Am 3. August 2022 haben die Minister Lauterbach und Buschmann einen Entwurf für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes vorgestellt. Dies Änderung, die Ende September 2022 beschlossen und dann bis in die 2. Aprilhälfte 2023 gültig sein soll, sieht erneut massive Grundrechtseingriffe vor. Ich halte diesen Gesetzentwurf für völlig untragbar und für gefährlich für die politische und gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland. Im Einzelnen:
Der Entwurf sieht Maßnahmen vor, deren Sinnhaftigkeit zweifelhaft ist. Das gilt zuvorderst für das Generalmittel „Maskenpflicht”. Mittlerweile liegen Zahlen aus zweieinhalb Jahren vor. Sie zeigen, dass diese Maßnahme bei allen aktuell verbreiteten Vurusvarianten keinerlei Auswirkungen auf die Verbreitung des Virus hat. Gleichzeitig stellt sie eine erhebliche persönliche und gesellschaftliche Belastung dar – sie ist mithin ein schwerer Grundrechtseingriff. Dass diese und andere Maßnahmen zudem auch wieder unter freiem Himmel „ermöglicht” werden sollen, steht allen Erkenntnissen über Verbreitung und Schwere des Virus im Jahr 2022 entgegen. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung selbst sagt: „Eine generelle Empfehlung zum Tragen von FFP2-Masken ist aus den bisherigen Daten nicht ableitbar.”
Gesellschaftliche und medizinisch besonders gefährlich sind die geplanten Regelungen zu Impfungen. Ein „vollständiger” Impfschutz soll zukünftig nach 90 Tagen verfallen. Danach gilt man wieder als „ungeimpft” mit weiter gehenden gesellschaftlichen Einschränkungen. Mittlerweile ist klar, dass eine Impfung vor allem langanhaltend vor schweren Krankheitsverläufen schützt, nicht aber generell davor, krank zu werden. Eine solche Regelung ist absurd und unerklärlich – es sei denn man will möglichst viele Impfungen erzwingen. Das wiederum steht in krassem Gegensatz zu den Empfehlungen diverser Fachgremien, die selbst eine 4. Impfung nur bestimmten Personengruppen empfehlen – und keinesfalls ständige Nachimpfungen. Minister Lauterbach toppt das noch, indem er offen für einen „angepassten” Impfstoff wirbt, der noch gar nicht verfügbar ist. Das alles, ohne Impfneben- oder ‑nachwirkungen auch nur abzuwägen.
Es gibt auch keine Begründungen oder Zielvorgaben für die vorgesehenen Maßnahmen. Was soll mit ihnen erreicht werden? Wann ist dieses Ziel erreicht? Etliche Maßnahmen werden zudem den Bundesländern anheimgestellt – und zwar ohne jede Pflicht zur stichhaltigen Begründung. Worauf das hinausläuft, sieht man an Äußerungen verschiedener Landespolitiker und der Tatsache, dass beispielsweise in Niedersachsen die sommerlichen Einschränkungen des aktuellen Infektionsschutzgesetzes kommentarlos und routinemäßig wieder und wieder verlängert werden. Eine Sinnprüfung findet nicht statt.
Vergleichszahlen auf Staaten- oder Bundesländerebene zeigen 2022 deutlich, dass aktuelle Omikron-Infektionen quasi unabhängig von irgendwelchen „Maßnahmen” passieren – und wieder vergehen. Menschen werden krank – und sie werden wieder gesund. In etlichen europäischen Ländern laufen deshalb die Corona-Maßnahmen aktuell aus – und neue sind nirgends in Sicht. Es wäre jetzt die Situation, auch in Deutschland die noch gültigen Maßnahmen zu beenden. Es wäre sinnvoll. Es wäre aus dem aktuellen Krankheitsgeschehen heraus begründbar. Es wäre „evidenzbasiert”.
Stattdessen dieser Gesetzentwurf. Es ist nicht nur aus fachlicher Sicht unhaltbar, er ist auch gesellschaftlich eine Katastrophe. Deutschland ist in der Frage der Coronamaßnahmen tief gespalten. Das verstärkt dieser Gesetzentwurf noch:
Starke Maßnahmenbefürworter berufen sich auf die große Gefahr, die von dem Virus ausginge. Das geben Krankheitsverläufe und gesellschaftliche Entwicklungen wie die Impfquote aber schon lange nicht mehr her. Ein Gesetz, dass diese Veränderung quasi komplett ignoriert, bestärkt aber die Gefahrenwahrnehmung noch und wird diese Menschen weiter in ihre Ängste treiben. Die Diskussion wird schwieriger.
Ähnlich bei den starken Maßnahmengegnern. Deren Bedenken werden durch die fehlende Evidenz, die Uferlosigkeit und die offensichtlichen Widersprüche zwischen Regelwerk und Realität ebenfalls verstärkt. Die fundamentale Kritik an den Maßnahmen und letztlich auch den politischen und gesellschaftlichen Strukturen dahinter wird deshalb auch nochmal zunehmen. Auch hier wird die Diskussion schwieriger.
Und die Mitte, die ja bei all dem die große Mehrheit stellt? Die hat die bisherigen Maßnahmen mit mehr oder weniger Enthusiasmus oder Zähneknirschen mitgetragen. Bloß: Wird das so bleiben? Die letzten Monate und die Erfahrungen in anderen Ländern haben bewiesen, dass es auch ohne Einschränkungen, Masken, Tests und Impfungen nicht zu einem unkontrollierbaren Infektionsgeschehen kommt. Anders als in den Vorjahren gibt es keine wirklich vermittelbaren Argumente für all die geplanten Maßnahmen. Wie wird sich eine Bevölkerung verhalten, wenn sie in einem freiheitlichen Bürgerrechtsstaat auf diese Weise gegängelt werden soll?
Die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes wirken im Herbst 2022 wie aus der Zeit gefallen. Sie sind weder medizinisch noch gesellschaftlich verständlich. Die Maßnahmen sind übergriffig. Dieses Gesetz darf in dieser Form keinesfalls beschlossen werden. Vielmehr muss man jede Änderung, die die momentan geltenden Maßnahmen erweitert, ablehnen. Das Vorgehen der Minister, die einer öffentlichen Diskussion bislang eher aus dem Weg gehen und stattdessen infantile „Winterreifen”-Vergleiche anstellen, verstärkt das noch.
Oder kurz: So geht’s nicht!