Liveblogging aus Wolfenbüttel. Ich habe mich relativ kurzfristig entschlossen, heute hier zum Programmparteitag der niedersächsischen Piratenpartei zu fahren. Da sitzen wir nun mit etwa 30 Leuten und reden über die Anträge, die im Vorfeld ja auch im „Antragsbuch” zu lesen waren. Ich hatte bei all diesen Anträgen von vornherein kein gutes Gefühl und habe schon vor einigen Tagen die Anmerkungen von Jürgen Stemke gelesen – und konnte ihnen quasi vollständig zustimmen.
Diese Parteitag steht unter keinem guten Stern: Der neue niedersächsische Vorstand kommt, so wird es vielfach gesehen, nicht recht in Tritt. Im Vorhinein gab es erhebliche Bedenken gegen einen Parteitag noch vor den Kommunalwahlen und in der Tat: Die Aktiven sind zu großer Zahl im Straßenwahlkampf gebunden. Dieses Wochenende ist das letzte, an dem sich gut Unterstützungsunterschriften für die Kommunalwahlen sammeln lassen. Das hat nicht nur dazu geführt, dass relativ wenige Mitglieder hier anwesend sind, sondern auch, dass es im Vorfeld keine große Diskussion über die Anträge gegeben hat.
Und das rächt sich jetzt. Reihenweise werden hier gerade Anträge mit großer Mehrheit abgelehnt oder noch während der Diskussion zurückgezogen. Der Grund: Die Anträge sind handwerklich schlecht, stellen punktuell politische Forderungen auf und basieren auf Grundlagen, die in der Partei – bestenfalls – umstritten sind.
Ich denke, dass das nicht einer wie auch immer gearteten Unfähigkeit der Antragsteller anzulasten ist. Das Problem ist: Viele dieser Anträge beschäftigen sich mit Themen aus der Sozialpolitik. Hierzu hat die Piratenpartei bislang aber nur sehr wenig Programmatik erarbeitet. Die Partei hat sich um die Themenbereiche „Bürgerrechte” und das weite Feld von „Urheberrecht” und damit verbundene Themen gebildet. Sozialthemen sind erst allmählich in den Fokus gerückt. Erst seit November 2010 findet sich dazu ein Abschnitt im Grundsatzprogramm und meines Erachtens braucht es noch einige Zeit, bis wir hier so weit vorangekommen sind, dass wir konkret Stellung zu Renten‑, Arbeitsmarkt- oder allgemeiner Sozialpolitik nehmen können.
Momentan finden solche Diskussionen in der Piratenpartei weitgehend „im luftleeren Raum” statt, und das führt dazu, das jeder mehr oder weniger „aus dem Bauch heraus” entscheidet. Das betrifft sowohl Antragsteller, die Anträge vorbringen, die sie persönlich für wichtig halten, als auch das Auditorium, das aus ebensolchen Erwägungen jeweils dafür oder dagegen ist. So richtig konstruktiv ist die Diskussion leider nicht, weil auf allen Seiten das Faktenwissen fehlt.
Insofern bringt uns dieser Parteitag meines Erachtens nicht wirklich weiter. Er ist aber ein Hinweis an die Gesamtpartei, dass Sozialpolitik sehr vielen Piraten auf dem Herzen liegt und dass die Partei in den nächsten Monaten und Jahren hier eine Programmatik auf allen Ebenen entwickeln sollte.
Es kann nicht Sinn eines Parteitages sein, reihenweise Anträge abzulehnen. Neben den programmatischen Problemen, die ich eben beschrieben habe, sehe ich auch das Problem, dass es im Vorfeld viel zu wenig Diskussionen um die Anträge gegeben hat. Das ist letztlich ein Problem der gesamten Partei und zu einem nennenswerten Anteil zwar auch der Arbeitsbelastung durch den Wahlkampf geschuldet ist. Es ist aber auch so, dass die Debattenkultur in der Piratenpartei sicher noch verbessert werden muss. Ich sehe das aber als Aufgabe auch an mich selbst, diese Diskussion zum Beispiel in die Aktiventreffen und Stammtische hineinzutragen.
Dass das etwas bringt, konnte man übrigens später am Nachmittag verfolgen. Die Energie- und Atompolitik wird bereits länger parteiintern diskutiert, ein Konsens existiert – die entsprechenden Anträge wurden nach kurzer Diskussion mit großen Mehrheiten angenommen. Das ist das Modell, an dem wir uns bei unseren Parteitagen orientieren sollten.
So bleibt denn meinerseits ein durchaus versöhnlicher Gesamteindruck dieses Parteitages. Vor allem die Debattenkultur in der Veranstaltung selbst hat sich bemerkenswert verbessert. Die Stimmung war gut, es geht halt nichts über direkte Kommunikation von Angesicht zu Angesicht. Außerdem gab es hier eine einfache Möglichkeit, nochmal ein paar Wahlplakate für den Kommunalwahlkampf auf die Gebietsverbände zu verteilen – ich habe auch gut Gebrauch davon gemacht.
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