In Hannover gibt es ein Mitglied der Piratenpartei, das mit kruden Forderungen unangenehm auffällt. Die „Leugnung des Holocaust” müsse erlaubt und „Mein Kampf” dürfe nicht verboten sein. Inhaltlich ist das völliger Käse, trotzdem entbrennt teilweise eine Diskussion, ob man diese Forderungen nicht im Geiste der „Meinungsfreiheit” gutheißen oder zumindest dulden müsste.
Ich denke, man darf das keinesfalls. Am Umgang mit solchen Äußerungen manifestiert sich ein Stück weit auch das Selbstbild der Piratenpartei in weltanschaulichen Fragen. Ich sehe die Piratenpartei im Kern als eine liberal-humanistische Bewegung, auf jeden Fall aber als eine, der es um den Menschen als Individuum geht. Forderungen wie den obigen liegt aber eine zutiefst formalistische Argumentation zu Grunde. Diese mag zwar – streng formal gesehen – korrekt sein, aber sie widerspricht diametral jenen humanistischen Grundwerten, die ich – wie gesagt – für die Basis der Piratenpartei halte.
Ich hielte es für einen Fehler, diesen Widerspruch einfach zu ignorieren. Wir haben das Recht und die Pflicht, zu eben diesen unseren Grundwerten zu stehen. Nur durch sie werden wir glaubwürdig. Und nur wenn wir glaubwürdig sind, haben wir eine Chance auf langfristigen politischen Erfolg. Mit einer freiheitlich-liberalen Grundordnung verträgt es sich nicht, mit Relativierungsrhetorik an der Menschenvernichtungsmaschinerie der Nazis herumzudeuteln. Und wenn uns unsere Grundüberzeugungen etwas wert sind, dann müssen wir als Partei das auch deutlich zum Ausdruck bringen.
Dein Beitrag zu Grundsätzen und Grundwerten lässt überhaupt nicht erkennen, dass du die verschiedenen Ebenen erkannt hättest und was für Position es dort gibt.
Die unterste Ebene, Holocaustleugnung und die Inhalte des Hitlerbuchs, sollte klar sein.
Die nächste Ebene ist der Umgang mit entsprechenden Aussagen oder Positionen. In der Piratenpartei haben die nichts zu suchen, auch das sollte klar sein. Weniger klar ist aber, wie man damit in der Gesellschaft umgehen muss. Ich halte es für einen Verlust, dass es keine kommentierten Ausgaben von „Mein Kampf” gibt und sehe hier einen Missbrauch des Urheberrechts.
Dass das Strafrecht eine ganz spezielle Aussage explizit verbietet, und dies nicht durch die allgemeinen Normen des Strafrechts erfasst wird, halte ich zumindest für unglücklich.
Die nächste Ebene ist dann, wie man zu Positionen zu Strafrecht vs Redefreiheit und Urheberrecht umgehen soll, bzw mit denen, die dazu Positionen vertreten. Ist ein Kandidaturverbot hier wirklich angemessen?
„formalistische Argumentation”? Damit kann man auch Argumente gegen Zensur und Internetsperren wegwischen. Das ist zu einfach. Freiheitsrechte gelten – so weh es auch tut – für Nazis. Einschränkungen zuzustimmen mit dem Argument es gehe doch gegen Nazis ist kein gutes.
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Hi Dirk,
grumpf. Nochmal das Thema. Gut:
1. Mein Kampf und die Zeitungen aus dieser Zeit sind historische Dokumente der Zeitgeschichte, keine Viren. Man muss sich mit ihnen im Original auseinandersetzen können, das gehört zur Bildung dazu. Such mal nach „Somuncu” und „mein kampf” und höre Dir den Kram an. Man muss naziaffin sein, um sich davon anstecken zu lassen. Es ist menschenverachtendes, unintellektuelles Geseich. Über hunderte Seiten. Die Zeitungen dieser Zeit bestehen aus Hetze, Rassenhass und Nationalismus. Die Begründung, warum wir das nicht unverfälscht lesen sollen, leuchtet mir nicht ein.
