Im hannoverschen Bezirk Südstadt-Bult hat die SPD Anträge eingebracht, mit denen die dort existierenden Fahrradstraßen ersatzlos abgeschafft werden sollen. Mit den Stimmen von CDU und FDP könnte dieser Antrag eine Mehrheit finden. Das ist politisch gesehen erstaunlich, inhaltlich inakzeptabel und gesellschaftlich Besorgnis erregender Populismus.
Hintergrund: Anlässlich eines Verfahrens um eine andere hannoversche Fahrradstraße gibt es ein Verwaltungsgerichtsurteil (HAZ-Artikel hinter Bezahlschranke), dem zu Folge „Fahrradstraßen” einen wirklichen Mehrwert für den Radverkehr bieten müssen. Unter anderem gehört dazu eine ausreichende Breite. Die Verwaltung hat daraufhin die existierenden Fahrradstraßen geprüft und – wo nötig – Änderungen in der Straßenraumaufteilung angekündigt. In den engen Südstadtstraßen heißt das, dass eine ganze Reihe von Parkplätzen wegfallen soll, damit genug Platz für Rad- und Kfz-Verkehr bleibt. Radfahrer in der Südstadt danken, denn die immer breiter werdenden Autos lassen Rad- und Fußverkehr beständig weniger Platz. Und die Verwaltung folgt auch der StVO-Maxime „Fließender Verkehr hat Vorrang vor ruhendem Verkehr.”
Dass die SPD nun gegen diese Verbesserung der Situation für den Radverkehr vorgeht, erstaunt zunächst. Grüne und SPD haben sich im Bezirk Südstadt-Bult eigentlich auf ein koordiniertes Vorgehen verständigt, eine Koalition. Das heißt, dass keiner der Partner Anträge einbringt, denen nicht auch der andere zustimmt. Das ist hier nun klar nicht der Fall. Die SPD setzt darauf, ihrem Ansinnen mit den Stimmen von CDU und FDP eine Mehrheit zu verschaffen, die sie allein nicht hätte.
Es sind aber auch ein Anträge, der mit einer Grundannahme der hannoverschen Verkehrspolitik – und weit darüber hinaus – brechen: Der Anteil des individuellen Kfz-Verkehrs soll gesenkt werden. Dazu gibt es mannigfache Beschlüsse: Förderung des öffentlichen Verkehrs, Veloroutennetz, Einsetzung eines Fußverkehrsbeauftragten – um nur einige zu nennen. Konkret hat die Region Hannover – mit den Stimmen der SPD! – beschlossen, den Autoverkehr bis 2035 zu halbieren. Das ist – vorsichtig formuliert – überhaupt nicht in Einklang damit zu bringen, dem Autoverkehr weiterhin ein Platzprivileg in einem der am dichtesten besiedelten Stadtteile Hannovers zuzuschanzen.
Denn die inhaltliche Begründung der SPD-Anträge ist hanebüchen: Weil es neuerdings Anwohnerparkzonen gäbe, müssten auch (möglichst viele) Parkplätze vorhanden sein. Das ist eine derartige Verdrehung der Tatsachen, dass es schmerzt. Anwohnerparkzonen sollen den Anwohnern Vorrang bei der Nutzung der vorhandenen Parkplätze einräumen. Keinesfalls schaffen sie einen Anspruch auf einen solchen. Das wäre ja auch völlig unmöglich. Die SPD unterliegt hier einem fundamentalen Denkfehler, geradezu einer Realitätsverweigerung. Das ist für eine politische Kraft mit einem Allgemeinvertretungsanspruch inakzeptabel.
Besorgnis erregend ist das ganze, weil die SPD diesen „Kampf für Parkplätze” rein faktisch nur verlieren kann. Sie erschafft aber gerade die Illusion, es wäre anders – und baut diese auf dem Rücken schwächerer Verkehrsteilnehmer auf. Es ist nämlich kein kleines Ding, ein Fahrradstraße abzuschaffen. Es geht darum, wem der Verkehrsraum gehört, an wessen Bedürfnissen er ausgerichtet wird. Fahrradstraßen sind einer der wenigen Orte, an denen zumindest teilweise die Belange des Radverkehrs höher gewichtet werden als die des Autoverkehrs. Dies aufzugeben, bloß weil einige Anwohner Sorge haben, nicht mehr vor der Haustür parken zu können, zeugt von bemerkenswerter Kaltschnäuzigkeit.
Und es ist leider kein Einzelfall. Die SPD auf Ratsebene könnte – und müsste – sich gegen das Vorgehen ihrer Bezirksratsfraktion positionieren. Stattdessen ist das Schweigen unüberhörbar. Das könnte daran liegen, dass die SPD Hannover ebenfalls breit Front macht gegen fortschrittliche Stadtgestaltung: Das Mobilitätskonzept Innenstadt ist seit Wochen unter Beschuss und die SPD verweigert diesem wichtigen konzeptionellen Fortschritt für die City die Zustimmung. Das ist besonders absurd, weil sie in ihrem eigenen „Hannomobil”-Konzept in weiten Teilen genau das gleiche fordert.
Dass die einseitige Ausrichtung auf das Automobil kein nachhaltiges Konzept ist, ist nicht nur hinreichend bekannt – es ist angesichts in Blechfluten erstickender Städte auch unübersehbar. Auch ein Bezirksrat kann das nicht ändern. Die von der SPD eingebrachten Anträge zeugen von massiver Ignoranz gegenüber den Ansprüchen schwächerer Verkehrsteilnehmer. Sie sind populistisch. Die SPD war einmal eine Fortschrittspartei. Mit verkehrspolitischen Ansinnen dieser Art wird sie zur Rückschrittspartei.
Es liegt an der Zivilgesellschaft in der Südstadt, den politischen Vertretern klar zu machen, dass sie nicht im Sinne der Mehrheit der Menschen im Stadtbezirk handeln. Vor dem Hintergrund der Gesamtausrichtung der SPD-Verkehrspolitik scheint dies nötiger denn je. Denn je länger der nötige Umbau der verkehrspolitischen Prioritäten aufgehalten wird, desto massiver werden die Umstellungen ausfallen.