Gestern war ich schon wieder demonstrieren. Fridays For Future hatten am Vorabend der 25. Weltklimakonferenz in Madrid zum globalen Klimastreik aufgerufen. Zunächst die Fakten: Es war – mal wieder – eine große Demo. Ich habe von etwa der Mitte des Opernplatzes über 30 Minuten gebraucht, um auf die eigentliche Demoroute zu kommen. Kollegen, die den Zug auf dem Leibnizufer im Blick hatten, haben später gesagt, er wäre 35 Minuten lang vorbeigezogen. Das spricht für mich eher für mindetens 20.000 Teilnehmer als für die von der Polizei und der lokalen Presse kolportierten vierstelligen Zahlen.
Überhaupt, Polizei: Mein Eindruck war, dass so manche Velo City Night mehr Polizeibegleitung hatte als diese Großdemonstration. Das fand ich ein gutes Zeichen: Auch 2019 können Bürger in Deutschland Protest auf die Straßen tragen, ohne dass der Staat sie auf Schritt und Tritt begleitet. Es war jedenfalls wesentlich angenehmer als am vorigen Samstag auf der Anti-NPD-Demonstration – und ich denke, das gilt auch für die Polizei selbst.
Dafür hat sich das Bild auf der Demo selbst deutlich gewandelt: Noch die Fridays-For-Future-Demos im Juni und August, bei denen ich auch schon dabei war, waren im Wesentlichen Schülerveranstaltungen. „Boah, nur Schüler und Rentner hier”, hatte ich im August eine Schülergruppe hinter uns gehört. Das war gestern anders: Menschen aller Altersschichten waren dabei – auch wieder viele Berufstätige, die mitdemonstriert haben. Die Schilder der Students For Future, Parents For Future, Scientists Fur Future, Architects For Future, Entrepreneurs For Future und wie die Gruppen alle heißen waren zu sehen. Für mich sieht es so aus, dass die Proteste spätestens im September Menschen quer durch die gesamte Gesellschaft erreicht haben – und das nachhaltig! Für die Bewegung ist das erstmal ein ermutigendes Zeichen.
Fatal ist hingegen, was von politischer Seite bisher passiert ist: Es ist nicht nur nichts, es werden sogar erreichte Fortschritte zerstört! Das „Klimapaket der Bundesregierung”, auf der Demo nur als „Klimapäckchen” bezeichnet, ist ein sehr schlechter Witz. Die unsägliche Posse um die Abstände von Windrädern oder die quasi nicht existierenden Zeitpläne zum Kohleausstieg zeichnen das Bild einer Regierung, die aktiv gegen die Interessen ihres Volkes arbeitet.
Ich bin jemand, der mit Alarmismus nicht viel anfangen kann. Ich halte auch das Herumreiten auf Grenzwerten nicht in jedem Fall für zielführend. Aber die Zusammenhänge in Sachen CO2-Konzentration, Erderwärmung und zivilisatorische Auswirkungen sind sehr einfach: Wenn wir nicht sehr schnell den Ausstoß an fossil eingelagertem CO2 massiv – gegebenenfalls auf Null – reduzieren, werden sich die Grundlagen unserer Existenz radikal verändern. Das ist breitester wissenschaftlicher Konsens, durch Beobachtungen fundiert und schlüssig gefolgert.
Politik und leider auch Teile der Medien fahren hier seit Jahren eine Relativierungskampagne: Abseitige Einzelmeinungen werden dem wissenschaftlichen Konsens gleichgesetzt, weil man ja „alle Seiten hören” müsse. Stand heute würde ich sagen: Das hat funktioniert! Die Klimawandelleugner haben den wissenschaftlichen Konsens in der öffentlichen Diskussion so weit diskreditiert, dass die Regierung eines der wirtschaftlich stärksten Länder auf der Erde die Zusagen des Pariser Klimagipfels kassieren und durch ein „Klimapaket” ersetzen kann, das in Wahrheit ein Anti-Klima-Paket ist. In den USA – aber auch anderswo – werden Wissenschaftler offen angefeindet oder staatliche Forschungsmittel gestrichen.
Fridays For Future protestiert seit einem Jahr, müsste sich aber zum aktuellen Zeitpunkt eingestehen: Es wurde nichts erreicht. Gar. Nichts. Und das, obwohl das Zeitfenster für durchgreifende Änderungen sich schließt – und das vielleicht sogar schneller als bisher angenommen. Von angenommenen zehn Jahren ist eines rum – 10% der verbleibenden Zeit sind nutzlos verstrichen.
Was macht das mit einer Bewegung, die meiner Beobachtung nach immer noch stärker und gesellschaftlich verfestigter wird? Einer Bewegung, die sich in ihren Grundannahmen in den letzten Monaten sowohl in der wissenschaftlichen Untersuchung als auch in den Beobachtungen der Welt bestätigt sehen kann? Einer Bewegung, der trotzdem seitens der politischen Handelnden Ignoranz und Verächtlichmachung entgegenschlägt?
Einen Vorgeschmack auf die Richtung, in die sich die Proteste entwickeln könnten, gab der Abschluss der Demonstration am gestrigen Freitag: Mehrere Hundert Demonstranten, hier vor allem wieder die Schüler, haben sich dann einfach mal geweigert, den Aegi zu verlassen. Der irrsinnige Autoverkehr, der zum hochgejazzten Black-Friday-Konsumexzess in die Innenstadt eingefallen ist, war noch zwei Stunden länger blockiert als gedacht.
Geschadet hat es niemandem und das Zeichen war gesetzt. Daraus folgen für mich zwei Dinge: (1) Eine autofreie Innenstadt lässt sich wesentlich schneller als bis 2030 realisieren, wenn man will. Und (2) nachhaltig ignorierte Bevölkerungsgruppen mit existentiellen Anliegen lassen sich nicht ewig billig abspeisen und vertrösten – erst recht nicht, wenn es um ihre Existenz als solche geht.
Interessante Zeiten kommen auf uns zu.