2. Nizkor.org ist für meine Begriffe ein Musterbeispiel dafür, wie Auseinandersetzung mit dem Thema „Revisionismus” und „Holocaustleugnung” laufen soll. Originaldokumente, Links auf die faschistischen Webseiten und DABEI die Erläuterung, wer dahintersteckt, was er sonst noch schrieb und was seine Agenda ist. DAS ist ein erwachsener, piratiger Umghang mit dem Thema. Das Urheberrecht als Zensurbehörde kann es nicht sein. Und das ist nicht die einzige sinnlose Zensur. Telepolis hat eine erhellende Reihe „Das driite Reich im Selbstversuch”. Dazu dann bitte auch noch die Propagandafilme, das ist ein erwachsener, bildungspolitischer Ansatz. Nicht der Nannystate, der davon ausgeht, dass sich durch „Jud Süss” heute noch Humanisten und Demokraten zu Antisemiten umpropgrammieren lassen.
Eine unverfälschte Auseinandersetzung mit unverfälschten Originalen halte ich in Schule, Studium und Freizeit für jeden für sinnvoll, der Mechanismen und Strategien der Nazis verstehen will.
3. Vom Empfang der Holocaustrelativierer, Nazipropaganda und was weiß ich noch (also die Rezipientenfreiheit) zu unterscheiden ist die Sendefreiheit. Und da bin ich sehr wohl der Ansicht, dass diese einzuschränken ist. Wer anderen erzählt, dass sie Lügner sind und es keine Gaskamjmern gab, wer das Andenken der Väter uind Mütter der Opfer in den Schmutz zieht, der hat dafür bestraft zu werden. Man mag dies in vielen Jahren anders sehen, wenn die direkten Opfer und ihre direkten Angehörigen verstorben sind, aber auf absehbare Zeit halte ich dieses Verbot – ganz besonders in Deutschland, von dem dieser Massenmord ausging – für richtig. Man darf eben nicht alles sagen, manches muss Konsequenzen haben. Als Nachfahre der Täter oder als Täter den Opfern ins Gesicht spucken – das geht nicht.
4. Wir haben als Deutsche keine Kollektivschuld, wir haben eine kollektive Verantwortung des „nie wieder”. Dazu gehört, sich frei und ohne staatliche Beschränkungen informieren zu dürfen. Es ist auch nie verkehrt, sich anzusehen, wo die heutigen Nazis gerade stehen und was sie so treiben.
Opferbeschimpfung, das in den Schmutz ziehen des Andenkens von millionen – DAS sollten wir NICHT zulassen.
Sorry, aber Dein Blogeintrag greift DEUTLICH zu kurz.
Gruß
Hauke
Dass „Mein Kampf” lediglich etwas mit dem Thema Urheberrecht wissen die Wenigsten, das stimmt. In ein paar Jahren (2015) wird das Buch frei sein.
Was §130 StGB angeht: ich halte nichts von einer speziellen „NS-Staat”-Gesetzgebung. Gerade Strafgesetze sollten stets so angelegt sein, einem allgemeinen Leitspruch, einer „universalisierbaren Maxime” zu folgen.
Und diese Maxime soll lauten:
Wer Gewalt- und Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt, sie leugnet oder verharmlost, der muss bestraft werden.
Eine „Lex Drittes Reich” braucht es nicht, wenn unsere Strafgesetze gut genug sind.
Servus,
ich gehe mit den Aussagen konform. Bis auf eine Aussage. Ich würde „Mein Kampf” auch nicht verbieten. Denn es ist erstens ein historisches Dokument, zweitens kann man es im Internet anschauen und drittens kann man durch Verbote eines Buches nicht erreichen, dass Aufklärung stattfindet. Wenn man es liest und das idealerweise in Auszügen in der Schule, sieht man einige Dinge der Nazipropaganda recht schnell entlarvt. Das natürlich einige Leute das aus anderen Gründen öffentlich zugänglich haben wollen, klar. Aber dennoch möchte ich niemanden bevormunden indem was zu lesen ist und was nicht.
lg
Bjoern
Das habe ich auch nicht ausführlich ausgeführt. „Mein Kampf” ist in Deutschland nicht „verboten” – was immer das heißen soll. Der Freistaat Bayern sieht sich lediglich unwidersprochen als Inhaber der Urheberrechte und untersagt von dieser Position aus Neuauflagen.