Die Piratenpartei Niedersachsen hat auf ihrem Landesparteitag am vergangenen Wochenende in einem bemerkenswerten Schritt einen Neuanfang begonnen. Eigentlich war die Behandlung von etwa 80 „Anträgen zum Wahlprogramm” für die kommende Landtagswahl geplant; eine umfängliche Liste weitgehend zusammenhangloser Einzelforderungen, in einem – piratentypisch – äußerst technokratischen Verfahren zudem in eine vom Inhalt völlig unabhängige, zufällige Reihenfolge gebracht. 64 dieser Anträge stammten zudem vom selben Antragsteller. Dem wurde ein Riegel vorgeschoben, indem nach zwei ausführlichen Debatten Samstag abend und Sonntag vormittag ein Antrag verabschiedet wurde, der dieses Verfahren ersetzt durch eine Neuausarbeitung der grundlegenden Werte der Piratenpartei: Wofür stehen wir? Was wollen wir? Welche Art von Gesellschaft soll unser politisches Handeln fördern?
Ich bin am Zustandekommen dieses Antrags, der schließlich von 2/3 der Anwesenden angenommen wurde, nicht ganz unbeteiligt. Dies ist er:
Leitantrag zum Wahlprogramm der Piratenpartei Niedersachsen zur Landtagswahl 2018
“Die Freiheit” (Arbeitstitel)
Die Piratenpartei Niedersachsen steht für eine freiheitliche demokratische Gesellschaftsordnung. Diese Gesellschaftsordnung ist in der momentanen politischen Situation zunehmend in Gefahr. Forderungen nach Überwachung, Ausgrenzung, Abschiebung und Trennung erzeugen ein Klima von Angst und Zorn. Miteinander, Zusammenhalt und die persönliche Entfaltungsfreiheit jedes einzelnen Menschen werden zunehmend in Frage gestellt.
Vor diesem Hintergrund konzentriert sich die Piratenpartei Niedersachsen bei der Erstellung ihres Wahlprogrammes auf die zentralen Fragen des Umgangs innerhalb der Gesellschaft und der Politik. Sie gibt damit ihren Abgeordneten einen Leitfaden für politisches Handeln in die Hand, der über fachliche Detailfragen hinausreicht.
Das Wahlprogramm wird in einem Prozess bis zum Sommer 2017 im Landesverband Niedersachsen erarbeitet. Der Landesvorstand setzt einen organisatorischen Rahmen. Er stellt die technischen Kommunikationsmittel des Landesverbandes zur Verfügung. Insbesondere richtet er einen Abschluss-Workshop im Rahmen einer Landesmitgliederversammlung aus. Das Resultat dieses Workshops ist Wahlprogramm der Piratenpartei Niedersachsen zur Landtagswahl 2018.
Die Piratenpartei Niedersachsen verzichtet mit diesem Antrag zum aktuellen Zeitpunkt auf eine weitergehende Festlegung des Wahlprogrammes. Es werden auf der aktuellen Mitgliederversammlung keine weiteren Programmanträge abgestimmt. Die Zeit wird stattdessen für den ersten Workshop für das Wahlprogramm genutzt.
Begründung des Antrags:
In einer von populistischen Parolen durchsetzten Zeit braucht die Piratenpartei Aussagen mit Strahlkraft. Nach außen müssen sie einprägsam hängen bleiben. Kommenden Mandatsträgern sollen sie Wegweiser im Wahlkampf und in der Ausübung ihres politischen Amtes dienen, sie aber nicht in ein Korsett zwängen.
Solche Aussagen wollen wir im Rahmen unseres Wahlprogrammes erarbeiten und formulieren.
Diese grundlegenden Richtungsaussagen der Piratenpartei Niedersachsen sollen das Ergebnis eines gemeinschaftlichen Prozesses sein. Sie werden erarbeitet von allen Piraten, die aktiv daran mitwirken möchten, zu gestalten, wie die Piraten sich im Wahlkampf präsentieren. Wir halten es für wichtig, nach der gestrigen Diskussion sofort damit zu beginnen und das als einen Prozess fortzuführen, dessen Ergebnis dann abgestimmt werden kann. Alle Piraten in Niedersachsen sind eingeladen und aufgefordert, sich daran beteiligen.
Wir schlagen eine Beschränkung auf maximal 5 Grundaussagen/Grundwerte mit jeweils maximal zehn ergänzenden Themen vor.
Ich sehe Antrag und Abstimmungsergebnis als sehr wichtigen Schritt auf einem möglichen Weg der Piratenpartei aus der politischen Bedeutungslosigkeit heraus. Die von der politischen Realität abgenabelte Pseudo-Diskussion um „irgendwelche” Detailforderungen bringt weder die Partei weiter noch führt sie zu irgendeiner öffentlichen Wahrnehmung oder gar zum Gewinn nennenswerter Wählerstimmen. Die Piraten müssen für ein Gesellschaftsmodell stehen und einstehen. Aus diesem heraus können (und sollen) sich dann natürlich auch spezifische Forderungen entwickeln, aber das wichtige sind eben die Grundwerte der Piraten.
Und ein Verweis auf die vorhandenen Grundsatzprogramme auf Bundes- und Landesebene, wie von den Gegnern des Antrags vorgebracht, helfen da nicht wirklich weiter. Die politische Großwetterlage unterliegt gerade einem fulminanten Wechsel. Wir als Piraten müssen uns unsere mittlerweile fünf bis zehn Jahre alten grundsätzlichen politischen Aussagen endlich mal vornehmen, überarbeiten, eventuell neu bewerten und neu zu einem Ganzen formen, mit dem wir in den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Debatten auch bestehen können!
Ein Anfang ist seit letztem Wochenende gemacht. Der Landesvorstand hat in seiner großen Mehrheit angekündigt, den nun anlaufenden Prozess mit technischen Mitteln zu unterstützen. Starten muss jetzt die Diskussion der Piraten unter- und miteinander. Ich sehe dies als eine der letzten Chancen, die die Piratenpartei hat, wieder zu einem nennenswerten politischen Profil zu kommen und dies auch so nach außen transportieren zu können, dass sie wieder als ernsthafte politische Kraft wahrgenommen wird. Scheitert dieser Prozess, besteht eine große Gefahr, dass die allermeisten Piratenlichter endgültig ausgehen.
Ach so, an dem Wochenende haben wir übrigens auch unsere Landesliste für die Bundestagswahl 2017 gewählt. Auch für sie werden die kommenden Wochen und Monate wichtig und spannend was die politischen Inhalte betrifft, für die sie stehen werden.