eine „Sollte”-Bestimmung umformuliert und damit im Wesentlichen wieder der Zustand von vor November 2009 hergestellt werden. Für mich durchaus überraschend wurde dieser Antrag dann mit einer 75%-Mehrheit angenommen. Ich selbst hatte vorher einen Antrag auf Nichtbefassung gestellt, weil ich die Diskussion eigentlich genau auf dem Stand sah, den sie bei der schriftlichen Abstimmung am Vortag gehabt hatte. Und da hatte letztlich keiner der Änderungsanträge auch nur die nötige Zweidrittelmehrheit gefunden. Wie man sich doch täuschen kann.
Noch überraschender – und für viele Kommentatoren geradezu sensationell – wurde dann anschließend sogar der Antrag auf vollständige Streichung des §2.2 angenommen. Auch dies wieder mit einer bequemen 70%-Mehrheit. Damit sind diese in meinen Augen sehr unglückseligen Bestimmungen vom Tisch, die für mich immer so einen Geruch von Gesinnungsschnüffelei hatten und die meines Erachtens nicht zu den Grundsätzen der Piraten passen.
Seitens der Befürworter der bisherigen Regelung wird häufig die Sorge vorgebracht, mit Abschaffung dieser Regelung wäre die von der Partei hochgehaltenene Transparenz nicht mehr gewährleistet. Meine Antwort hierauf ist zweiteilig: Zum einen macht sich Transparenz meines Erachtens nicht daran fest, dass ich über die politische Vergangenheit eines Bewerbers detailliert Bescheid weiß. Mindestens Teile davon sind für seine jetzige Haltung irrelevant, während andere Dinge entscheidend sein können, zum Beispiel berufliche oder private Bekanntschaften. Und die Offenlegung dieser verpflichtend und im Vorhinein einzufordern käme ja (hoffentlich) auch niemand auf die Idee. Zum anderen war auch die bisherige Auskunftsregelung letztlich nicht einforderbar und wurde ja sogar nicht eingefordert: Mehrere der Vorstandskandidaten haben in Osnabrück – gewollt oder ungewollt – nichts zu ihrer politischen Vergangenheit gesagt, wurden nicht danach gefragt und sind trotzdem gewählt worden. Abgesehen davon sind diese verpflichtenden Selbstauskünfte sowieso nicht nachprüfbar und damit letztlich wertlos.
Mit mir war auch die ganz überwiegende Mehrheit der Piraten im Saal und in den Echtzeitkommentaren auf Twitter geradezu begeistert von dem Ergebnis. Es war selten so ruhig wie bei den Auszählungen dieser Abstimmungen und die Erleichterung, die in den Kommentaren zur Entscheidung spürbar war, hat auch mich überrascht: Offensichtlich hat vielen anderen Piraten dieser Paragraf mindestens ebenso schwer im Magen gelegen wie mir.
Der §2.2 bzw. „S4”, wie der ganze Vorgang auf Grund des Antragskürzels beim Parteitag in Langenhagen genannt wurde, liegt mitten im Gebiet zwischen den beiden Prinzipien „Transparenz” und „Privatsphäre”. Für beide steht die Piratenpartei. Es ist gut möglich, dass uns diese und ähnliche Diskussionen auch in Zukunft begleiten werden. Alle Beteiligten sollten sich aber an die Schlussworte von „Big Arne” erinnern, wenn sie das Thema wieder auf die Tagesordnung bringen: Die Regelungen wurden mit 75% bzw. 70% Zustimmung abgeschafft. Das ist eine erhebliche Mehrheit und insofern ein deutliches Zeichen gegen Auskunftsbegehren, wie sie im bisherigen §2.2 artikuliert waren.
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