Ich habe nach dem Astrofoto neulich nochmal die Möglichkeit genutzt, die hochgelobte Smartphone-Kamera des Google Pixel 4 XL gegen eine gestandene Spiegelreflexkamera antreten zu lassen. Diesmal unter gleichen Bedingungen. Ein eher etwas schummerig beleuchteter Raum mit einer schwarzen Katze auf einem Kratzbaum, Entfernung gut zwei Meter.
Beginnen wir mit dem Foto des Google Pixel 4 XL. Auf den ersten Blick durchaus ordentlich, aber man erkennt bereits, dass da massiv nachgeholfen wurde: Das Katzengesicht ist quasi konturlos, die Schnurrhaare sind nicht zu sehen und die Pfoten, die das Model lässig über die Vorderkante der Liegefläche wirft, erinnern eher an ein Ölgemälde, genauso wie das Fell des Kratzbaums.
Auf Grund der massiven algorithmischen Nachbearbeitung sind jegliche fotografischen Kennwerte des Bildes mit Vorsicht zu behandeln. Die Kamera gibt jedenfalls an, mit einer 2,4er-Blende für 1/25 Sekunde belichtet zu haben und dann eine elektronische Verstärkung verwendet zu haben, die einer Film-Empfindlichkeit von ISO 1586 entspricht.
Wie gesagt: Gar nicht so ganz schlecht, aber auch nicht so richtig überzeugend. Auftritt Spiegelreflexkamera.
Das Vergleichsequipment gehört zur gehobenen Mittelklasse: Ich habe eine Canon EOS 90D, Baujahr 2019, mit dem ausgezeichneten Canon-Objektiv „EF 70 – 200 1:2,8 L IS II USM” verwendet. Der Neupreis von beiden zusammen liegt beim 3- bis 4‑fachen des Google-Handys – und telefonieren kann man damit nicht… Alles andere als ein deutlicher Unterschied wäre eine Enttäuschung. Und: Die Kamera liefert!
Schon auf dem Gesamtbild erkennt man viel mehr: Augenfarbe, Fellzeichnung, Schnurrhaare – alles da, und die Version hier im Blog ist schon deutlich runtergerechnet. Dabei hat die Kamera hier sogar zu Gunsten einer möglichst kurzen Belichtungszeit (1/40 Sekunde) bei 2,8er-Offenblende die elektronische Verstärkung auf ein Äquivalent zu ISO-6400-Film hochgeschraubt. Da ist noch Luft – aber wenn man mal einen Point-n-Shoot-Ansatz zu Grunde legt, ist es schon fair, die Programmautomatik „einfach machen” zu lassen.
Schauen wir uns das ganze näher an, wird der Unterschied zwischen den beiden Kameras noch deutlicher. Das Katzengesicht sieht in 1‑zu-1-Auflösung beim Pixel 4 XL aus wie eine grisselige EGA-Computerspielgrafik von 1987. Das arme Handy hat aus den paar Lichtstrahlen, die von dem tiefschwarzen Tierfell kommend die Linse getroffen haben, irgendwas zusammengerechnet. Dass da in der Mitte eine Nase ist, weiß man auch nur, weil das bei Katzen halt immer so ist. Die Grissel gehen oben rechts sogar über die Kontur des Katzenkopfes hinaus – der Flausch des Kratzbaums ist teilweise ebenfalls arg verrauscht.
Und das, obwohl die Kamera den Fokus durchaus richtig getroffen hat: Die Augen sollten scharf sein – und das sind sie im Rahmen der Möglichkeiten der Kamera auch. Die Fellkonturen links und die Raufasertapete im Hintergrund sind deutlich unschärfer, ein Hinweis darauf, dass hier wirklich mit einer relativ offenen Blende gearbeitet wurde – immerhin stellt sich ein ausgeprägter Schärfentiefe-Effekt beim optischen System des kleineren Handy-Bildsensor erst bei deutlich offenerer Blende ein als bei einen APS-C-Sensor wie in der 90D.
Völlig anders die Situation bei der Spiegelreflexkamera: Die EOS 90D mit dem 70 – 200-L-Objektiv bilden das Katzengesicht detailreich ab. Auch hier hat die Kamera wie gewünscht auf die Augen fokussiert. Man kann in den Linsen sogar die Spiegelung des Raumes erkennen, obwohl diese – da nicht im Fokus – unscharf ist. Der Offenblende ist die leicht unscharfe Nasenspitze geschuldet. Die Schnurrhaare sind deutlich einzeln zu erkennen, ebenso ist das Fell über der Nasenspitze bis zu einzelnen Haaren aufgelöst.
Auch hier ist den insgesamt eher durchwachsenen äußeren Bedingungen ein gewisser Tribut zu sollen: Über dem ganzen Bild liegt ein leichtes Farbrauschen und das Fell unterhalb der Augen ist ein bisschen „abgesoffen”. Auch in der EOS 90D werkelt eine digitale Nachbearbeitung der Sensordaten, die hier an ihre Grenzen kommt und ein wenig „herausrechnen” muss – und Tests zu Folge bei solchen „High-ISO-Aufnahmen” auch eher nicht im Spitzenfeld liegt.
Als finales Bild der kleinen Serie schließlich diese direkte Gegenüberstellung. Hier habe ich das EOS-90D-Bild sogar nochmal runtergerechnet, damit die Ausschnitte gleich groß sind. Wie gesagt: Dasselbe Motiv, dieselbe Position des Fotografen, gleiche Lichtverhältnisse, wenige Sekunden Abstand. Der Unterschied ist sehr, sehr deutlich.
Nun soll das nicht heißen, dass Handykameras grundsätzlich Schrott sind. „Die beste Kamera ist die, die man dabei hat” soll Eliott Erwitt gesagt haben. Und unter besseren äußeren Bedingungen, beispielsweise Weitwinkelfotos draußen bei strahlendem Sonnenschein, dürften die Unterschiede zwischen beiden Kameras in der Tat so klein sein, dass man sie auch auf den zweiten Blick kaum sieht.
Aber sobald die Verhältnisse schwieriger werden, wie zum Beispiel hier bei eher schummerigem Licht, lässt sich die Physik nicht so ohne weiteres austricksen: Der kleine Sensorchip und das stark geschrumpfte optische System fordern ihren Tribut. Wenn man weiß, was man macht, kann man auch damit tolle Fotos machen. Aber nicht in jeder Situation.
Die Kamera eines modernen Handys ersetzt die Spiegelreflexkamera? Nur Einzelfällen mag das so sein. Aber allgemein wird man spätestens bei etwas ambitionierterem Herangehen schnell an die Grenzen des Mobiltelefons stoßen. Und dann braucht es halt eben doch die „richtige” Kamera.